Darf man … linken?

Von Stefan Niggemeier

Christoph Schultheis bloggt wieder. Vor fast zwei Jahren hatte er bei BILDblog aufgehört – unter anderem, weil er sich nicht mehr jeden Tag mit so viel Mist beschäftigen wollte. Danach begann er, über Rechtsradikalismus in der Mitte unserer Gesellschaft zu recherchieren.

Mit der taz Reporterin Astrid Geisler schrieb er das Buch „Heile Welten“, das im Februar erschienen ist. In ihrem Blog heile-welten.de wollen sie sich weiter mit der Alltäglichkeit extrem rechter Akteure und Positionen auseinandersetzen und Berichte aus verschiedenen Quellen zusammentragen. Es geht dabei um Phänomene wie die populäre islam- und moslemfeindliche Internetseite „Politically Incorrect“ und die ihr nahestehende, noch nicht ganz so populäre Partei „Die Freiheit“, um NPD-Leute und ihre Veröffentlichungen und um erstaunliche Publikationen wie das niederbayerische Magazin „Umwelt und Aktiv“ für die braune Öko-Szene („Umweltschutz, Tierschutz, Heimatschutz“).

Wer sich in dieses Getümmel stürzt und nicht nur aus der Vogelperspektive, sondern am konkreten Beispiel über solche Themen berichtet, steht schnell vor einer grundsätzlichen Frage: Darf man auf solche Seiten verweisen? Es geht dabei nicht nur um die Leserzahlen dieser Angebote, die jeder „Heile Welten“-Leser, der auf einen dieser Links klickt, erhöht. Es geht um die Frage, was ein solcher Link aussagt und, grundsätzlicher, was man seinem Leser zutraut. Muss er vor den befremdlichen, zweifelhaften, womöglich rassistischen Inhalten geschützt werden?

Es gibt auch in der Welt der Blogs, wo das Setzen von Links eigentlich Standard ist, eine Strömung, die es penibel vermeidet, publizistische Gegner mit einem direkten Verweis zu adeln. Der als „Don Alphonso“ wütende Autor Rainer Meyer zum Beispiel, der auch für faz.net bloggt, schreibt in solchen Fällen in seinen Blogs gerne nur die Adresse der entsprechenden Seite hin, ohne sie tatsächlich zu verlinken (falls er das konkrete Ziel seiner Angriffe nicht ohnehin verbrämt). Das ist zunächst einmal nur Ausdruck der Ablehnung; die Vermeidung jedes Anscheins von Aufwertung, nach dem Motto: Du hast keinen Link verdient.

Aber gerade bei rechtsradikalen oder -populistischen Inhalten scheint noch ein anderer Gedanke eine Rolle zu spielen: Die Sorge, dass Menschen, die dieser Propaganda ausgesetzt sind, ihr wehrlos ausgeliefert sind und der Ideologie verfallen. Natürlich läuft jeder kritische Artikel, zum Beispiel über „Politically Incorrect“, Gefahr, überhaupt erst Menschen auf dieses Angebot aufmerksam zu machen. Und bestimmt gibt es Leute, die dort hängen bleiben, das Gefühl haben, unter Gleichgesinnten zu sein, und sich von dem einfachen, geschlossenen Weltbild beeindrucken lassen.

Und doch sind diese Inhalte nicht in einer Weise infektiös, dass jeder Kontakt mit ihnen vermieden werden müsste. Und wenn wir als Journalisten nicht glauben, dass Aufklärung und Argumente Menschen davor schützen können, auf Propaganda hereinzufallen, könnten wir den Beruf gleich aufgeben. Die andere Gefahr ist womöglich größer: Dass man dadurch, dass man Menschen das Material gar nicht zeigt, mit dem man sich kritisch auseinandersetzt, ihm eine mythische Wirkung zuspricht, die es erst interessant und reizvoll macht. Astrid Geisler und Christoph Schultheis haben sich auf heile-welten.de dafür entschieden, „grundsätzlich auch Websites mit umstrittenem Ruf und/oder fragwürdigen Inhalten zu verlinken. Um die freie Meinungsbildung nicht zu behindern, halten wir es letztlich für wünschenswert, dass Sie sich selbst ein Bild von den unsererseits (zur Dokumentation und als Quelle) verlinkten, frei zugänglichen Websites machen können.“ Aber sie distanzieren sich von den so verlinkten Inhalten ausdrücklich: Sie versehen solche Links mit einem roten Sternchen und entsprechender Erklärung. Dass diese Verweise nicht als Empfehlung gemeint sind, verstehen sogar – dank entsprechender Programmierung – Suchmaschinen wie Google.

Anders hält es Daniel Erk, der für die taz das „Hitlerblog“ betreibt, das die teils absurden Formen zeigt, die die Verklärung von Hitler zum größten Popstar aller Zeiten mit sich bringt. Er formulierte vor Jahren schlicht und prägnant seine Regel: „Nazis linkt man im Leben, aber nicht im Netz.“ Aber damals ging es konkret um den Verweis auf ein Versandhaus, in dem sich „Happy Hitler Girly-Shirts“ und Sportleibchen mit „Waffen-SS“-Aufdruck bestellen ließen. Die Angabe der Adresse des Internetshops hätte der interessierten Zielgruppe nur die Bestellung erleichtert. Das ist ein anderer Fall – das muss ja nicht sein.

Die meisten großen Online-Medien im deutschsprachigen Raum sind allerdings in einer Situation, in der sie sich all diese Gedanken gar nicht machen müssen. Nach wie vor ist es die Regel, dass auf externe Seiten, auf Quellen und weiterführende Informationen außerhalb des eigenen Hauses nicht verwiesen wird. Während etwa das Internet-Angebot des britischen „Guardian“ während der Unruhen in Ägypten interessante Quellen aus dem ganzen Netz zusammensuchte und einband, setzte „Spiegel Online“ auf einen Nachrichtenticker, der bloß Berichte eigener Leute und Agenturmaterial zusammentrug. Es war eine übersichtliche, traurige, abgeschlossene Informationswelt. Ohne Links.

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Erschienen in Ausgabe 03/2011 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 73 bis 73. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.