Der Unterschied könnte kaum größer sein: Beim Fototermin für dieses Gespräch am Zürcher Verlagssitz posiert der eine, Ringiers Schweiz- und Deutschland-Chef Marc Walder, lässig vor der Kamera. Der ehemalige Tennisprofi spannt seinen Körper und legt jene Entschlossenheit in sein Gesicht, die auf Bildern gut kommt. Walder hat früher als Chefredakteur des People-Flaggschiffs „Schweizer Illustrierte“ selbst jahrelang Prominente inszeniert, er weiß, wie das geht. Dagegen ist ein Fotoshooting für den anderen, Ringiers Vorstandsvorsitzenden Christian Unger, erkennbar fremdes Terrain. Er bewegt sich, nun ja, ein bißchen ungelenk vor der Kamera, das Spiel mit der Eitelkeit ist ihm offenkundig fremd. Man könnte das allerdings auch als geschickte Strategie des Chefstrategen interpretieren, denn der gebürtige Deutsche sagt über sich: „Ich halte mich gerne im Hintergrund, die Stars bei Ringier sind die Geschäftsführer der Landesgesellschaften.“
Gesucht: Edle Titel in Deutschland
Immerhin in zehn Ländern gibt Ringier fast 200 Produkte heraus, und die deutsche Sparte genießt derzeit besondere Aufmerksamkeit. In gut zwei Jahren haben Christian Unger und Marc Walder den Ringier-Verlag mit seinen fast 200 Produkten in zehn Ländern auf den Kopf gestellt. Überrascht von der „dramatischen Entwicklung der Weltwirtschaft und wie sehr sie Ringier erwischt hat“ – wie Unger offen zugibt –, hat der Verlag drastisch gespart. Zugleich wurden mit hohem Tempo zwei weitere Geschäftssäulen aufgebaut: Abverkauf im Internet und Unterhaltung mit Events und Ticketverkauf. Der ehemalige Boulevardjournalist Walder bringt das im Gespräch mit „medium magazin“ auf eine Formel: „Es ist faszinierend, was Ringier gemacht hat: Wir haben im Kernbereich aufgeräumt. Wir investieren ins transaktionsbasierte Zukunftsgeschäft im Internet und in Entertainment. So können wir einerseits wachsen und erschließen gleichzeitig neue Erlösströme.“
Wachsen würde Ringier auch gerne auf dem deutschen Markt: Gerade mal 0,8 Prozent des Jahresumsatzes von 858,4 Millionen Euro erwirtschafteten die Magazine „Cicero“ und „Monopol“ 2009 im Nachbarland. Ganze 44 Mitarbeiter zählte Ringier in Deutschland. Ausbaufähig, wie die forsche Führungsspitze meint: „Wir sind in Deutschland im Wachstums-Mode“, sagt Christian Unger beim gemeinsamen Gespräch mit Marc Walder. Der Deutschland-Chef wird deutlicher: „Zur Zeit schauen wir uns in Deutschland diverse Geschäfte an. Die Mittel dafür stünden bereit. Wobei auch bei Ringier gilt: Die bessere Idee, die bessere Gelegenheit erhält den Zuschlag.“Am liebsten würde Ringier in Titel investieren, die zu „Cicero“ passen, das die Schweizer mit Gründungschefredakteur Wolfram Weimer 2004 auf den Markt brachten. Anfangs belächelt, gilt der Titel heute als Erfolgsgeschichte des Verlags, dessen Profil eigentlich von Boulevardtiteln geprägt ist: „Niemand glaubte an den Erfolg eines solchen Magazins. Aber Michael Ringier hatte eine Vision, die jetzt eingetreten ist. Darauf kann man stolz sein“, sagt Unger empathisch, obgleich er sonst eher zu kühlen Analysen neigt.
Welche Blätter sie sich derzeit genau anschauen, wollen Unger und Walder nicht verraten, ebensowenig, ob auch „brand eins“ dazugehört, wie in Verlagskreisen spekuliert wird – nur so viel: „Cicero“ sei „als Referenztitel eine gute Visitenkarte in Deutschland“, so Walder. Man habe bei der Suche keine kurzfristige Innvestorenoptik: „Die Frage ist: Wie langfristig werthaltig ist das Geschäft?“, sagt Unger.
Ein allzu hohes Risiko wollen beide nicht eingehen. Das zeigte ihr Vorgehen bei der „Woche“, dem Zeitschriften-Projekt von Stefan Aust. Monatelang prüften sie eine Investition, bis zum Erreichen der schwarzen Zahlen waren mindestens 50 Millionen Euro budgetiert. Aber obwohl beide den journalistischen Ansatz des Ex-„Spiegel“-Chefs reizvoll fanden, siegte schließlich die kühle Überlegung, dass man mit dem vielen Geld woanders letztlich mehr Erfolg haben könnte.
Dass es die Schweizer ernst meinen mit ihren Ambitionen, zeigt der Einkauf von Rudolf Spindler, der einst das „SZ-Magazin“ aus den roten Zahlen hievte und nun das deutsche Verlagsgeschäft von Ringier in Schwung bringen soll. Zudem liebäugelt Ringier mit dem Boom-Markt Corporate Publishing. Der Ex-Chef des „Sonntags-Blick“-Magazins Marcel Maerz, wie Unger gebürtiger Deutscher, soll das Geschäft von Berlin aus in Schwung bringen.
Die neue Strategie mit Tierfutter
Daneben jedoch will der Verlag auch verstärkt in digitale Geschäftsmodelle in Deutschland investieren – mit einer klaren Richtung: „Wir investieren nicht in sozia-le Netzwerke, weil wir nicht erkennen, wie man die hohen Reichweiten kommerzialisieren kann“, sagt Walder. Stattdessen sucht Ringier fürs transaktionsbasierte Verkaufsgeschäft im Internet geeignete Unternehmen.
In der Schweiz verkauft der Verlag inzwischen sogar Tierfutter übers Internet – ein Beispiel für die neue Drei-Säulen-Strategie von Ringier: 1. das klassische Print-Geschäft, 2. digitale Erlöse und 3. Entertainment. So verkauft Ringier Tickets für Konzerte und vermarktet neuerdings über das Joint Venture „Pool Position“ mit der deutschen „Kick Media“ auch prominente Sportler wie Radfahrweltmeister Fabian Cancellara oder Skifahrerin Lara Gut.
Die neue Geschäftsstrategie ruft allerdings in der Schweiz auch Kritiker auf den Plan. Der angesehene Publizist Karl Lüönd schimpfte gar: „In diesem Umfeld wird Journalismus nur noch so gebraucht wie die Musik im Warenhaus: als Stimmungselement und als atmosphärischer Aufheller zwecks Animation der Kauflust.“ Und selbst in den verlagseigenen Boulevard-redaktionen fürchten Mitarbeiter, dass sie nun im Verlagsinteresse Konzerte hochschreiben müssen oder Stars unter Ringier-Vertrag nicht mehr kritisieren dürfen.
Christian Unger weist so etwas zurück, mit Verweis auf die dezentrale Struktur im Verlag: „Meinen Sie ernsthaft, die ‚Blick‘-Redaktion im Newsroom würde sich von unserem Ticket-Joint-Venture oder sonst wem etwas vorschreiben lassen?“
Auch Marc Walder, der die Diskussion in den Redaktionen allzu gut kennt, betont, dass Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der klassischen Verlagstitel durch die neuen Geschäftsfelder nicht leiden. So habe der hauseigene „Blick“, in der Schweiz der Boulevardmarktführer, Ski-Ass Lara Gut als „Zicke des Jahres“ betitelt: „Die Angst vor Beliebigkeitsjournalismus ist völlig überzogen.“
Sein Ansatz ist vielmehr: „Wenn wir jahrelang Events großgemacht haben, warum sollen wir nicht selbst davon profitieren? Dies ist, stark vereinfacht, der Gedanke dahinter.“ Das „Montreux Jazz Festival“ beispielsweise habe seine Zuschauerzahl aus der Deutschschweiz verdoppeln können, seit die Ringier-Medien als Kooperationspartner auftreten.
Dagegen hat Ringier in der schönen neuen Welt der Apps mit den branchenüblichen Problemen zu kämpfen. Zwar verkauft der Verlag sehr erfolgreich den Schweizer „Gault Millau“ für 15 Franken pro Applikation. Für journalistische Applikationen Geld zu verlangen erweist sich jedoch schwerer als gedacht. Im vergangenen Sommer startete der „Blick“ eine App für das iPhone: Nach einem Monat für 4,40 Franken wollte man kostenpflichtige Anschlussabos verkaufen.Dazu ist es allerdings mangels Nachfrage bis heute nicht gekommen: Wer einmal bezahlt hat, liest den „Blick“ auf dem iPhone kostenlos. Und auf dem iPad ist der „Blick“ noch gar nicht vertreten.
Anders als Marc Walder, ein großer Fan der Tablet-Anwendungen, hält Verleger Michael Ringier nicht viel vom neuen
Wundergerät der Medienindustrie. Der Verleger gab Walder das iPad nach kurzem Test zurück und frotzelte, er habe schon eine Märklin-Eisenbahn zum Spielen. Auch sonst scheut der Verleger keine deutlichen Worte Richtung Internet, so, als er in Berlin bei der Jahrestagung der Zeitschriftenverleger 2010 die Webszene gegen sich aufbrachte, indem er verkündete: „Wir brauchen Edelmetall, den Schrott gibt es im Internet.“
In den Worten seines CEO Unger klingt das etwas nüchterner: „Das Mediengeschäft müssen wir weiter pflegen, um die Renditen für das Wachstum in anderen Bereichen zu erwirtschaften. Noch haben wir die höchsten Umsatzrenditen im Printgeschäft.“ Gleichzeitig müsse man sich jedoch mit Blick auf weiteres Wachstum fragen, wo künftig „die Dynamik entsteht“, wenn Ringier weiter wachsen will.
Etliche Beobachter haben jedoch nach der starken Umpolung des Geschäfts in den vergangenen zwei Jahren Zweifel, dass Ringier noch an das klassische Geschäft glaubt. Dieses Bild wollen Walder und Unger nun korrigieren mit der Losung „Zurück zum Journalismus“: „Die neue Strategie bedeutet keine Abwertung des klassischen Geschäfts“, betont Unger. Aber es sei eben „extrem schwierig, neue journalistische Produkte für marktführende Positionen zu erfinden“.
Der kleine Schweizer Markt ist tatsächlich schon lange gesättigt. Dennoch fand Ringier immer wieder Lücken: So lesen das Gratisblatt „Blick am Abend“ – das zusammen mit dem Onlineportal, der Tages- und Sonntagsausgabe des „Blick“ seit März 2010 aus einem Newsroom produziert wird – heute durchschnittlich fast 500.000 Schweizer.
Und in diesem Jahr will Ringier eine Kopie des deutschen Shootingsstars „Landlust“ auf den innovationsarmen heimischen Markt bringen – ursprünglich als Lizenzausgabe geplant, nun aber im Alleingang.
Allianz mit Springer
In Osteuropa dagegen kooperiert Ringier seit März 2010 mit Axel Springer. Ohne die Kooperation in fünf Ländern hätte sich Ringier aus einzelnen Märkten wahrscheinlich zurückziehen müssen, weil der angestrebte Expansionskurs zu viel Geld verschlungen hätte. Ringier hat sich den Deal gut bezahlen lassen. 125 Millionen Euro überwies Springer, weil die Schweizer im Osten mehr zu bieten hatten.
Seit Verkündung des Deals ist es ruhig geworden. Einzig die Frage, ob der größte Schweizer Verlag in der Partnerschaft mit Springer nicht in Wahrheit die Nummer Zwei ist, beschäftigt die eidgenössische Verlagsszene. Ringier müht sich redlich um den Eindruck einer Partnerschaft auf Augenhöhe. Und Springer spielt mit. So ist der Sitz des Joint Venture in Zürich, wo auch die Pressekonferenz zur Verkündung des Deals stattfand.
Abseits der Symbolik konsolidiert Springer das Joint Venture voll in seiner Bilanz, was bedeutet, dass die entscheidende Macht bei den Deutschen liegt. Unger belächelt die Diskussion eher: „Da können Sie sich jetzt noch so sehr bemühen. Sie finden weder strategisch noch operativ einen Dissens, weil es einfach gut funktioniert. Das fügt sich in einer Art und Weise zusammen, dass unsere Konkurrenten sagen: Das hättet ihr schon längst machen sollen.”
Dennoch: Überraschungen für den deutschen Partner gab es in Zürich auch schon. So als Springer-Chef Mathias Döpfner Marc Walder nach einer Sitzung im Verlag zur Tür geleitete und der Portier Walder fragte: „Marc, kann ich helfen?“ Döpfner war erstaunt: „Sie sind ja mit allen per Du.“ Klar, „wenn man von unten kommt, ist man mit fast allen per Du“, sagt der zweite Mann im Verlag. Er fing dort Anfang der 90er Jahre als Praktikant mit dem Zusammenkleben von Kartons an. Mit dem unbändigen Willen des Ex-Tennisprofis, dem nur ein Quäntchen für die Weltspitze fehlte, machte er schnell Karriere. Christian Unger dagegen fand über Privatschule, Privatuni, internationale Karriere und die Hilfe eines britischen Headhunters seinen Weg zu Ringier. Trotz der gegensätzlichen Lebensläufe – oder gerade deswegen – funktionieren die beiden als Doppel gut, sind auch privat befreundet. Streit? Gibt es nicht. Der größte Unterschied? Walder hat schnell eine Antwort parat: „Das ist doch offensichtlich: die Frisur!”
Link:Tipp
Der Wortlaut des Gesprächs ist dokumentiert unter www.mediummagazin.de – bis 1. April exklusiv für Abonnenten zugänglich mit Passwort CH3.
Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 32 Autor/en: Markus Wiegand. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.