Wer in Deutschland ein Volontariat als TV-Journalist anfängt oder eine Journalistenschule besucht, der erlebt Fernsehen meist nicht mehr losgelöst von anderen Mediengattungen, sondern eng verzahnt mit Radio und Internet. Die ARD nennt ihre Ausbildung längst �trimedial�, beim ZDF spricht man mangels Radio von �bimedialen� Volontariaten.
Die RTL-Journalistenschule legt seit ihrer Gründung vor zehn Jahren Wert darauf, vor allem eine Schule für TV-Journalisten zu sein. Doch auch hier genießt Online während der zweijährigen Ausbildung mittlerweile einen hohen Stellenwert, Print ist ein kurzer Teil der dreimonatigen Grundausbildung zu Beginn des Volontariats � immerhin mit Wolf Schneider, der den Schülern �einen unverstellten Blick auf ihre Leistungen� biete, sagt Peter Kloeppel, Direktor der RTL-Schule � und selbst ein ehemaliger Schneider-Schüler (s. a. Interview S. 45f).
Abgesehen davon verschmilzt schon der Print-Block bei RTL mit der Vermittlung grundsätzlicher journalistischer Fertigkeiten wie Recherche, Themengespür und Faktentreue � die TV-Ausbildung soll möglichst ohne Umwege angesteuert werden: Moderations- und Sprechtraining, Live-Reportage und Interview vor der Kamera, dazu technische Grundlagen von der Kameraführung über Licht und Ton bis zum Schnitt, und schließlich Marketingwissen wie Zuschauerforschung und Medienpolitik.
Das zweite Ausbildungsjahr legt den Schwerpunkt auf Darstellungsformen im Internet, vom Videojournalismus bis zu Social Media. Acht Redaktionspraktika gehören zur Ausbildung, viele davon verpflichtend bei der RTL-Gruppe, doch auch Stationen bei öffentlich-rechtlichen Sendern sind möglich. Vergütet wird die Ausbildung mit 800 Euro Lehrgangsbeihilfe � 13-mal im Jahr.
Verschmelzende Grenzen
Auch die Electronic Media School (EMS) in Potsdam feiert in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum. Laut Annette Moll, der Leiterin der dortigen Volontärsausbildung, ist die EMS �deutschlandweit die einzige Journalistenschule, die konsequent multimedial arbeitet�. Die Volontäre von ProSiebenSat.1 absolvieren hier ebenso Kurse wie die von Radio Bremen � zudem bildet die EMS indirekt die Volontäre des RBB aus. Der Sender selbst bietet keine Volontariate mehr an, ist aber zu 47,4 Prozent an der EMS beteiligt � neben der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und dem Privatunternehmen Media Consult International (MCI). Das Volontariat an der EMS dauert 18 Monate, auch hier steht ein Grundlagenblock am Anfang � hier dauert er vier Wochen. Beim Fernsehen kommen die Volontäre bei der EMS allerdings erst nach gut einem halben Jahr an � nach Online- und Hörfunkblock. Die Inhalte des zehnwöchigen TV-Trainings ähneln denen bei RTL und reichen von der Planung über Moderationstraining und Technikvermittlung bis zu unentbehrlichen Fertigkeiten wie Texten zum Bild.
Die späteren Unterrichtseinheiten werden dann immer stärker crossmedial und genreübergreifend gestaltet � die Schüler lernen, wie man die Berichterstattung für mehrere Mediengattungen verzahnt, und sie werden im Umgang mit Traumaopfern geschult. Die wichtigsten Anlaufstellen für Praktika sind die Redaktionen des EMS-Gesellschafters RBB. Die Volontäre der EMS erhalten 850 Euro Ausbildungsvergütung im Monat.
Viele andere Journalistenschulen haben TV, Radio und Internet inzwischen zu einem Crossmedia-Block verschmolzen � wobei sie oft ohnehin einen Print-Schwerpunkt haben und sich lange Zeit schwer damit taten, elektronische Mediengattungen einerseits kurz und knapp, andererseits fundiert zu vermitteln.
An der Henri-Nannen-Schule (HNS) dauert der Crossmedia-Block neun Wochen. Am Ende steht ein Projekt, bei dem die Schüler für jeden Beitrag entscheiden müssen, welche Darstellungsform ideal wäre � Text, Audioslide, eine interaktive Karte, oder eben ein Film. Noch vor wenigen Jahren liefen die Blöcke getrennt ab, die Schüler produzierten eine Live-Radiosendung, ein TV-Magazin und ein Web-Projekt.
Andreas Wolfers von der HNS findet die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Mediengattungen irrelevant: �Die journalistischen Grundlagen � Themengespür, saubere Recherche, Faktentreue � gelten auch für TV-Journalisten, und die lehren wir in den gesamten 18 Monaten.�
Die Axel-Springer-Akademie hat einen zehnwöchigen Kompaktkurs mit dem Schwerpunkt Bewegtbild im Programm. Er vermittelt neben der �klassischen� TV-Produktion inklusive Kamera und Schnitt auch Videojournalismus und experimentiert mit Slideshows. Zwar hat die Akademie auch ein komplettes Übungsstudio, �aber das Geschehen verlagert sich zunehmend nach draußen�, heißt es bei Springer. Den �digital natives�, die von überall ihre Beiträge mobil produzieren könnten, werde ein statisches Studio nicht mehr gerecht.
Andere Schulen gehen andere Wege: Die Evangelische Journalistenschule trennt die Mediengattungen, das TV-Seminar im neuen Studio steht erst am Ende der Ausbildung. Ähnlich geht die Deutsche Journalistenschule (DJS) in München vor: Die Schüler lernen in acht Wochen �klassisches� Fernsehen � wenn auch angereichert mit Elementen aus dem Online-Journalismus �, produzieren in dieser Zeit zwei TV-Sendungen und sind mit dem Sendewagen des Bayerischen Rundfunks unterwegs. Mit Jörg Sadrozinski, zuletzt Redaktionsleiter tagesschau.de, leitet seit dem 1. Juli ein ausgewiesener Onliner die DJS � das dürfte sich bald auf den Lehrplan auswirken.
Wo Fernsehen in aller Kürze möglichst umfangreich unterrichtet werden soll, bietet sich die Vermittlung in Form von Videojournalismus an. VJs sind die Allrounder, die allein mit einer HD-Kamera losziehen und ihre Beiträge vom Schnitt bis zur Mischung selbst produzieren. Smartphone-Apps und Tablet-PCs haben diese Arbeitsweise begünstigt, und so wird Videojournalismus an der RTL-Schule vorrangig als Darstellungsform für das Internet und mobile Plattformen unterrichtet. Eine zentrale Rolle spielt er aber nicht; Peter Kloeppel schätzt den Anteil der �klassischen� Beiträge im Programm seines Haussenders weiterhin auf 95 Prozent.
Einsatz für Videojournalisten
ZDF-Reporter Carsten Behrendt sieht den Videojournalismus dagegen als �etablierte Produktionsform�, deren Anteil am TV-Journalismus weiter wächst. Behrendt leitet VJ-Seminare an der Henri-Nannen-Schule, am katholischen Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses (IFP) und beim SWR. Seine Schüler lernen in wenigen Wochen, wie man eine Kamera bedient, wie man schneidet, mischt und ein Gespür für die richtigen Bilder entwickelt. �Ob VJ oder Team, hängt immer ab vom Inhalt des Beitrags�, sagt er. �Oft brauche ich einfach ein Team, zum Beispiel, wenn wir sehr aktuell produzieren und der Reporter viele Dinge gleichzeitig machen muss. Als VJ kann ich eine intime Drehsituation schaffen, bei der zwischen dem Protagonisten und mir so wenig Technik ist wie möglich.� Zweiter Vorteil: Die Flexibilität. �Der VJ kann einem Bauchgefühl nachgehen und spontan drehen gehen, ohne sofort große Kosten zu verursachen.� Und schließlich komme die Handschrift des Autoren stärker zur Geltung. Daneben hat Carsten Behrendt im TV-Journalismus die Rückkehr des Presenters beobachtet, also des Reporters, der die Geschichte vorantreibt � zu sehen im ZDF-Format �Zoom� oder bei �Panorama � die Reporter� im NDR. Für solche Darstellungen sind mitunter spezielle Moderatorentrainings erforderlich, die die klassischen Journalistenschulen in der Regel nicht anbieten und die TV-Volontariate nur streifen.
Jenseits der Darstellungsform gilt für Carsten Behrendt: �Wir müssen bei aller Ästhetik immer den Inhalt im Kopf behalten.� Seinen Schülern vermittelt er deshalb auch immer wieder, wie man Geschichten anders erzählen kann, �
und nicht immer nur Bilder reproduziert, die man schon gesehen hat�.
An den Journalistenschulen fällt ihm auf, �dass das klassische Fernsehen bei den Schülern an Bedeutung verliert�. Viele schauten wenn überhaupt nur noch gezielt einzelne Sendungen in den Mediatheken. �Die muss ich immer erst für das Medium Fernsehen begeistern�, sagt er.
An der EMS oder der RTL-Schule dürfte das nicht nötig sein � genauso wenig wie unter den Volontären der TV-Sender.
ProSiebenSat.1 hat sein Ausbildungskonzept umgekrempelt; es heißt jetzt �Volo 3.0�. Hinter der Drei verbergen sich Fernsehen, Online und PR. �Früher haben wir erst eine Sendung konzipiert und uns dann überlegt, was wir online dazu machen können�, sagt Personalentwicklerin Sandra Jörke, die das �Volo 3.0� federführend konzipiert hat. �Heute ist beides eng verzahnt.� Zweimal im Jahr kommen 14 Volontäre zu ProSiebenSat.1, aufgeteilt auf die drei Schwerpunkte. Im vergangenen Frühjahr haben sechs TV-Volontäre angefangen. Sie werden einer Stammredaktion zugeordnet � neben den ProSieben-Formaten �Galileo�, �taff� und �red� kommen �ran� (Sat.1) und �Abenteuer Leben� (Kabel 1) in Frage. Sie absolvieren vier Praktika, davon je eines in einer konzerneigenen Onlineredaktion und im Marketing. Einen �Gemischtwarenladen� wolle man zwar vermeiden, heißt es, die TV-Volontäre sollten sich aber auch in den übrigen Geschäftsbereichen auskennen. Ein weiteres Pflichtpraktikum führt die Volontäre in eine Nachrichtenredaktion. Die hat der Konzern seit dem Verkauf von N24 zwar nicht mehr � eine Anlaufstelle für Praktika bleibt N24 aber trotzdem. Manche Volontäre absolvieren das News-Praktikum auch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Die Theorie liefert die EMS zu, in fünf Blöcken à zwei Wochen.
Die ARD- & ZDF-Lehre
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern dauert das Volontariat je nach Anstalt 18 oder 24 Monate. Radio, TV und Online gewichten sie mittlerweile fast gleich � die Volontäre sollen am Ende alle journalistischen Darstellungsformen beherrschen, die ihr Sender anbietet. Die großen ARD-Anstalten und das ZDF lassen ihre Volontäre in der Regel alle Stationen im eigenen Haus durchlaufen, wobei sie darauf achten, dass keine Mediengattung zu kurz kommt. Die WDR-Volontäre beispielsweise absolvieren ihre erste Praxisstation (drei Monate) in einem der elf Regionalstudios mit allen drei Mediengattungen. Stationen außerhalb der eigenen Anstalt � etwa bei einem anderen ARD-Sender oder bei der Deutschen Welle � sind eher bei kleineren Anstalten wie dem Saarländischen Rundfunk (SR) oder Radio Bremen die Regel. Stationen beim Privatfernsehen hat es bislang nicht gegeben. Dabei wären die gar nicht kategorisch ausgeschlossen: Beim WDR heißt es, die Volontäre äußerten eben nicht den Wunsch, dorthin zu gehen.
Die Zahl der Volontäre hängt auch von der Größe des Senders ab: Der WDR stellt jährlich 20 Volontäre ein, der BR zwölf, der MDR zehn, der SR sechs. Das ZDF nimmt �mindestens acht�, aber nicht jedes Jahr. Zum NDR kommen zweimal im Jahr 18 Volontäre � wobei es auch mal weniger sein können. �Die Konkurrenz bestimmt das Niveau�, heißt es dort, und wenn einmal nicht 18 Bewerber überzeugen, nehme man eben nur 17 oder 16. Voraussetzung ist in allen Fällen ein abgeschlossenes Studium, dazu journalistische Erfahrung, und seien es Praktika. �Spätberufene Biologen� fielen da durchs Raster. Und beim BR wie auch beim ZDF erhält nur ein Volontariat, wer zuvor dort hospitiert hat und intern schon bekannt ist.
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Service: Tabellen mit den Übersichten über die einzelnen Ausbildungsbedingungen finden Sie unter www.mediummagazin.de
(Für Smartphone-Nutzer: s. a. QR-Code oben)
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Special“ auf Seite 42 bis 44 Autor/en: Daniel Kastner. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.