Eines morgens brach Otto Hessler* am Küchentisch in Tränen aus. „Ich kann da nicht mehr hingehen“, sagte er zu seiner Frau. Da – damit meinte er das Verlagshaus im Osten der Republik, die Redaktion, die er seit drei Jahren leitete. Mit diesem Nervenzusammenbruch endete das Arbeitsleben von Otto Hessler. Er fiel in tiefe Depressionen, litt unter Angstattacken, kämpfte sich über Jahre mit Hilfe von Ärzten, Psychologen, Reha-Kliniken wieder heraus und ging danach in den vorgezogenen Ruhestand.
Ganz anders war es bei Bertram Winter*. Er arbeitete in einer Redaktion in Nordrhein-Westfalen und ging eines Tages wegen Grippebeschwerden zum Arzt. Dieser schaute sich seinen Patienten genauer an und überwies ihn an einen Spezialisten. Am Ende die Diagnose: chronischer Erschöpfungszustand. Winter wurde für ein halbes Jahr aus dem Rennen genommen. Heute arbeitet er wieder in seiner alten Redaktion, hat aber seinen Leitungsposten – auch auf Druck des Hauses – verlassen.
Kaum ein Tag vergeht, an dem Journalisten nicht über Burnout aus allen möglichen Berufsgruppen berichten. Dabei zählen sie selbst zu einer hoch gefährdeten Spezies. Die Fallzahlen für psychische Erkrankungen in den Redaktionen steigen kontinuierlich an, wie Krankenkassen und Presseversorgungswerk bestätigen. Die Palette reicht von Angstzuständen über Depressionen bis hin zur Berufsunfähigkeit. Die Ursachen sind vielfältig: Arbeitsverdichtung, Personalmangel, ständige Neuerungen, hohe Anforderungen, massiver Input, immer höheres Tempo. Je schneller sich das Karussell dreht, desto mehr Kollegen fallen von der Scheibe. Andererseits liegen die Gründe auch immer in uns selbst. Der Psychologe Klaus Büttermann sagt: „Es trifft fast immer die Leute mit einer Neigung zur Selbstausbeutung.“
Ob es sich dabei um ein tatsächliches oder ein gefühltes Problem handelt, ist unklar. Auf der einen Seite stehen zahlreiche Klagen von Kollegen und Beispiele von Betroffenen, die aufgrund psychischer Probleme lange ausfielen oder die Redaktion verlassen haben. Konkrete Zahlen dazu gibt es nicht. Beim Versorgungswerk der Presse heißt es lediglich, die Zahl der Fälle aus diesem Krankheitsspektrum habe zugenommen. Auch Studien der Krankenkassen lassen diesen Schluss zu. Der allgemeine Trend ist dramatisch: In den vergangenen zwölf Jahren haben sich die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen verdoppelt, wie eine Langzeitstudie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse DAK beweist. Ob dieser Trend auch auf die Medienbranche zutrifft, wurde nicht eigens ermittelt, so DAK-Pressesprecher Frank Meiners. Allerdings sei zu vermuten, dass der generelle Anstieg der psychischen Erkrankungen sich auch bei Journalisten wiederfindet. Was diesen Punkt angeht, ist Christa Hasenmaile sicher. Die Landesfachbereichsleiterin Medien, Kunst und Industrie bei Verdi Bayern hört nahezu täglich von ausgebrannten Kollegen in den Medienhäusern. Für sie kein Wunder: „Man muss nur sehen, wie die Redaktionen vor zehn Jahren besetzt waren und wie es heute ist.“ Hinzukämen Rationalisierungen, wie etwa die Einführung von Newsdesks: „Das ist eine Industrialisierung der redaktionellen Arbeit, die Rückkehr des Fließbands.“ Vor allem beklagt die Gewerkschafterin, dass die Wertschätzung der journalistischen Arbeit stetig sinke. „Wenn man den Redakteuren sagt: Was ihr bisher geleistet habt, ist künftig 30 Prozent weniger wert‘, ist das ein deutliches Zeichen.“
Wertschätzung ist ein Punkt, den die Betroffenen sehr häufig ansprechen. „Es war nicht die Arbeitsbelastung, sondern der psychische Rahmen“, sagt Bertram Winter. Ein Klima des Misstrauens in der Redaktion, Verschwörungstheorien, Geflüster auf den Fluren. Otto Hessler erzählt vom Mobbing der Kollegen. Er fühlte sich als Ressortleiter hintergangen und missachtet. Sobald er nicht im Haus war, wurden Hesslers Vorgaben einfach umgeworfen. Das führte dazu, dass er immer mehr arbeitete, sich nicht mehr freinahm, sonn- und feiertags im Büro war. „Ich konnte mit Stillstand und Ruhe nicht umgehen.“
Verlorene Illusionen.
Auf die Frage, was sie ihrem Arbeitgeber wert sind, bekamen beide Kollegen dann im Krankenstand eine ernüchternde Antwort. Sowohl Hessler als auch Winter haben die bittere Erfahrung gemacht, dass ihr Verlag nicht Blumen in die Reha-Klinik geschickt hat, sondern Auflösungsverträge. Beide beschreiben ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und Depression. Winter spricht von verlorenen Illusionen. „Ich bin tagelang in der Ecke gesessen und habe Rotz und Wasser geheult“, sagt er. Er nahm schließlich den Kampf auf und ließ sich in einen anderen Arbeitsbereich versetzen. Hessler hingegen hat nach langem Nachdenken das Angebot auf Vorruhestand angenommen.
Für Klaus Büttermann sind diese Fälle typisch: „Nur die wenigsten kehren nach einem Burnout wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurück.“ Der Diplom-Psychologe betreut viele Betroffene in seiner psychiatrischen Praxis in Bad Wörishofen. Wer zu ihm kommt, ist meist schon Monate lang krank geschrieben. „Wen es wirklich erwischt hat, der kommt über einen langen Zeitraum nicht mehr auf die Füße.“
Der Hamburger Psychologieprofessor Matthias Burisch teilt die Gefährdeten in zwei Gruppen ein: die Opfer der Umstände und die Selbstausbeuter. Betroffen seien oft Menschen mit hoher Motivation, die eine geringe Wertschätzung von sich und ihrer Arbeit erleben: „Die Ambitionierten haben immer das größte Risiko, an den eigenen Ansprüchen zu scheitern.“ Die Medienbranche biete für das Krankheitsbild einen guten Nährboden. Arbeitsverdichtung, ständige Umbrüche und Neuerungen, wegbrechende Sicherheiten. Gefährlich sei vor allem „ein heroisches Arbeitsethos“, so der Burnout-Experte: „Periodisch auf 150 Prozent zu gehen, das ist Bestandteil des Berufes, das ist gerade im Tagesjournalismus eingebaut.“
Auch in den Verlagshäusern ist der psychische Arbeitsschutz ein Thema. Oft kommt der Anstoß vom Betriebsrat, wie bei der „Süddeutschen Zeitung“. Dort bekamen die Mitarbeiter in diesem Sommer einen Fragebogen, in dem sie negative Belastungen ebenso wie gesundheitsfördernde Faktoren an ihrem Arbeitsplatz nennen sollten. Anlass für dieses Projekt war die latente Unzufriedenheit im Haus, so Betriebsratsmitglied Ralf Settmacher: „Wir haben festgestellt, dass durch die vielen Sparmaßnahmen in den letzten zwei Jahren die Stimmung im Haus immer schlechter wurde.“ Die Ergebnisse der Befragung wurden zusammen mit den Mitarbeitern in mehr als 30 Workshops aufbereitet und Lösungsvorschläge gemacht; was von der Liste wie umgesetzt werden kann, wird bis Anfang 2012 entschieden.
Das Projekt wird vom Internationalen Institut für empirische Sozialökonomie (INIFES) begleitet. Die zuständige Diplom-Soziologin Tatjana Fuchs, die bereits mehrere Medienhäuser betreut hat, kennt die typischen Probleme, die in den Redaktionen immer wieder angesprochen werden: ständiger und zugespitzter Zeitdruck, Informationsüberflutung und ein unzulänglicher interner Informationsfluss. Fuchs betrachtet Journalisten durchaus als Risikogruppe: „Es gibt eine hohe Verbundenheit mit Inhalt und Ergebnis der Arbeit, und dazu einen starken inneren Konflikt mit den Bedingungen der Arbeit und dem inneren Wertesystem.“
Newsrooms ohne Telefone
Auch beim Verlag der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ wurden Redaktionen untersucht. Arbeitsmediziner vom TÜV Rheinland nahmen die Arbeitsplätze und die Abläufe unter die Lupe. Anlass war die Umstrukturierung des Hauses 2009, bei der 300 Arbeitsplätze gestrichen wurden, so WAZ-Personalmanager Joachim Kopatzki. Auch wenn Kopatzki betont, Burnout spiele dabei kein Thema, ist wohl doch offensichtlich, dass man bei einer derart massiven Umstrukturierung schon alleine prophylaktisch die psychische und physische Belastung der Mitarbeiter im
Blick haben muss.
Einige Chefredakteure versuchen mittlerweile ebenfalls vorzubeugen und dem wachsenden Druck zu begegnen: „Eine wichtige Frage wird in Zukunft, wie man die durch den erheblich wachsenden Arbeitsanfall gestiegene Belastung besser verteilen und die Arbeit stressfreier gestalten kann“, sagt Daniel Freimuth, Redaktionsleiter beim „Hanauer Anzeiger“. Es gehe darum, den Produktionsprozess zu entschleunigen. So haben die Hanauer einen speziellen Redaktionspool eingerichtet. Dort wird mit Hilfe von studentischen Mitarbeitern die Flut von Post und E-Mails vorsortiert und die Schwarzbrotarbeit gemacht, also etwa Ankündigungen von Vereinen. Im Newsroom gibt es keine Telefone und E-Mail-Accounts mehr, um ruhigeres Arbeiten zu ermöglichen. Außerdem führte die Zeitung feste Pausen und Arbeitszeiten ein. „Damit ist gewährleistet, dass jeder eine Stunde Mittagspause macht und pünktlich nach Hause geht“, sagt Freimuth.
Bei der „Nordsee-Zeitung“ ist die Belastungssituation seit Anfang des Jahres Thema von Workshops für die leitenden Redakteure. „Wir brauchen eine Verantwortungskultur für uns selber und für die Mitarbeiter, eine ethische Führung“, so Chefredakteur Jost Lübben. In regelmäßigen Gesprächsrunden wird darüber diskutiert, wie man gutes Feedback gibt, wie man über die eigenen Schwächen spricht, wie man Signale erkennt, wenn ein Mitarbeiter überfordert ist, und wie man darauf reagiert. „Oft spielen private und berufliche Probleme zusammen, das Thema ist durchaus tabuisiert“, sagt Lübben. Er weist dann schon einmal einen Kollegen an, einen Abend pro Woche um 18 Uhr nach Hause zu gehen und mit seiner Familie zu verbringen. Wobei Lübben auch klar ist: „Sehr vieles liegt in unserer eigenen Verantwortung.“
Freie sind besonders bedroht
Das sieht auch Bertram Winter so. „Es reicht nicht, zu sagen, die böse Umwelt ist schuld.“ Er hat sich in der Therapie intensiv mit seinen Lebensmustern und Handlungsstrategien auseinandergesetzt und begriffen: „Es gibt Wichtigeres im Leben als diesen Job.“
„Selbstaufmerksamkeit“ nennt das Matthias Burisch. Diese Tugend sei aber bei Journalisten ebenso wenig verbreitet wie bei Managern. Nur wer auf sich achtet, kann der Überlastung gegensteuern. Dies gilt besonders für freie Journalisten, die als Einzelkämpfer oft kein Korrektiv haben und unter beständiger Unsicherheit leiden. Der freie Fernsehjournalist und Dokumentarfilmer Markus Henssler kennt den Druck: „Die Preisspirale wird brutal angezogen, alles muss immer schneller und immer billiger gemacht werden, Überstunden sind normal.“ Zusätzlich haben viele Freie kein Auffangnetz. Wenn sie langfristig krank werden, droht der Abstieg.
Auf der anderen Seite sind die Freien eine Bedrohung für die Festangestellten. Tatjana Fuchs berichtet, dass bei den Umfragen in den Redaktionen gerade die Themen „Leiharbeit“ und „befristete Arbeitsverträge“ Sorgen auslösten: „Das ist auch ein Disziplinierungsinstrument, damit setzt ein Unternehmen die eigenen Leute latent ständig unter Druck.“ Ihrer Meinung nach unterschätzen die Unternehmen das Thema nach wie vor. „Burnout ist die Spitze des Eisbergs. Der chronische Arbeitsdruck hat so zugenommen, die Erschöpfungsgefühle sind dermaßen weit verbreitet, dass es alarmierend ist.“
Der ehemalige Ressortleiter Betram Winter ist im Nachhinein „froh, dass es so gekommen ist“. In der Therapie hat er gelernt, nicht mehr alles zu bewerten und zu kommentieren. Er schreibt weiterhin seine Geschichten und hat dafür auch einen hohen Anspruch. Aber: „Ich fühle mich nicht mehr verantwortlich für das Wohlergehen des gesamten Unternehmens.“ Otto Hessler kann das bestätigen: „Es darf auch mal Tage geben, an denen nichts läuft.“
* Namen von der Redaktion geändert
Tipps um burnout vorzubeugen
Persönliche Konflikte lösen. Sich fragen: Wieso kann ich keine Grenzen setzen? Was ist mir wichtig im Leben, was will ich wirklich?
Rückhalt in der Familie, bei Freunden suchen, sich ein externes Frühwarnsystem aufbauen
Widerständigkeit: auch mal Nein sagen, nach heftigen Arbeitsphasen sich mindestens zwei Tage Entspannung gönnen
Rituale einführen: wöchentlich in die Sauna, wegfahren
Arbeitszeiten klar regeln und planen, notfalls verringern
Für planbare Freizeiteinheiten und genügend Ausgleich sorgen
Zeitmanagement: Arbeit organisieren, delegieren, Termine realistisch planen
Belastende Arbeitssituationen analysieren und gegenüber dem Vorgesetzten (oder dem Betriebsrat) ansprechen
Handy ausschalten
Gezielte Entspannung: spazieren gehen, meditieren, Musik hören
Feste Zeiten für den Partner schaffen
Regelmäßige Bewegung: mindestens zweimal die Woche 30 Minuten Sport
Gesundes Essen mit Zeit
Ausreichend guter Schlaf
Alkoholpause einlegen (ebenso für andere Suchtmittel)
Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 60 bis 61 Autor/en: Robert Domes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.