Ende Juni berichtete die „Saarbrücker Zeitung“ wie die meisten anderen Medien der Republik, dass einige Zeitungsverleger wegen der „Tagesschau“-App vor Gericht ziehen. Die Konfrontationslinie war klar: die öffentlich-rechtliche ARD auf der einen Seite, die privatwirtschaftlichen Verlage auf der anderen. Geklagt wird, weil die Verlage sich benachteiligt fühlen: Sie protestieren dagegen, dass die gebührenfinanzierte ARD ihre Bewegtbild-Inhalte als kostenlose App zur Verfügung stellt.
Doch während überall sonst im Land ARD und Verlage im Clinch liegen, fand sich im Mitarbeiterblatt „Klartext“ der „Saarbrücker Zeitung“ (SZ) ganz anderer Lesestoff: „Kooperation statt Kleinkrieg“, stand da. Ganz saarländisch-harmonisch hieß es: „Bei allem Kleinkrieg auf Bundesebene stellt sich die Situation im Saarland ganz anders dar.“ Es klang fast verwundert.
Win-Win für alle
Und tatsächlich: Im Saarland fanden die beiden marktbeherrschenden Medien längst zu einer „Form der Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren“, so Joachim Meinhold, der Vorsitzende der SZ-Geschäftsführung. Auch der Intendant des Saarländischen Rundfunks (SR) Thomas Kleist sieht das so:
„Eine Win-Win-Situation für beide Partner.“ Das war nicht immer so. Als der SR 1980 sein drittes regionales Hörfunkprogramm startete, lehnte das Blatt sogar bezahlte Anzeigen des Senders ab. Normale redaktionelle Berichterstattung über die vermeintliche Rundfunk-Konkurrenz fand ohnehin nicht statt. Dass das heute so radikal anders ist, ist auch dem Kommunikationstalent des oft gepriesenen, zu Jahresbeginn verstorbenen SR-Intendanten Fritz Raff zu verdanken. In SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst fand er einen engagierten Mitstreiter für den saarländischen Medien-Frieden. Pragmatisch alle beide, sie verstanden sich auch persönlich gut. Und beide wussten in der Sache auch die führenden Köpfe ihrer jeweiligen Gremien hinter sich. Das galt für Rundfunk- und Verwaltungsrat des SR ebenso wie für die „Gesellschaft für staatsbürgerliche Bildung Saar mbH“. Über sie sind seit der Reprivatisierung des Blattes aus Staatsbesitz im Jahr 1969 Parteienstiftungen von CDU, SPD und FDP mit zusammen 26 Prozent der Anteile an der SZ beteiligt, die mehrheitlich (56,1 Prozent) der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gehört.
Über Parteigrenzen hinweg war man sich einig, dass eine Dauerfehde der beiden mächtigsten Medien an der Saar den Interessen des um sein Fortbestehen ringenden zweitkleinsten Bundeslandes eher abträglich sei. So wuchs denn über Jahre hinweg die von beiden Partnern gepriesene und in „Deutschland einmalige Partnerschaft“, wie Herbst es formuliert.
Am Anfang ging’s erst einmal um Klimapflege. Die SZ lud leitende SR-Mitarbeiter zum lockeren Meinungsaustausch. Fortan zitierte man sich wieder wechselseitig, sogar mit korrekter Quellenangabe. Und es ging noch weiter: Die SZ begann, sich mit eigenen Beiträgen an der ARD-Themenwoche zu beteiligen. Was der jeweils andere Partner zum Thema bringt, wird angekündigt – seit fünf Jahren nun schon. Auch auf lokaler Ebene klappt das Miteinander. SZ-Lokalredakteure und SR-Reporter moderieren vor fast jeder saarländischen Bürgermeisterwahl gemeinsam öffentliche Podiumsdiskussionen.
Ihre glückliche Verlinkung verkündeten SR und SZ Ende 2009 dann schon stolz in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Über den Internet-Auftritt der „Saarbrücker Zeitung“ sind seither regionale Fernsehberichte und ganze SR-Fernsehsendungen zusätzlich abrufbar. Im Gegensatz zu anderen Kooperationen dieser Art fließt dabei kein Geld. Als Profiteur sieht sich dennoch auch der SR. Er werde dadurch, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung, mit seinen Nachrichteninhalten zusätzlich „auf einer wichtigen Internetplattform ( www.saarbruecker-zeitung.de) präsent und bedient einen weiteren stark frequentierten und beliebten Vertriebsweg“. Die SZ freut sich, „mit den ergänzenden Videobeiträgen des SR“ ihre Nutzer entscheiden lassen zu können, „wie sie regionale Nachrichten konsumieren wollen“.
Qualitätsjournalismus präsentiere sich heute multimedial, ist der Vorsitzende der SZ-Geschäftsführung, Joachim Meinhold, überzeugt. Den in angemessener Qualität zu vertretbaren Kosten selbst anzubieten, hatte die SZ schon zweimal vergeblich versucht. Zuerst in einem Regionalfenster des RTL-Programms; das war gleich nach Entstehen des Privatfernsehens. Und zuletzt im eigenen Netz-Auftritt. Dafür hatte sie in Kameras, Schnittplatz und Studio investiert und online sogar eine eigene Regionalsendung präsentiert. Es war so unwirtschaftlich, dass nun skeptische Zurückhaltung angesagt ist: „Möglicherweise rechnet sich so etwas irgendwann in der Zukunft“, sagt Chefredakteur Herbst. Er durfte das eingesparte Geld erst einmal in sein Print- und Online-Produkt stecken. Und für das Bewegtbild im Netz sorgt seither überwiegend der SR.
Anders als die schon ein Jahr ältere, aber Ende Juli vom ARD-Federführer WDR wieder aufgekündigte Partnerschaft mit der WAZ, hat die saarländische Bestand. Und funktioniert so gut, dass inzwischen – wie schon beim Abschluss angekündigt – ein weiterer Schritt gefolgt ist. Seit einem Jahr moderieren der SR-Fernseh-Chefredakteur Norbert Klein und SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst einmal im Monat gemeinsam den „saartalk“. In einem Saarbrücker Restaurant befragen sie Prominente aus Politik und Gesellschaft. Was dabei herauskommt, wird crossmedial verwertet: im SR als Halbstundensendung im Fernsehen und im Radio, in den Online-Auftritten beider Partner sowie nachrichtlich in der Zeitung und in SR-Nachrichtenformaten. Auch in diesem Fall war die SZ zuvor einen anderen Weg gegangen. Herbst moderierte bereits eine Gesprächssendung im 2009 eingestellten privaten „Saar-TV“. Fernseh-Erfahrung hatte er schon davor als Chefredakteur der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ gesammelt: Da war er einer der Gastgeber im MDR-Talk „Riverboat“.
Ein bisschen Konkurrenz
muss sein
Aber nicht immer klappt’s zwischen SR und SZ mit Win-Win. Wenn einer sich als Loser fühlt, ist Schluss. So finanziert der SR seinen „SaarlandTrend“ nach einigen Jahren Medienpartnerschaft wieder allein. Die SZ empfand es als wenig attraktiv, dass der Sender diese große repräsentative Infratest-dimap-Umfrage zur saarländischen Landespolitik bereits am Vorabend präsentierte. Nun nennt sie den SR am nächsten Morgen neidlos als Quelle – und spart zudem viel Geld.
Nicht besonders gefallen dürfte dem SR auch das Engagement der SZ beim Privatradio im besonders umkämpften Segment der jungen Hörer. Sie ist an einer Gesellschaft beteiligt, die das Jugendprogramm „bigFM Saarland“ produziert – mit einem rührigen früheren SR-Mitarbeiter als Geschäftsführer. Gesendet wird aus einem Studio im SZ-Redaktionsgebäude. Für Erfolgsmeldungen vom Radio zur Zeitung ist es also ein kurzer Weg. Beim konkurrierenden SR-Jugendprogramm „Unser Ding“ dürfte man sie aufmerksam lesen.
Im journalistischen Alltag gilt ebenfalls: „Wir sind und bleiben journalistisch Konkurrenten“, sagt der neue SR-Intendant Thomas Kleist. Und Herbst meint: „Kooperation bedeutet nicht Kumpanei.“ So war denn die SR-Berichterstattung über den Tarif-Konflikt bei der SZ keineswegs zurückhaltend. Und die SZ brachte den Betrugsfall bei der ehemaligen SR-Produktionstochter Telefilm dort, wo er hingehörte: unüberlesbar auf der Seite eins.
So sehr sie auch ihr Modell loben, so zurückhaltend reagieren Kleist und Herbst auf die Frage, ob es bundesweit taugt. Er wolle kein Missionar sein, meint Kleist, aber es sei auch für andere „besser, miteinander zu reden, als sich gegenseitig mit juristischen Mitteln zu bek
riegen“. Herbst empfiehlt, „Berührungsängste zu überwinden“, und fragt: „Was spricht gegen Kooperationen, wenn beide Seiten profitieren?“ Wegen der besonderen Mediensituation im Saarland seien „die sehr guten Erfahrungen“ allerdings nicht ohne weiteres übertragbar. Keiner der beiden fürchtet jedoch, dass die saarländische Kooperation durch bundesweites Säbelrasseln ausgebremst werden könnte. „Keine Gefahr“, meint Kleist. Und Herbst sagt: „Über weitere mögliche Kooperationen sind wir im Gespräch.“
Beim Verlegerverband und der ARD allerdings stoßen Nachfragen zu Stand und Stellenwert solcher Kooperationen auf vielsagende Einsilbigkeit. Das Thema passt nicht ins derzeitige Bild der Beziehungen. Eine „Bildstörung“ saarländischer Art.
MEDIUM:ONLINE
Doppel-Interview mit Peter Stefan Herbst und Thomas Kleist unter: www.mediummagazin.de, Rubrik magazin+
Axel Buchholz lehrt Journalismus in Mainz und war zuvor u. a. Hörfunk-Chefredakteur beim SR.
axel.buchholz@uni-mainz.de
Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Axel Buchholz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.