Der Fall
Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart waren drei Männer angeklagt, an der Planung eines Anschlags auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Allawi beteiligt gewesen zu sein. Die vorsitzende Richterin erließ die Anordnung, dass am Tag der Urteilsverkündung Fernseh- und Bildaufnahmen nur unter der Bedingung zulässig sind, dass die Gesichter der Angeklagten vor der Veröffentlichung unkenntlich gemacht werden. Die �Bild�-Zeitung ignorierte die Anordnung und veröffentlichte ein Foto eines der Angeklagten, auf dem dieser unter der Überschrift �Irak-Terroristen müssen für Attentatsplan ins Gefängnis!� unverpixelt und deutlich erkennbar abgebildet war. Der inzwischen zu mehr als sieben Jahren verurteilte Terrorist verklagte �Bild� auf Unterlassung � und bekam in den Vorinstanzen recht. Das Boulevardblatt ging in die Revision.
Das Urteil
Der für das Persönlichkeitsrecht zuständige 6. Zivilsenat des BGH entschied zugunsten der �Bild�:
Der Terrorprozess sei ein zeitgeschichtliches Geschehen, an dem erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestand.
Damit brauchte die �Bild� nach Paragraph 23 Abs. 1 Kunsturheberrechtsgesetz keine Einwilligung des Abgebildeten.
Die �sitzungspolizeiliche Anordnung� der Strafkammer habe demgegenüber keine Wirkung: Dem BGH zufolge könne eine solche Anordnung das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten nicht in weiterem Umfang schützen, als dies nach dem Gesetz der Fall ist. Auch das Vertrauen des Angeklagten auf die Wirksamkeit der Anordnung bewertete der BGH nicht als so gravierend wie die Vorinstanz. Der Angeklagte hätte sich nämlich nicht generell gegen eine Veröffentlichung von Aufnahmen wehren können, sondern nur durch sein Verhalten � wie zum Beispiel Schals und Kopfbedeckungen � die Aufnahmen erschweren können.
Berechtigte Interessen des Angeklagten an einer Anonymisierung sahen die Karlsruher Richter nicht.
Die Folgen
Das Urteil stellt klar, dass auch innerhalb eines Gerichtssaals nicht andere Gesetze herrschen als außerhalb � auch wenn so mancher Richter dies vielleicht anders sieht.
Für Journalisten bringt das Urteil mehr Spielraum � und gleichzeitig mehr Eigenverantwortung: Wieder einmal wird grundsätzlich die Beurteilung, wann ein ausreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorliegt, der Presse selbst überlassen. Eine sorgfältige Einschätzung ist deshalb wie bei jeder Bildveröffentlichung ein Muss, gerade wenn das Gericht sich entsprechend positioniert hat.
Auf der anderen Seite wurde klargestellt, dass auch Richter nicht in der Lage sind, grundlegende gesetzliche Wertungen zu modifizieren. Eine sitzungspolizeiliche Anordnung dürfte in Zukunft jedenfalls im Rahmen der Berichterstattungsbefugnisse eher empfehlenden Charakter entfalten.
Angeklagte in öffentlichkeitswirksamen Verfahren hingegen können nur eine Lehre aus dem Fall ziehen: Sonnenbrille und Mütze gehören vor Gericht zur Pflichtausstattung, auch wenn das Gericht eine identifizierende Veröffentlichung von Aufnahmen aus dem Verfahren untersagt hat.
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 52 bis 52 Autor/en: Stephan Zimprich. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.