Frau Topçu, Sie kritisieren, dass viele Journalisten-Kollegen die Verbrechen mit rechts-terroristischem Hintergrund als „Dönermorde“ bezeichnet haben. Warum?
Weil nicht Fleischspieße, sondern Menschen ermordet wurden. Es erstaunt mich sehr, dass die Kollegen erst nach der lauten Kritik von Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, darauf aufmerksam wurden, was für einen schlimmen, herabsetzenden, diskriminierenden Begriff sie bei der Berichterstattung verwendet haben. Sprache ist doch zentral in unserem Beruf und wir wissen, wie Sprache wirkt. Im Idealfall überlegen wir uns doch bei jedem Schreibprozess, was unsere Worte, unsere Sätze bewirken können. Im Fall der „Dönermorde“ hat offensichtlich die Sprachpolizei in den Redaktionen geschlafen. Kaum ein Redakteur oder Journalist fand den Begriff verwerflich. Ich befürchte, dass es die Fortführung der Unbedachtheit und mangelnde Sensibilität ist, die die Polizeibeamten in den Ermittlungsbehörden zu dieser Wortkreation verleitete. Das Wort ist ja in der Amtsstube entstanden.
Journalismus braucht Schlagworte, welches hätten Sie denn gewählt?
Wieso braucht es für den Mord an neun Menschen, von denen acht einen türkischen Migrationshintergrund hatten und die Gewerbetreibende waren, ein Schlagwort? „Mordserie“ reicht doch – das passt sogar in jede Überschrift.
Was sollte sich ändern, damit solche Wortschöpfungen nicht unreflektiert verbreitet werden?
Wir brauchen grundsätzlich einen sensibleren Umgang in der Berichterstattung – im Gebrauch der Sprache und in der Zuordnung von Personen im Kontext des Themas. Um ein Beispiel zu nennen: In einem Bericht über einen Kindergarten einen achtjährigen Jungen, dessen Eltern schon hier geboren sind, als türkisches Kind zu bezeichen, halte ich für falsch. Oder auch die Herkunft von Personen zu nennen, wenn es inhaltlich irrelevant ist. Wenn wir möchten, dass die Realität dieses Landes, nämlich eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft, ins Bewusstsein der Menschen rückt, dann sollten wir das in unserer Berichterstattung auch berücksichtigen. Der erste Schritt dazu ist, auf unsere Sprache zu achten und Begriffe bewusst zu verwenden. Der zweite wäre, uns bewusst zu machen, wie wir über Menschen mit einem direkten oder indirekten Migrationsbezug berichten. Diese Achtsamkeit lässt sich schulen – über Workshops und Seminare. Das Problem ist aber, dass gestandene Redakteure und Journalisten oft meinen, sie wären erfahren genug und bräuchten keine Nachhilfe. Interview: Carsten Müller
Erschienen in Ausgabe 01+02/202012 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 7 bis 11. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.