Blasen und Phrasen

„Focus“-Chefredakteur Wolfram Weimer hat sich mit einem (Achtung, Phrase!) Paukenschlag vom Burda-Verlag verabschiedet. Vieles wurde im Vorfeld seiner Demission geschrieben, was gar nicht schön klang. Von einem „Krieg“ zwischen Weimer und seinem Co-Chefredakteur Uli Baur war die Rede. Schlimm. Aber als Weimer dann tatsächlich aus dem Job geja…, äh, aus freien Stücken zu neuen Ufern aufgebrochen ist, wurde dies mit einem bemerkenswerten Stück Kommunikations-Kunst begleitet. Schauen wir uns einige der Passagen der Verlagsmitteilung zum Abgang von Wolfram Weimer als „Focus“-Chefredakteur einmal genauer an:

„… verlässt die Chefredaktion des Nachrichtenmagazins Focus, um sich neuen Projekten zuwenden zu können …“

Ein echter Klassiker. „Sucht neue Herausforderungen“, „will sich neuen Aufgaben/Projekten zuwenden“. Ja ja, was man halt so schreibt, wenn man meint: „… haben wir hochkant rausgeschmissen“, bzw. „… soll sich zum Teufel scheren“. Besonders originell ist diese Phrase freilich nicht. Sie wirkt stets ein bisschen so, als ob man in einem Arbeitszeugnis schreibt, „… hat sich stets bemüht seinen Aufgaben gerecht zu werden“. Jeder weiß, was gemeint ist. Als Höflichkeitsfloskel ist die Phrase gerade noch so o.k. Schlimmer wäre: „Wegen unvereinbarer Vorstellungen über irgendetwas“ gehe man getrennte Wege. Das wäre dann wirklich „Krieg“.

„… um das Magazin zurückzuführen auf einen Kurs von höherer journalistischer Relevanz, besonders in politischen und ökonomischen Zusammenhängen …“

Vielleicht um die reichlich abgegriffene Eingangsfloskel wettzumachen, wird nun reichlich Weihrauch rund um das kurze Wirken von Herrn Weimer beim „Focus“ geschwenkt. „Höhere journalistische Relevanz, besonders in politischen und ökonomischen Zusammenhängen“? Otto Normalleser wäre geneigt zu fragen: Hä? Aber natürlich ist so eine Verlagsmitteilung das Produkt eines feinen Austarierens unterschiedlichster Interessen. Die Formulierung erfordert ähnliches Fingerspitzengefühl wie das Verhandeln des Nato-Doppelbeschlusses. Mindestens. Ein bisschen verwunderlich ist bei all der geschraubten Formulierungskunst in der „Focus“-Weimer-Weg-Pressemitteilung, dass man nicht noch was über den feuilletonistischen Anspruch des scheidenden Chefs in das Kommuniqué hineingewurstelt hat. Auch das Fehlen der Worte „Debatten-Magazin“ und „Salon“ haben wir schmerzlich vermisst. Wäre dann aber vielleicht auch tatsächlich zu dick aufgetragen gewesen. Andererseits …

„… konzeptioneller Berater der Geschäftsführung …“ … bleibt er natürlich, der Herr Weimer. Wie so viele vor ihm, mit ihm und nach ihm. Getreu dem Motto: Niemals geht man so ganz. Der Realitätsgehalt solcher „Bleibt als Berater erhalten“-Floskeln dürfte dabei in den allermeisten Fällen schwer gegen null tendieren. Man hat sich halt noch auf eine Abfindung geeinigt und sucht eine schmissige Rechtfertigung für das schöne Geld. Außerdem sieht so alles noch ein bisschen mehr nach Friede-Freude-Eierkuchen-Abgang aus und nicht nach dem vielzitierten „Krieg“. Doch auch hier gilt das Motto: „Wer’s glaubt …“ „Der von ihm begonnene Weg der inhaltlichen Erneuerung wird mit aller Konsequenz weiter verfolgt.“

Hier schrammen wir nun aber hart an der Grenze zum blanken Zynismus. Wie war das noch? Bevor Weimer als „Focus“-Chef antrat, drückte ihm sein Vorgänger Helmut Markwort schnell noch ein paar Personal-Entscheidungen und einen überflüssigen Relaunch aufs Auge. Über den aktiven Herausgeber Markwort und seinen treuen Adlatus Uli Baur hieß es, dass diese Abwesenheiten Weimers gerne nutzten, um den „Focus“ vom Debatten-Heft schnell wieder zur Nutzwert-Illu umzumodeln. Wenn diese Achterbahnfahrt der „inhaltlichen Erneuerung“ tatsächlich „mit aller Konsequenz“ weiterverfolgt werden sollte, wie der Verlag in seiner Mitteilung droht, dann wäre das wohl wirklich prekär für den „Focus“. Aber zum Glück muss man das geschriebene Wort in solchen Verlags-Mitteilungen nicht sonderlich ernst nehmen.

Christian Meier und Stefan Winterbauer sind Medienjournalisten.

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Erschienen in Ausgabe 09/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 50 bis 53. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.