Wenn Journalisten, insbesondere in Zeitungsredaktionen, über den Wandel sprechen, dann geschieht dies in der Regel mit großem Unbehagen und vor allem selbstreflexiv. Unbehagen, weil die Branche wie kaum eine andere den Wandel nicht kennt; selbstreflexiv, weil sie das Unbekannte scheut wie der Teufel das Weihwasser. Wie sollen da Verlage Konsequenzen aus Medien- und Nutzerwandel ziehen können? Antworten in fünf Thesen:
1. Zeitungen müssen Marktforschung und Produktentwicklung forcieren: Angesichts der immensen Umwälzungen im Medienmarkt wirkt es anachronistisch, dass Zeitungshäuser weder über eine systematische Marktbeobachtung noch über eine professionelle Produktentwicklung verfügen. Diese Defizite zeigen, dass sie sich schicksalsergeben auf ein Printprodukt verlassen, das alle paar Jahre mit teuren Copy-Tests überprüft wird. Ein neues Layout-Konzept oder Veränderungen der Zeitungsinhalte werden als großartige Produktentwicklung inszeniert. Nur so lässt sich erklären, dass die Zeitungsbranche über viele Jahre sämtliche Chancen des Internets verpasst hat und dann auch noch den nächsten Trend, das mobile Internet, zögernd und zaudernd beäugt hat. Erst mit dem iPad ging ein Ruck durch die Branche, der allerdings schon wieder verpufft zu sein scheint.Gäbe es Marktbeobachtung und Produktentwicklung in Zeitungshäusern, dann hätte jede Redaktion mehrjährige Erfahrungen mit sozialen Netzwerken, mit Twitter und mit verschiedenen Angeboten für Smart Phones, aus denen Nutzen für die weitere Produktentwicklung für Leser und Nichtleser gezogen werden könnten.
2. Nicht gute Autoren, sondern kluge Redaktionsmanager sind gefragt: Seit Jahrzehnten ist es Praxis, dass gute Autoren, Reporter oder Korrespondenten für ihre Leistungen mit Ressortleiterposten belohnt oder gar in Chefredaktionen befördert werden – das Peter-Prinzip in Reinkultur. Mit diesem Typus Hierarch werden die gewaltigen Aufgaben nicht einmal in Ansätzen gelöst werden können. Nötig sind vielmehr kluge Redaktionsmanager, die qualifiziert führen und motivieren, professionell Innovationen organisieren und die personalisierte Speerspitze des Medienfortschritts verkörpern. Solche Redaktionsmanager gibt es übrigens schon. Die Qualität des Führungspersonals in Zeitungsredaktionen wird entscheidend dafür sein, ob der notwendige Wandel gelingt. Deshalb müssen Zeitungen so konsequent sein, ihr Führungspersonal für neue Aufgaben zu qualifizieren.
3.Ohne Personalentwicklung werden Redaktionen verkümmern: Nur sehr wenige Berufe weisen so wenige formale Anforderungen an das Berufsbild auf wie der des Redakteurs, bei dem Aus- und Weiterbildung nur rudimentär vorkommen. Wenn aber eine Zeitungsredaktion den Wandel schaffen soll, dann benötigt sie dringend eine professionelle Personalentwicklung. Den Paradigmenwechsel, der auf Redaktionen zukommt, können nur aufgeklärte, motivierte und qualifizierte Redakteure bewerkstelligen, die vom Unternehmen in ihrer beruflichen Entwicklung systematisch unterstützt und gefördert werden. Punktuelle Schulungen für das neue Redaktionssystem oder das modifizierte Layout reichen nicht – das ist reines Handwerk. Vielmehr muss den Mitarbeitern die Strategie des Hauses ebenso wie die Einsicht vermittelt werden, welche Rolle ihnen bei der Umsetzung der Strategie zukommt und wie sie diese Rolle bewältigen können.
4. Reorganisation heißt nicht Möbel rücken und weitermachen: Bislang beschränken sich die praktischen Umsetzungen von Newsroom- und Newsdesk-Konzepten vor allem auf das Einreißen von Bürowänden und das Zusammenrücken von Schreibtischen. Für die Printproduktion mag das ausgereicht haben, für crossmediales Publizieren aber bedarf es einer umfassenderen Reorganisation. Die beginnt mit einer Analyse des Status quo in Bezug auf Organisation, Planung, Kommunikation und die Arbeitsabläufe der Zeitungsredaktion. Erst danach kann die angestrebte medienkonvergente Organisation definiert werden, die schrittweise erreicht werden muss. Regisseure dieses internen Wandels der Redaktion sind keine Innenarchitekten, sondern Mitglieder einer Projektgruppe aus der Redaktion. Sie setzen sich klare Ziele, verfolgen diese mit einem stringenten Projektmanagement und beziehen die Redaktion weitgehend ein, um Akzeptanz zu erzeugen.
5. Dominante IT-Abteilungen müssen wieder Dienstleister werden: Die technische Infrastruktur in deutschen Zeitungsredaktionen anno 2011 entspricht eher dem Niveau von 2005: veraltete und isolierte Redaktionssysteme für Print und Online, schmalbrüstige Datenleitungen, angejahrte Computer. Die dringend erforderliche Digitalisierung scheitert oftmals an dominanten IT-Abteilungen, die ihre eigenen Interessen über die der Redaktionen stellen – die Auswahl von Hard- und Software allzu klaglos hinnehmen. Aberwitzige Sicherheitsrestriktionen verhindern in vielen Redaktionen den einfachen Datentransfer. Redaktionen müssen ihren Verlegern und Geschäftsführern klarmachen, dass die IT-Abteilung ein Dienstleister ist, der den Anforderungen der Redaktion gerecht werden muss – und nicht umgekehrt.
Joachim Blum ist freier Journalist und Medienberater.
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Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 40 bis 41 Autor/en: Joachim Blum. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.