Werden Journalisten interviewt, wird klar, wie sie selbst arbeiten. Ein Standpunkt.
Von Anne Haeming
Wie weit manche gehen, sah man dieses Jahr gleich mehrfach. Die „taz“ veröffentlichte zum langen Interview mit der deutschen Nationalfußballerin Lira Bajramaj im März auch einen Text, der das Autorisierungsprozedere dahinter aufdeckt, den Großteil der Antworten und auch der Fragen hatte man „neu geschrieben“, die mussten die Interviewer nun wieder hineinverhandeln. „Bajramaj spricht, geht es nach ihren Managern, sogar in Smileys“, schrieb die „taz“ erschöpft.
Am 12. Oktober druckte das „Handelsblatt“ vom Interview mit BNP-Paribas-Chef Baudouin Prot nur die Fragen: Das Interview sei „mehrfach überarbeitet und schließlich zurückgezogen“ worden. Die Verweigerung Prots sah man in den vielen weißen Flächen, die Kollegen setzten noch eins drauf und erklärten, dieses einseitige Interview stehe „stellvertretend für eine Geldelite, der es die Sprache verschlagen hat“. Die Überschrift: „Können Sie nachts noch ruhig schlafen?“, bekommt da noch einmal mehr Schlag.
Bitte schicken Sie mir die Druckfahne!
Dass sich deutsche Journalisten über die hiesige Autorisierungspraxis aufregen, ist bei weitem nichts Neues. Doch so langsam drängt sich der Eindruck auf, dass auch Journalisten aus der sogenannten Qualitätspresse mehr mitmachen, bereitwillig sogar, als man sich träumen ließ. Das muss man jedenfalls aus ihren Forderungen schließen, wenn sie selbst interviewt werden, egal ob für ein Wortlaut-Interview oder für ein Hintergrundstück, in das ein paar Zitate einfließen sollen.
So wollte eine junge Kollegin eines deutschen Wochenmagazins, die explizit für einen Fließtext über ihre Arbeit befragt worden war, den gesamten Text, „die Fahnen“, sehen. Der Kollege einer großen Zeitung wollte zur Autorisierung nicht nur die wörtlichen Zitate, sondern auch die „indirekten Zitate“ vorgelegt bekommen. Zwei Journalisten, die für ein Doppel-Interview befragt worden waren, schickten die autorisierte Langfassung des Gesprächs zurück mit den Worten, man wolle die Interviewfassung, die in kürzerer Fassung gedruckt erscheine, noch einmal autorisieren. Und die Pressestelle eines großen Verlags erlaubte nur, einer Nachwuchsjournalistin Fragen schriftlich zu stellen, die sei ja noch nicht so geübt im Umgang mit den Medien, hieß es, und außerdem, alle anderen Journalisten seien immer froh über schriftlich geführte Interviews, denn „die muss man ja nicht mehr autorisieren lassen“.
Um es kurz zu machen: Die junge Journalistin flog aus der Geschichte, der Kollege bekam nur die wörtlichen Zitate, nachträglich gekürzte Fassungen bereits autorisierter Interviews schicke ich nie erneut, auf das E-Mail-Interview mit der medienunerfahrenen Jungjournalistin verzichtete ich.
Alles Stümper
Doch der Umkehrschluss macht sprachlos: So arbeiten also die Kollegen? Ernsthaft? Oder, was wahrscheinlicher ist, legen sie zweierlei Maß an? „Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht“, hieß es immer wieder. Vulgo: Wir wissen ja mit unserer journalistischen Sorgfaltspflicht umzugehen oder zumindest ihre Grenzen auszureizen – aber die Kollegen da draußen, alles Stümper! Der Meinung ist auch Ex-„Tagesthemen“-Mann Ulrich Wickert, der sich 2008 in einem Kommentar in der FAZ über rundweg schlecht vorbereitete Journalisten echauffierte, die hinterher einen Text „bauen“, die Dramaturgie ändern. So zu tun, „als drohe durch die Bitte um Genehmigung das Ende der Meinungsfreiheit, empfinde ich als weinerlich“, schrieb Wickert, „denn zu diesem Zustand hat die Verlotterung der Sitten unter uns Journalisten selbst beigetragen.“ Und weiter: „Es wundert mich also nicht, wenn Befragte – ob Politiker oder Banker, Schauspieler oder Autoren – auf der nachträglichen Genehmigung bestehen, denn häufig werden sie in ein stundenlanges Gespräch verwickelt. Was man da nicht so alles sagt!“
Ähm – ja, stimmt, was man da „nicht so alles sagt“. Genau darum geht es doch: einen authentischen Eindruck von den Gedankengängen und dem Sprachduktus einer Person zu vermitteln. Und ja, das Gespräch wird aufgezeichnet, ja, es soll so erscheinen, man kann schon ein bisschen nachdenken, bevor man etwas sagt. Geht bei TV- und Radiointerviews doch auch irgendwie. Das ist schließlich Journalismus. Die Fiktion überlassen wir den Romanautoren.
Klar, es gibt auch andere Beispiele. Diejenigen, die vollkommen gelassen der journalistischen Professionalität ihrer Kollegen vertrauen können. Und eben gar nicht auf die Idee kommen, Worlaut-Interviews autorisieren zu wollen. Sondern glauben, dass der Interviewer schon weiß, was er macht.
Die Alternative wäre, in Zukunft zu verfahren wie die „taz“ oder das „Handelsblatt“. Und das Autorisierungsprozedere in einem Infokasten transparent zu machen, das Band als Audiodatei auf die Homepage zu stellen oder gleich nur die Fragen zu veröffentlichen.
Aber man will ja die Kollegen nicht bloßstellen. Wo kämen wir denn da hin.
Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Standpunkt“ auf Seite 56 bis 57. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.