Zum Reden gebracht
André Müller: „,Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe!‘. Letzte Gespräche und Begegnungen“, Langen Müller Verlag, München 2011, 368 S., 19,99 Euro
Im April 2011 verstarb der österreichische Journalist André Müller, der durch seine Interviews – in „Zeit“, „Spiegel“ oder „stern“ – immer wieder für Aufsehen sorgte. Der Band „Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe!“ (ein Alice-Schwarzer-Zitat) versammelt natürlich ganz überwiegend Interviews. Mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Karl Lagerfeld, Leni Riefenstahl und Toni Schumacher. Dazu gibt es weitere Texte, über Marcel Reich-Ranicki etwa oder über Christoph Schlingensief, ebenfalls bereits verstorben, seinerzeit todkrank. Überhaupt tauchte der Tod auffällig oft in André Müllers Interviews auf – für ihn kein Tabuthema. Er beherrschte die Kunst des Interviews so virtuos, dass er Antworten erhielt, die anderen, keineswegs unbegabten Fragestellern vorenthalten geblieben wären. So mancher Gesprächspartner versuchte daher im Nachhinein eine Veröffentlichung dessen zu verhindern, was Müller ihm entlockt hatte. Dieser prägte den wunderbaren Satz: „Ich verlange in einem Interview alles von mir.“ Das Buch schließt mit einer Frage – an André Müller: „Was war Ihr größtes Scheitern als Interviewer?“ Antwort: „Das Gespräch mit Alice Schwarzer 1995.“ Man habe auf hohem Niveau aneinander vorbeigeredet. Das Interview ist nie erschienen, der Band aber verdankt ihm seinen Titel.
Rohdiamanten schleifen Stefan Brunner: „Redigieren“, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2011, 138 S., 17,90 Euro
Willkommen im Porzellanladen des Journalismus: Beim Redigieren geht es um mehr als sauberes Handwerk. Seitens des Redakteurs ist Behutsamkeit angesagt und der Autor sollte keine Allergieneigung gegenüber Texten aufweisen, die nicht 1:1 übernommen werden. Es gibt keinen Sieger und keinen Verlierer. Stefan Brunner, Professor für Journalistik an der Macromedia-Hochschule in München, versteht Redigieren als die Kunst, einen Autor nach vorne zu bringen. Wie sich Stiche ins Wespennest vermeiden lassen, verrät Brunner in seinem „ABC der Kritik“, Motto: „Wie sage ich’s dem Verfasser?“ Ein erfreulich kompaktes Buch, das längst fällig war. Im Anhang plaudern vier Redakteure aus der Praxis. Hans-Joachim Nöh, Textchef des „Hamburger Abendblatt“, beschwört das elfte journalistische Gebot: Du sollst nicht langweilen! Auch hiervon hänge ab, wie stark in einen Text eingegriffen werden müsse. Übrigens: Redigieren kann auch ein kollektiver Prozess sein. Bei „brand eins“ müssen Texte dem Blick von bis zu neun kritischen Augenpaaren standhalten.
Sport hüben und drüben
Dietrich Leder/Hans Ulrich Wagner (Hrsg.): „Sport und Medien. Eine deutsch-deutsche Geschichte“, Herbert von Halem, Köln 2011, 225 S., 26 Euro
Die Konkurrenz zwischen Bundesrepublik und DDR wurde auf vielen Feldern ausgetragen, der Sport spielte hierbei keine unbedeutende Rolle. Die 40. Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte e.V. beschäftigte sich im Jahr 2010 mit dem Themenbereich Sport und Medien in Ost und West. In einem Dokumentationsband lassen sich jetzt die meisten Vorträge nachlesen, in überarbeiteter Form. Gleich drei der 14 Beiträge befassen sich mit dem Thema Doping, einer davon untersucht, wie im Prozess der deutschen Einigung damit umgegangen wurde. Die eigentlich interessante politische Instrumentalisierung der TV-Sportberichterstattung in der DDR geht der Verfasser leider sehr theorielastig an. Nicht zu kurz kommt der Fußball – unter anderem mit einer kleinen Geschichte der Bundesliga, welche die Entwicklung zum „Luxusprodukt“ nachzeichnet. Und für Freunde realsozialistischer Sport-Folklore gibt es Eis-Prinzessin Kati Witt und die „Friedensfahrt“, die „Tour de France der DDR“.
bernd stössel ist freier Journalist in Frankfurt.
bernd.stoessel@t-online.de
Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 62 bis 63. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.