Ehec ist ein Lehrstück, wie Wissenschaft funktioniert. Ergebnisse liegen nicht ruck zuck auf dem Tisch, Risiken sind nicht immer unter Kontrolle und Ergebnisse werden kontrovers diskutiert.� Was Annette Leßmöllmann, Journalistin und Professorin für Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt, da beschreibt, charakterisiert sehr gut auch die Situation der Berichterstatter in den letzten Wochen. Wo sich Leser, Fernsehpublikum und Hörer Orientierung erwarteten, konnten Journalisten lange nur die immer gleichen Warnungen ausgeben. Die Medien tragen daran nur einen Teil der Schuld, meint Joachim Müller-Jung, Diplombiologe und FAZ-Ressortleiter �Natur und Wissenschaft�: �Vor allem die dürftigen Informationen zur epidemiologischen Situation, später dann die unübersichtliche Gemengelage, was die Informationen angeht�, hätten Probleme bereitet. �Von überall her kamen Hinweise, Kommentare, Einschätzungen � verschiedene Institute, diverse Experten und Landesministerien. Selbst für uns Wissenschaftler war schwer zu ermitteln, wie gefährlich der Erreger ist. Was ihn so aggressiv macht, weiß man im Grunde bis heute nicht. Aus den Kenntnislücken der Ärzte und Forscher war es schwer, etwas Zufriedenstellendes, Beruhigendes, Klarstellendes für den Leser zu filtern. Der weit verzweigte Informationsfluss blieb bis zuletzt bestehen, eine Kakophonie von Experten- und Behördeneinschätzungen.�
Diese Beurteilung teilt Holger Wormer, Diplom-Chemiker, Projektleiter beim Medizinjournalismus-Bewertungsportal medien-doktor.de und Professor an der TU Dortmund: �Man muss die Berichterstattung auch daran messen, wie die Informationspolitik von RKI, BfR und zuständigen Ministerien aussah. Und da haben die Medien zum Teil nur das abgebildet, was sich in den Behörden abspielte. Und auch das, was nun mal an natürlicher Unsicherheit bei einem solch rätselhaften Ausbruch da ist.�
Ärger über vermeidbare Fehler
Ein Gewirr an Zuständigkeiten und wenig belastbare Informationen zu Ursachen und Folgen von Ehec � Punkte, die den Journalisten bei der Analyse der Berichterstattung zugutegehalten werden. Dennoch bleibt der Umgang der Medien mit unsicheren Botschaften fragwürdig: �Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass für Medien die Nachricht nicht darin bestehen kann, dass man etwas nicht oder nicht genau weiß�, sagt Markus Lehmkuhl vom Arbeitsbereich Wissenschaftsjournalismus an der FU Berlin und Chefredakteur von �wpk-Quarterly�. �Aber das ist der Kern der Sache. Und das hätte so auch kommuniziert werden müssen. Stattdessen wurde wiedermal Unsicherheit in scheinbare Sicherheit und Eindeutigkeit verwandelt.�
Lehmkuhl sieht die Schuld an der seiner Einschätzung nach �unbefriedigende Berichterstattung� allerdings auch bei den Behörden, die eine hochgradig unsichere Botschaft in eine völlig eindeutige Warnung transformiert hätten. Als Entschuldigung will er das allerdings nicht gelten lassen: �Es wäre Aufgabe der Medien gewesen, sich die Erkenntnisbasis der zuständigen Stellen anzusehen und mit der Warnung vor Gurken, Tomaten und Blattsalaten auch die Unsicherheit der Befundlage zu kommunizieren.� Die Beunruhigung der Bevölkerung mit all ihren wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen hätte so zumindest gemindert werden können.
Das sieht auch Elmar Theveßen, Leiter der ZDF-Hauptredaktion �Aktuelles�, kritisch: �Auf die Gesamtberichterstattung bezogen, kann man ohne Zweifel sagen, dass zu wenig kommuniziert wurde, wie unsicher die Befundlage eigentlich war und zum Teil ja noch ist. Das ist eines der größten Defizite gewesen.� (s. a. Seite 36)
Vage Informationen sind eine Sache, gar keine Neuigkeiten eine andere, wie RKI-Pressesprecherin Susanne Glasmacher weiß. Stündlich hätten manche Medien bei ihr angefragt nach Neuigkeiten. Für Glasmacher Ausdruck eines �Nachrichtendrucks�, für den sie insofern Verständnis hat, als Verbraucher Klarheit wollen und diese von den Medien einfordern. �Wofür ich allerdings kein Verständnis habe�, sagt die Pressesprecherin, �sind Journalisten, die nur um irgendetwas berichten zu können, den RKI-Pförtner zitieren und dabei nicht einmal merken, dass sie nur den Wachdienst erwischt haben.�
Geärgert hat sich Glasmacher auch über einen sicherlich vermeidbaren Fehler in der Berichterstattung: So hätten einige Journalisten nach einer Pressekonferenz nicht, wie es verlautbart worden sei, vor Gemüse �in� sondern �aus� Norddeutschland gewarnt, was ihr und ihrem Institut harsche Kritik des Bauernverbandes eingebracht habe. Ein Fauxpas, den die Pressesprecherin auch dem Nachrichtendruck auf die Medien anlastet.
Dass es einen solchen Druck gab, bestätigt auch Jörg Hermes, Ressortleiter Wissen bei stern.de: �Das Informationsbedürfnis der Menschen war enorm, besonders online. Wir wollten � wie bei allen wichtigen Themen � möglichst schnell dabei sein. Aus der Masse der News Relevantes herauszufiltern, hat unsere Aktuell-Mannschaft ganz schön auf Trab gehalten.� Für Onlinemedien normale Härte. Harro Albrecht, Medizin-Redakteur bei der �Zeit�, jedoch sieht Anzeichen dafür, dass Onlinetaktung und Boulevardisierung in die Tages- und Wochenzeitungskultur einbrechen: �Die Wissenschaftsseiten der Printmedien haben zunehmend Mühe, dem Druck des Trommelfeuers der Online-Meldungen zu widerstehen. So reagieren auch Wochenzeitungen mit einer hohen Publikations-Frequenz, in einer Situation, in der es häufig noch nichts Neues zu berichten gibt und innehalten angebracht wäre.�
Verbraucher-Kritik
Innehalten, lieber einen Beitrag weniger, dafür mehr Relevanz. Das hätten sich rückblickend auch viele Verbraucher gewünscht: In einer �stern�-Umfrage von Mitte Juni beklagten 44 Prozent der Befragten, dass es zu viele Hinweise zu Ehec gegeben habe. Kritik, die sich auch die Journalisten ins Zeugnis schreiben lassen müssen. Genauso wie den Vorwurf von Markus Lehmkuhl, bei der Expertenauswahl nicht immer ein glückliches Händchen gehabt zu haben. �Wenn ein Risiko solche Aufmerksamkeit erzeugt, erzeugt es immer auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Experten ins Licht stellen, weil es für sie so einfach ist, nur durch eine sich unterscheidende Botschaft ins Licht zu kommen.� Die wahren von den Pseudo-Experten zu unterscheiden, sei aber gerade die von den Journalisten zu erbringende Leistung. Dass das nicht immer einfach ist, kann Harro Albrecht bestätigen: �Es meldeten sich viele selbsternannte Experten zu Wort � mit oft widersprüchlichen Aussagen und Einschätzungen. Die Motivation und Interessenlage der Experten � persönlich, politisch, fachlich � war dabei oft nicht transparent.� Ein Journalist ohne Fachkenntnisse habe da zwangsläufig besondere Schwierigkeiten, aus dem Chor der Interesse geleiteten Stimmen die wenigen Körnchen Wahrheit herauszufinden. Ein Argument für spezialisierte Kollegen.
Die fordert auch Annette Leßmöllmann, die sich über ihren Lehrstuhl hinaus für besseren Wissenschaftsjournalismus in den Redaktionen einsetzt. Ihr Hauptargument: �Das Thema Ehec zeigt genauso wie Fukushima, der Dioxin-Skandal oder die Schweinegrippe, wie stark Wissenschaft aus der Nische herausgekommen ist, auf die erste Seite drängt, und dass es Kompetenzen über das Verstehen von Fachartikeln hinaus braucht, um Ereignisse einzuordnen und für den Leser in entscheidungsrelevante Informationen umzuwandeln.�
medium:online
Ein Interview mit Holger Wormer über Ehec und die Folgen für den Wissenschaftsjournalismus siehe: www.mediummagazin.de (s. a. QR-Code für Smartphones oben)
Erschienen in Ausgabe 07+08/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 36 bis 39 Autor/en: Katy Walther.
© Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.