Der Szene ist ihr Name seit langem ein Begriff: Souad Mekhennet, 32, berichtet seit zehn Jahren über Terrorismus, Radikalisierung, Islamismus, seit 2004 für die „New York Times“ und das ZDF. Eine ungewöhnliche Kombination, „ziemlich einzigartig in Deutschland“, sagt Elmar Theveßen, der sie zum ZDF geholt hatte. Er lobt sie als „sehr gewissenhafte, hochprofessionelle Kollegin“, die für die beiden Medien sehr wichtig sei, weil sie „auch dank ihrer Sprach- und Fachkenntnisse gerade in dem Bereich Islamismus, Terrorismus, Naher Osten Zugänge bekommt, die für uns nicht so einfach möglich sind.“ Beispielsweise hat sie als Erste, 2005, die Geschichte des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri aufgedeckt. Vor drei Jahren wurde Souad Mekhennet bereits unter die besten „Reporter des Jahres“ gewählt – „vorzügliche Beiträge zu einem überaus wichtigen Thema“, befand damals die „medium magazin“-Jury.
Ihr Gesicht kannten aber hierzulande wenige. Bis Anfang Februar, als Souad Mekhennet im „heute journal“ vor der Kamera über ihre Erlebnisse in Ägypten berichtete. Sie war eine der ersten ausländischen Reporterinnen, die in den Revolutionswirren verhaftet wurden. Ihr Bericht darüber in der NYT machte international Schlagzeilen: Mit ihrem NYT-Kollegen Nicholas Kulish war sie aus Sicherheitsgründen im Autokonvoi mit einem ZDF-Team unterwegs von Alexandria nach Kairo. Bei einer Straßenkontrolle finden Polizisten in ihrem Kofferrraum Satelliten-Übertragungstechnik und, versteckt in einer Tasche, 10.000 Dollar. Keine ungewöhnliche Summe für Reporter in Krisengebieten. Beides aber gehörte dem ZDF-Team und war in der Hektik des Aufbruchs versehentlich und ohne ihr Wissen in ihrem Wagen gelandet. Die Polizisten vermuten jedoch in der Deutschen mit arabischer Abstammung und ihrem amerikanischen Begleiter Spione und übergeben sie dem Geheimdienst. Bevor man ihnen die Telefone abnimmt, können sie noch die NYT und das ZDF informieren, die sich mit den Botschaften intensiv um die Freilassung bemühen. Dennoch werden sie über Nacht in einem Hochsicherheitstrakt festgehalten und verhört, psychisch massiv unter Druck gesetzt. Nach ihrer Freilassung tags drauf schreiben die beiden Reporter sofort für die „New York Times“ über die Zustände in dem ägyptischen Gefängnis, über die Folterungen.
Als wir uns zum Gespräch verabreden, ist sie gerade ein paar Tage zur Erholung in Frankfurt, zu Hause. Wir treffen uns in einem Café, den genauen Ort will sie öffentlich nicht preisgeben: „You never know.“ Sie ist vorsichtig, geübt im Selbstschutz. Wir wollen über ihre Erfahrungen und ihre Einschätzung als internationale Reporterin reden. Die Eindrücke aus Ägypten sind noch sehr frisch, trotzdem spricht sie ruhig, sehr überlegt:
Warum haben Sie den Bericht in der NYT geschrieben? Ihnen war ja klar, dass Sie danach sofort das Land verlassen mussten.
Souad Mekhennet: Wir empfanden es als Pflicht, diese Einschüchterungsversuche öffentlich zu machen. Gegenüber den Kollegen in Ägypten, die weiter ihren Job machen mussten in einer immer gefährlicheren Situation, und gegenüber den Ägyptern, die massiv unter Druck gesetzt wurden. Den Demonstranten war es überaus wichtig, dass wir, die westlichen Journalisten, berichteten.
Haben Sie mit der Entwicklung gerechnet?
Vorausgesehen habe ich das mit Sicherheit nicht. Natürlich hatte ich etwas genauer hingesehen, nach dem, was in Tunesien passiert ist. In vielen Ländern des Nahen Ostens war schon lange eine sehr große Unzufriedenheit besonders über die herrschende Klasse zu spüren. Und als es in Tunesien losging, war auch in den Foren der Dschihadisten zu lesen: „Auch wir müssen uns erheben“. Anfangs sah es in Ägypten trotzdem noch nach einem Protest aus, der, wie schon so oft, rasch von der Staatsgewalt niedergeschlagen würde – auch weil jeder wusste, wie gut vernetzt Mubaraks Sicherheitsbehörden bislang waren. Aber wer das Freitagsgebet am 28. Januar vor Ort erlebt hat, konnte erkennen, dass die Proteste diesmal intensiver waren und weiter gehen würden.
Wie haben Sie das erlebt?
Die Demonstrationen begannen dezentral in vielen Moscheen in Alexandria. Mein Kollege Nicholas Kulish von der NYT und ich standen auf dem Hausdach vor einer der größten Moscheen und konnten von dort verfolgen, wie immer mehr Leute skandierten: „Das Volk will den Sturz des Präsidenten.“ Zunächst versuchte die Polizei, die Demonstranten zu vertreiben, es flogen Steine, es wurde sehr gefährlich. Dann gab es erste Verletzte. Dennoch strömten immer mehr Demonstranten auf den Platz. Dann geschah etwas Außergewöhnliches: Die Fronten lösten sich auf. Polizisten zogen ihre Uniformen aus, gaben den Demonstranten Wasser und verbündeten sich mit ihnen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war uns klar: Dieser Protest hat eine andere Qualität.
Warum waren Sie eigentlich vor Ort – Zufall oder Weitsicht?
Ich war eigentlich für Buchrecherchen mit Nick seit Mitte Januar in Ägypten. Die NYT hat uns dann umgehend gebeten, nach Alexandria zu gehen, auch der Kollege aus Tunesien wurde sofort nach Kairo geschickt und zusätzlich weitere Leute eingeflogen. Die amerikanischen Medien haben interessanterweise viel schneller reagiert als die europäischen Medien.
Wie erklären Sie sich, dass langjährige deutsche Korrespondenten das zunächst nicht erkannt haben?
Ich kann nur sagen: Wer an jenem Freitag auf Ägyptens Straßen war und diese Demonstration mitbekam, der hätte erkennen können, dass es damit nicht enden würde. Es kommt letztlich darauf an, welchen Zugang ein Reporter auch zu den Menschen auf der Straße hat. Das ist nun mal unser Job – auch wenn es mal unangenehm wird, wenn man Tränengas in die Augen kriegt oder vor prügelnden Polizisten wegrennen muss, wie Nick, viele andere Kollege und ich es selbst erlebt habe. Aber natürlich muss man auch ganz klar sagen, dass wir alle auch eine Mitverantwortung für jene haben, die mit uns im Team arbeiten, und bei Fernsehteams sind das natürlich in der Regel noch einige mehr Leute als bei Print- und Hörfunkjournalisten. Es bringt auch nichts, wie Rambo irgendwo vorzupreschen und ohne eine richtige Einschätzung der Situation einer Story nachzujagen und damit alle anderen in Gefahr zu bringen.
Haben ARD und ZDF das Thema anfangs verschlafen, wie die FAZ es anprangerte?
Dass das Thema verschlafen wurde, wäre sicher zu radikal gesagt. Man darf nicht vergessen, dass gerade Fernsehleute ja nicht alleine arbeiten. Ihre ägyptischen Mitarbeiter hatten wahnsinnige Angst, wollten ihre Familien nicht in Gefahr bringen. Die Sorge war, dass sie auf dem Tahrir-Platz gesehen und vom Geheimdienst identifiziert würden. Wenn Sie nicht arabisch sprechen, sind sie aber auf diese Mitarbeiter angewiesen. Das hat einige Kollegen sehr eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit.
Es ist aber in einer solchen Situation als Journalist problematisch, wenn man sich nur auf einheimische Stringer oder Producer verlässt, und überhaupt nicht selbst vor Ort recherchiert – auch weil man vielleicht die Sprache kaum spricht.
Um erst gar nicht in eine solche Zwangslage zu kommen, haben amerikanische Medien wie CNN dagegen sofort Arabisch sprechende Journalisten, die keine Ägypter waren, eingeflogen, um vor Ort unabhängig von einheimischen Stringern oder Producern arbeiten zu können. Bei der NYT hatten wir direkt nach dem Aufstand in Tunesien eine Konferenz, in der das weitere Vorgehen frühzeitig geplant wurde, wenn andere Länder folgen. Dort wie auch bei anderen amerikanischen Medien hat man sich sofort besser darauf vorbereitet.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Man darf nicht unterschätzen, dass die USA schon allein wegen Israel und der amerikanischen Präsenz ein sehr großes Interesse an der Region haben. Von daher wird – auch schon vor den ersten Ereignissen in
Tunesien – in den großen US-Medien viel kontinuierlicher und breiter über den arabischen Raum berichtet. Über die Opposition, die Autokratie, die Moslembrüder und auch über die Gesellschaft in diesen Ländern. Zum Beispiel hat CNN International das Format „Inside the Middle East“ – wo es nicht nur um politische Fragen geht, sondern auch um kulturelle oder soziale Themen geht. Al Jazeera English bringt natürlich auch viel aus der Region. Aber diese Sender sind natürlich nicht mit denen vergleichbar, die wir hier in Deutschland haben.
Sehen Sie noch andere Gründe als die geopolitischen Interessen?
In Deutschland dagegen spielte die Auslandsberichterstattung in den letzten Jahren eine immer geringere Rolle – sei es, weil es die Leser oder Zuschauer nicht interessiert oder Redakteure der Meinung sind, dass die Leser harte Themen jenseits von Tourismus und Terror nicht interessieren. Viele meiner Kollegen hatten mir davon berichtet: wenn man andere Themen als Tourismus, Tauchparadies und Pyramiden in Ägypten anbot, erhielt man oft genug in deutschen Redaktionen die Antwort: „Das will doch keiner hören oder sehen.“ Aber die arabische Welt ist nun mal vielschichtiger und hochinteressant. Ich glaube, dass sich viele ihre Ansätze zu Auslandsberichterstattung jetzt noch mal überdenken werden nach all dem, was im Nahen Osten so geschieht.
In einem ZDF-Special kritisierte ein ägyptischer Politologe die Journalisten: „Sie stellen die falschen Fragen, zu sehr nach Bedrohung, zu wenig nach Chancen.“ Stimmt das?
Nein. Im Großen und Ganzen kann man das nicht sagen. Ich glaube aber, dass fehlende Zwischentöne ein großes Problem sind. Weil über andere Themen als die Bewegungen gegen Radikalisierung in den Ländern kaum berichtet wurde, ist der Eindruck entstanden, dass es nur noch die beiden Extreme gibt. „Die oder die.“
So haben selbsternannte Experten den Aufstand zeitweilig als einen Aufmarsch der Moslembrüder bewertet. Das war einfach falsch. Da waren zwar auch viele Moslembrüder dabei, aber selbst die sind ein ganz heterogener Haufen – wie auch die Protestbewegung, darunter Christen wie Atheisten. Linke wie Moslems. Das bedeutet nicht, dass man die Berichterstattung über der Bedrohungspotenzial der Moslembrüder unterlassen sollte. Es existiert nun mal. Nur: die arabische Welt hat viel mehr Facetten zu bieten, die zu dem Gesamtbild gehören. Darüber sollten auch die deutschen Medien mehr berichten, wenn sie kein einseitiges Bild zeichnen wollen.
Sie haben einen deutschen Pass, marokkanisch-türkische Wurzeln, arbeiten für amerikanische und deutsche Medien. Wie verstehen Sie sich eigentlich selbst?
Ich bin natürlich durch meine Kindheit in Deutschland geprägt, aber ebenso durch meine arabischen Wurzeln. Ich sehe anders aus als die Durchschnitts-Deutsche und ich fühle mich als Migrantin, vor allem, wenn man von einigen Politikern hört, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Als Kind muslimischer Einwanderer, die seit fast 40 Jahren hier leben, fragt man sich dann schon, ja wo gehören wir denn hin?
Eigentlich fühle ich mich als internationale Person durch die Tatsache, dass ich in vielen Kulturen zu Hause bin. Die Art und Weise, wie ich arbeite, ist europäisch, aber wie ich Dinge empfinden kann, das ist international und arabisch geprägt.
Welche Rolle spielt für Sie die Tatsache, dass weniger als zwei Prozent der deutschen Journalisten Migranten sind?
Natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand durch einen eigenen Migrationshintergrund einen anderen Zugang, eine andere Sichtweise hat, die man auch den Zuschauern und Lesern mitteilen kann. Deshalb setzen die amerikanischen Medien ja verstärkt solche Journalisten mit Migrationshintergrund ein.
In Deutschland ändert sich das jetzt, wenn auch langsam. Bei „Spiegel-Online“ beispielsweise arbeiten Kollegen mit arabischer und pakistanischer Abstammung, die ich sehr schätze. Auch beim ZDF sieht man jetzt viel mehr Kollegen mit arabisch oder türkisch klingenden Namen. Aber nicht jeder Kollege, der einen arabischen Namen trägt, ist auch Moslem. Mir ist im Prinzip egal, welche Religion und Abstammung jemand hat. Hauptsache er ist ein guter Journalist.
Aber besonders wenn man sich die Bevölkerungsstruktur in Deutschland anschaut, ist es an der Zeit, dass sich die Medien mehr für Migranten öffnen. Kulturelle Kompetenz ist heute wichtiger denn je für den Journalisten-Beruf. Und der Umgang mit anderen Kulturen wird sich zwangsläufig ändern, wenn mehr Migranten in den Medien vertreten sind.
Manche halten es heute für einen Karrierevorteil im Journalismus, wenn ein Bewerber weiblich, mehrsprachig und Migrantin ist. Stimmt das?
Nein. Echt nicht …
Fühlen Sie sich eher benachteiligt?
Nach den Attentaten vom 11. September 2001 sagte mir einmal ein hochgestellter Redakteur: „Du musst schon vorsichtig sein. Es kann schon sein, dass dich der eine oder andere auch für eine Taliban-Spionin hält.“ Solche Erlebnisse hatte ich mehrfach. Das hat meinen Job sicher nicht erleichtert. Aber am Ende muss ich diesen Leuten doch dankbar sein, da ich nur so am Ende dort gelandet bin, wo ich jetzt bin. Nämlich für die „New York Times“ schreiben und für das ZDF Filme machen darf.
War das der Grund, warum Sie heute für die „New York Times“ arbeiten?
Indirekt ja. Nachdem ich im Sommer 2001 die Henri-Nannen-Schule abgeschlossen hatte, wollte ich zunächst mein Studium in Frankfurt abschließen. Kurz darauf aber passierte der Anschlag vom 11. September. Als ich erfuhr, dass drei der vier Attentäter-Piloten in Hamburg studiert hatten, ging ich dorthin zurück. Ich habe auf eigene Faust recherchiert – ich wollte verstehen, was ich mir als Muslima nicht erklären konnte: Warum Muslime so etwas machen.
Ich habe meine Recherchen deutschen Medien angeboten, auch für den „Spiegel“ gearbeitet, kam aber gegen die alten Platzhirsche nicht an. Dann sprach mich der Korrespondent der „Washington Post“ an, der ebenfalls in Hamburg mit Freunden von Mohammed Atta gesprochen hatte. Er fragte mich, ob ich an einer Geschichte „Ein Jahr nach dem 11. September“ mitarbeiten wolle – das war dann der Anfang.
Haben Sie es als Journalistin eigentlich leichter oder schwerer als ihre männlichen Kollegen im arabischen Raum?
Ich hatte noch nie Probleme als Frau. Im Gegenteil: Die Kombination Frau, spricht arabisch, kennt den Kulturkreis, Muslima funktioniert sehr gut. Das gilt für normale Zeiten. Während der Rebellion war es aber für alle gefährlich. Eine Kollegin des amerikanischen Senders beispielsweise wurde auf dem Tahrir-Platz von ihrem Team getrennt und wohl auch sexuell angegriffen. Dennoch, generell ist die Hemmschwelle eine Frau zusammenzuschlagen höher als einen Mann.
Wie schätzen Sie die aktuelle Entwicklung im Nahen Osten ein?
Was da in Ägypten passiert ist, dass man Mubarak durch Aufstände zum Rücktritt zwingen konnte, ist etwas Unglaubliches. Ob aber das System wirklich verschwinden wird, muss sich erst zeigen. Es könnte sein, dass am Ende die Demonstranten nicht zufrieden sind mit den bisherigen Ergebnissen. Das könnte zu einer weiteren Radikalisierung führen.
Es ist spät geworden. Souad Mekhennet muss noch ihre Koffer packen. Am anderen Morgen fliegt sie nach Pakistan, gerade arbeitet sie als Co-Autorin mit Elmar Theveßen an einer zweiteiligen Dokumentation zum Jahrestag 9/11, in der es um die internationalen politischen, psychologischen und wirtschaftlichen Folgen des Terroranschlags gehen wird. Nach der Rückkehr bleiben ihr nur ein paar Tage in Frankfurt, da geschieht das Attentat am Frankfurter Flughafen. Souad Mekhennet berichtet darüber für die NYT und für das ZDF, spricht mit der Familie des Attentäters. Als das Gespräch gesendet wird, ist sie wieder unterwegs, in Tunesien für eine Reportage über den Stand der Demokratisierungsbewegung,
die das ZDF am 13. März sendete. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits auf einer Recherchereise in den USA. Alltag einer Reporterin zwischen den Welten.
Medium:Online
Das ausführliche Gespräch mit Souad Mekhennet und eine detaillierte Schilderung der Umstände ihrer Verhaftung sind im Wortlaut dokumentiert unter www.mediummagazin.de
Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 20 bis 20 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.