Frau Kullmann, Sie hatten eine Stelle als Ressortleiterin bei der Frauenzeitschrift „Petra“ – und haben hingeschmissen. Wieso?
Katja Kullmann: Das erste halbe Jahr war toll. Dann wurde meine Chefredakteurin entlassen und wir alle auf Kurzarbeit gesetzt. Da wurde es inhaltlich und strukturell problematisch. Als Ressortleiterin hatte ich Etatverantwortung, die Seitenpreise wurden Schritt für Schritt gedrückt, der Tagessatz für die festen Freien wurde um 20 Prozent gesenkt. Einer Kollegin musste ich sagen, dass sie für ihre zweiseitige Rubrik nur noch die Hälfte an Honorar bekommt. Ich musste nun an den Schrauben drehen, die die Kollegen da draußen, zu denen ich ja gehört hatte, in die Knie zwingen würden.
Wann sagten Sie: Ich trage das nicht mehr mit?
Zwei Monate nach der Kurzarbeit wurden alle Redakteure und Grafiker entlassen. Der Verlag lässt sich ein halbes Jahr das Wirtschaften auf kleiner Tasche von der Gesellschaft mitfinanzieren und ist dann so unsolidarisch und haut die Leute raus. Da war es auch für mich mit der Solidarität vorbei, obwohl mein Job als Ressortleiterin sicher war. Viele Kollegen dachten ähnlich, aber ich hatte den Vorteil, dass ich ungebunden bin und aufgrund meiner Erfahrungen risikofreudiger. Außerdem hatte ich schon die Idee für das Buch im Kopf. Da waren die Erlebnisse im Verlag das perfekte Schlusskapitel.
Mit Ihrem ersten Buch, „Generation Ally“, wurden Sie 2002 zur Bestsellerautorin. Danach führte Sie die Arbeit als freie Journalistin sukzessive Richtung Hartz IV. Sie wollten schon beim Callcenter anheuern, als der Anruf vom Jahreszeitenverlag kam. Was war passiert?
„Generation Ally“ war ein so großer Erfolg, dass es mich die ersten zwei Jahre Vollzeit beschäftigt hat. Davor hatte ich als Freie in Köln gearbeitet. Der Vernetzungsgedanke und die Idee vom kreativen Berlin reizten mich. Ich dachte, dass ich als Freie immer noch gut über die Runden komme. Aber inzwischen machten einige Magazine dicht, die Umfänge anderer wurden beschnitten, Honorare gekürzt. Was ich auch unterschätzt hatte, war, dass ich nun eine von gefühlt Hunderttausenden war, die in Berlin saßen und über Retrocafés, Vernissagen und Powerpoint-Karaoke schrieben. 2005 bis 2008 habe ich um die 10.000 Euro jährlich verdient. Ich lebte in einer großen Blase. Wie viele hier: Die Kohorte bestausgebildeter westdeutscher Mittelstandskinder wohnt oft mietfrei in Wohnungen der Eltern, es gibt monatliche Schecks von Zuhause an 36-Jährige und 43-Jährige, die Versicherungen werden weiterbezahlt.
Ist das die Bilanz der Nullerjahre mit ihren kreativ-freien Ich-AG-Träumen?
Ich sehe da eine extreme Katerstimmung. Die Selbstüberschätzung, dieses „Du bist der Unternehmer deiner selbst“, das die Nullerjahre ganz massiv getragen hat, verschleierte die darin liegende faktische Unterlegenheit. Es gibt ja schließlich immer noch die alten Machtverhältnisse. Als keine Ausfallhonorare mehr gezahlt wurden, der Zeilensatz auf das Niveau von 1999 fiel, es aber dennoch hieß, die Kreativwirtschaft boome, da dachte ich immer: Du verhandelst nur schlecht. Etwa, wenn dir der Redakteur am Telefon sagt: Wir finden auch andere, die es billiger machen. Man fühlt sich allein und behält alles für sich, um ja nicht der Problemfall zu sein, der sich beschwert und auf einer roten Liste landet. Das Aufkündigen des Sozialpakts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der 50 Jahre lang in der Bundesrepublik galt, also das Outsourcen der Risiken auf den Einzelnen, ist ein großer Teil des Problems.
Ab wann konnten Sie die Illusion nicht mehr aufrechterhalten?
Im Dezember 2007 sind zwei große Aufträge im Gegenwert von 3.000 Euro geplatzt. Die Miete war fällig, die Versicherungen fürs nächste Jahr. Ich war pleite. Da es für Freie wie mich keine andere Unterstützung gab, blieb mir nur Hartz IV. Ich habe es niemandem gesagt und mit Händen und Klauen versucht, meine Berufstätigkeit zu verteidigen. Aber man darf bei Hartz IV ja nur 100 Euro dazuverdienen, mehr wird verrechnet. Ich habe mich dann immer wieder an- und abgemeldet und so viel gearbeitet wie nie. Aber strukturell war es gar nicht vorgesehen, wieder in die Freiberuflichkeit reinzukommen. Meine Sachbearbeiterin sagte, sie haben drei Möglichkeiten: Sie heiraten reich, sie kriegen eine Festanstellung oder sie gewinnen im Lotto.
Nun schrieben Sie mit „Echtleben“ ein Buch über die Phase von Hartz IV, Ressortleiterstelle und Freiendasein. Welche Reaktionen gab’s?
Es kam viel Lob dafür, dass das endlich mal einer sagt. Ich werde auch viel zu Konferenzen eingeladen zum Thema „Faire Arbeit“. Es hat mich erstaunt, wie viele Graswurzelbewegungen sich aus dem gut ausgebildeten Kreativprekariat ergeben haben. Die Bedingungen sind so extrem geworden, dass die Leute endlich darüber reden, Journalisten sich vernetzen, darüber bloggen, Initiativen im Internet starten, die Freischreiber etwa. Es ist gut, dass die Angst vor Verbandsstrukturen gesunken ist. Vielleicht ist der neuen Generation auch bewusster, wie Wirtschaft läuft, und sie kennt die Härten besser als wir 30- bis 45-Jährigen, die gedacht haben, wir bauen das jetzt erst mal freier und bunter um – fern von der Gewerkschaft.
Was, finden Sie, müsste nun noch passieren?
Die freien Kräfte müssen sich die Macht der Masse wieder zurückholen. Denn was will ein Verleger oder ein Blattmacherteam tun ohne Leute, die die Seiten füllen. Da gibt es eine Macht der Vielen, die sich mehr vernetzen und sich klarer als ökonomisches Subjekt begreifen muss, um Fairness wiederherzustellen. Journalisten haben da ganz andere Möglichkeiten zur Kommunikation als etwa Pflegekräfte. In meinem Verständnis von Journalismus haben wir die Pflicht, nicht nur über den eigenen Beruf zu sprechen, sondern die Erkenntnis, die man gewinnt über strukturelle, wirtschaftliche Probleme, auch auf andere Branchen zu übertragen und zu kritisieren.
Zur Person
Katja Kullmann
41, hat Soziologie und Politik studiert, für „Prinz“ und FAZ geschrieben, war Volontärin und Redakteurin bei dpa. Nach anderthalb Jahren beim Wirtschaftsmagazin „Bizz“ kündigte sie und schrieb 2002 den Bestseller „Generation Ally“, ausgezeichnet mit dem Deutschen Bücherpreis für das beste Sachbuch. Dann schrieb sie von Berlin aus als freie Journalistin u. a. für „Emma“, „taz“ und „Freitag“. Als ihr Erspartes aufgebraucht war, beantragte sie im Dezember 2008 Hartz IV. Ihr Buch „Echtleben“ erzählt ihre Geschichte und den Mythos der digitalen Bohème. Kullmann lebt in Hamburg und schreibt an einem neuen Sachbuch.
Erschienen in Ausgabe 10-11/2011 in der Rubrik „Titel“ auf Seite 18 bis 19 Autor/en: Interview: Daniela Zinser | Foto: Thomas Schweigert. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.