Und auf einmal war er oben

Man könnte es ganz einfach sagen: Die ARD hat ein Problem. Das ZDF hat Markus Lanz.

Seit September starren die ARD-Verantwortlichen auf das Talk-Ei, das sie sich ins Programm-Nest gelegt haben und das sich einfach nicht öffnen will. Sie warten darauf, dass die Schale bricht und sich ein wunderschöner Vogel herausschält, ein Publikumsmagnet, dessen Bewunderer „Oh!“ und „Ah!“ rufen. Doch die Kopfgeburt von fünf hochkarätigen Gesprächssendungen unter der Woche will sich nicht entwickeln. Der Blick wird langsam trüb, während beim öffentlich-rechtlichen Nachbarn ein facettenreicher Vogel an drei Abenden für gutes Infotainment sorgt. Und nach und nach an Format gewinnt. Auf einmal war er sogar als Nachfolger für Thomas Gottschalk im Gespräch.

Harmlos in Cord-Anzügen

Dabei war Markus Lanz zunächst kaum mehr als ein Lückenfüller. Weilte der Gottvater der Harmlosigkeit Johannes B. Kerner mit seiner Gesprächssendung im Urlaub, durfte seit 2008 „der Kleine“ ran, den man von RTLs „Explosiv“ geholt hatte. Der nette junge Mann mit wenig Ecken und Kanten, einer, der Cord-Anzüge trägt, und der von RTL die beflissene Art mitbrachte, Unrecht zu benennen. Zuerst gab man ihm Kerners Kochsendung am Freitagabend, und als der 2009 zu SAT.1 ging, schien es folgerichtig, Lanz auf seinen Platz zu setzen. Und nun das. Besser als Kerner. Und auch im Quotenmessen mit der ARD an erster Stelle.

Der Südtiroler, der zunächst in die Werbung ging, weil er befürchtete, für einen Beruf bei Radio oder Fernsehen nie gut genug Hochdeutsch zu sprechen, bringt fast zu viel von allem mit: gutes Aussehen, bubenhaften Charme, Witz, Schlagfertigkeit, Reflexionsvermögen, überzeugend vorgebrachtes Interesse an seinen Gästen und die Brücken schlagende Fähigkeit zum Sprücheklopfen im rechten Moment. Dazu kommt ein Faible für originelle Fragen und das Wissen, dass er zu viel Gescheitheit nicht zeigen darf; er ist ja beim ZDF. Und ein cleverer Geschäftsmann: 2010 gründete er mit Markus Heidemanns die Produktionsfirma „Mhoch2 TV“, die neben den Sendungen von Lanz etwa die Kochshows fürs ZDF produziert.

Steht Beckmann für Empathie, Maischberger für Bürgernähe, Will für Klugheit, Plasberg für Scharfsinnigkeit und Polemik und Jauch noch für ein buntes Irgendwas, gibt es bei Lanz alles auf einmal: Spannung, Spiel und Schokolade. Die durchschnittliche Quote seiner Sendung lag 2011 bei 12,3 Prozent, 2010 waren es 10,9. Einzig Jauch hatte im Zeitraum 31. August bis 20. November mit 16,1 Prozent mehr Marktanteil. Maischberger und Will liegen bei 10,8 respektive 10,3 Prozent, Plasberg bei 9,7, Beckmann bei 7,7 Prozent.

Die Gesprächsrunde an drei Abenden pro Woche ist meist nach dem gleichen Schema aufgebaut: ein Opfer, ein Interessanter, einer mit Buch, ein Durchgeknallter, ein Bonbon. Gäste wie Peter Hahne, Gregor Gysi, Katja Kessler, gerne in einer Sendung. Sie entspricht dem klassisch-lockeren Plauderprinzip von Formaten wie „3 nach 9“, und dennoch gelingt es dem 42-Jährigen meist, mehr zustande zu bringen als unterhaltsames Geplapper.

Herumgerutsche, Stirn in Falten

„Mich interessieren Menschen, die nicht auserzählt sind“, sagt Markus Lanz im Anschluss an eine Sendung, in der er Vater und Tochter einer Familie vorstellte, in der Erwachsene und Kinder vier Wochen die Rollen getauscht hatten. „Menschen, die gerade etwas Großes erlebt haben, sind mir die liebsten.“ Die größte emotionale Herausforderung seien „diejenigen, bei denen ich weiß, da kommt einer und erzählt die Geschichte seines Lebens. Man muss sich das immer wieder klar machen und respektvoll damit umgehen.“

„Die Geschichte seines Lebens“ diese Formulierung benutzt Lanz gern, wenn er sich in Begeisterung über den Reiz von Menschen und ihrem Erleben redet. Wenn es um das berauschende Gefühl geht, das entsteht, wenn er dem Kern einer Sache nahe zu kommen scheint. „Wir hatten neulich die Eltern des ersten Opfers des sogenannten Maskenmanns Martin N. in der Sendung“, erzählt Lanz. 1992 begann eine Entführungs- und Mordserie, bei der mindestens drei Jungen getötet wurden. 17 Minuten Gesprächszeit für einen Vater, der seit dem Tod seines Sohnes minutiös zu ergründen versucht, was geschehen ist. „Mir wurde klar, dass es in dem Gespräch nicht so sehr um den Prozess gehen musste, der in der Öffentlichkeit ein großes Thema war.“ Stattdessen ließ er den Vater erzählen, der so akribisch alles zusammengetragen hatte in all den Jahren, jedes Detail aus den Akten kannte.

Lanz will, dass sein Gegenüber weiß: Er, Markus Lanz, hat ihn verstanden. „Mit dem Verstehen-Wollen gehe ich auch immer der Redaktion auf die Nerven. Mit den Inhalten. Ich will wissen, was ist genau der Punkt?“ Beim Schreiben der Anmoderation zeigt sich für ihn, ob die Story eine Story ist: „Wenn sich das nicht in fünf Sätzen verdichtet rüberbringen lässt, dann hat es keinen Sinn.“ Dieses Zuspitzen lernte er bei RTL. „Storytelling, das war das Wort bei RTL. Dafür wurden Seminare um Seminare abgehalten.“

Man mag über die Figur des Markus Lanz lachen, wenn man sich die Sketche der Sendung „Switch Reloaded“ anschaut, deren Comedy-Team in bewährter Manier das herausgearbeitet hat, was überzogen scheint: den Moment der Zugewandtheit, das Auf-dem-Stuhl-Herumgerutsche, sein Die-Stirn-in-Falten-Legen, die Empathiebekundungen. Aber das, was hier lustig ist, ist zugleich Lanz’ Stärke: Zuhören können und ein Interesse zeigen, das nicht von Empathie erdrückt wird. „Es ist so etwas wie kindliche Neugier. Ich will immer wissen, was hinter der nächsten Kurve liegt“, sagt er mit herausforderndem Zug im Gesicht.

Ein Moderator wie ein Partygast

Mit entsprechender Neugier treibt er dann auch schon mal seine Gäste durch die Sendung. Zumindest die Profis. Die, die wissen, wie das Spiel läuft und bei denen man aufpassen muss, dass sie nicht die Regie übernehmen. Dann kann er schnell sein, fordernd, dann kommt jene Technik hervor, die ihn selbst an Bettina Böttinger erinnert, temporeich und überraschend aus der Hüfte geschossen. Wie etwa die Frage an Klaus Wowereit, mitten in der Unterhaltung: „Wählen Sie sich eigentlich selbst?“ – eine Frage, deren Antwort wohl jeder im Publikum kennt und die einzig um ihrer Wirkung willen gut ist. Lanz versteht es in diesem Spiel, die übrigen Gäste ins Gespräch ein- und wieder auszubinden. Er kann ernste Momente ernst sein lassen und doch immer wieder in der Runde das Gefühl erzeugen, auf einer öden Party in der Küche gerade eine ziemlich gute Zeit zu haben. Dann wird auch der Moderator lebendig wie ein Partygast, haut Sprüche raus, die man nur drauf hat, wenn man die Welt nicht nur von oben kennt. Es ist die Stärke der Sendung, dass keiner auf eine Rolle festgelegt ist, jeder sich einbringen kann, wie er will, auf dass – anders als bei den Kollegen – etwas Originelles entstehe.

Nicht immer glänzt er in diesem Überschwang, etwa wenn er einen Homosexuellen fragt, ob mit Heilung zu rechnen sei. Aber wenn zwei, wie kürzlich Sarah Wiener und Jimmy Hartwig, aneinandergeraten, die Gäste in zwei Lager zerfallen und der Moderator ankündigt, gleich nach Baldrian zu rufen, dann ist das aus professioneller Sicht zwar ein kleiner GAU, es entstehen aber jene im TV seltenen, reizvollen Momente der Direktheit.

Nach seinem Volontariat bei Radio Hamburg ging Lanz zu RTL und moderierte mit „Guten Abend RTL“, „Explosiv“ und Sendungen rund um das „Dschungel Camp“ alles, was einen zum RTL-Gewächs macht und jenseits der Privaten als „schwer vermittelbar“ gelten lässt. Wenn er im Gespräch unvermittelt Sätze sagt, wie „Ich will hier jetzt nicht Brecht zitieren“ oder von seiner Leidenschaft für die Fotografie und für eisige Orte wie Grönland zu reden beginnt, dann stellt sich die Frage, ob dieser Mann all die Jahre bei RTL nicht sein Talent vergeudet hat. Und natürlich hat er das.

Aber vielleicht tut er das beim ZDF auch. Sein Talent vergeuden, unter seinen Möglichkeiten bleiben, immer ein wenig dümmer tun, als man ist, wegen des Publikums. Und wo sollte er auch hin? Bei der ARD sitzt auf jedem Tag ein anderer Vogel. Und „Wetten, dass …?“ möchte er auch nicht machen. „Natürlich kitzelt es die Eitelkeit“, sagt Lanz. „Aber man muss doch eine gesunde, professionelle Distanz zu sich und seiner Arbeit haben, und ich habe in den letzten Jahren einen Weg eingeschlagen, der von der großen Showbühne eher wegführt.“ Er meint seine Reportagen; ab und an mit der Kamera in die Kälte des Polareises zu fahren, wo nichts bequem ist und alles authentisch, wo man mit Grönlands Fischern zusammenhockt. Die auch nichts anderes tun, als Geschichten zu erzählen.

 

ZUR PERSON
Markus Lanz, geboren 1969 in Südtirol, studierte Kommunikationswirt auf Diplom in München und volontierte dann bei Radio Hamburg. 1995 begann er beim Privatsender RTL und leitete und moderierte am Schluss die Boulevardsendung „Explosiv – Das Magazin“. 2008 wechselte er zum ZDF. Neben der Abendtalkshow drehte Lanz, Hobbyfotograf und Arktisliebhaber, auch schon Reportagen über Pol-Expeditionen.

www.markuslanz.zdf.de
www.mhoch2.tv
www.nationalgeographic.de/reportagen/markus-lanz-eine-liebe-im-eis

Erschienen in Ausgabe 12/2011 in der Rubrik „Medien.“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Silke Burmester. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.