Das Telefonat mit Markus Peichl in Sachen „Tempo“ ist eine Zeitreise. Eine Reise in die noch goldene Ära des Printjournalismus, als es immer nur aufwärts ging, Wachstum und Größe die gängigen Währungen waren. Wo Zeitungen und Zeitschriften keine Konkurrenz durch den privaten Rundfunk zu fürchten und Internet und Digitalisierung ihren Siegeszug um die Welt noch nicht angetreten hatten – eine Ära, wie Peichl sagt, „wo Print noch King war“ und man mit einer Print-Publikation noch „nationales Ereignis sein“, „pure Haltung ausdrücken“ und „die komplette Debatte im kulturellen, politischen oder gesellschaftlichen Umfeld mitbestimmen konnte“. Und nicht weniger wollten die Anfang der 80er Jahre in Europa gegründeten Zeitgeist-Magazine wie „Wiener“, „Tempo“ oder „Twen“ mit ihrem Mix aus Hedonismus, Visualität und neuer politischer Wachsamkeit.
Der Geist der 80er.
Bloß nicht spießig oder langweilig daherkommen, und schon gar nicht objektiv. Und so setzten die Macher dem Apodiktum des objektiven Journalismus der Endsiebziger den subjektiven Journalismus entgegen. „Er war für die Zeitgeist-Magazine das Maß aller Dinge“, sagt Peichl, „denn er wurde als die ehrlichere Form des Journalismus betrachtet, weil er zugibt, dass jede Form von Betrachtung, von Bericht, am Ende des Tages immer die Färbung des Autors, die Färbung des Mediums, die Färbung der Publikation mit beinhaltet“. Damit und mit der Einstellung, dass die Trennung zwischen ernsten und unterhaltenden Themen vollkommen überholt sei, begeben sich „Tempo“ und die anderen Magazine damals in Opposition zu etablierten Medien wie „Spiegel“, „stern“ oder „Zeit“, die erwartungsgemäß divenhaft reagieren. Die Debatte um den „New Journalism“ hat Mitte der 80er auch Deutschland erreicht.
Anfangs scheinen paradiesische Zustände zu herrschen in den Redaktionen der neuen Zeitgeist-Magazine. Welche Zeitschrift kann es sich heute schon noch leisten, einen Redakteur ins von den Sowjets besetzte Afghanistan, einen Kollegen zum Madonna-Interview in die USA und eine Redakteurin auf dreimonatige Undercover-Recherchen als Leihmutter zu schicken und dazu noch zwei oder drei aufwendige Modestr ecken mit Starfotografen wie Nick Knight oder Helmut Newton zu produzieren, und das alles für eine Ausgabe, wie Neuling „Tempo“ es damals machte? „Wir haben uns unglaublich frei gefühlt“, sagt Peichl. „Wir konnten kreativ sein, experimentieren und eine völlig andere Zeitschrift machen, die wirkliches Gewicht hatte. Und obwohl wir verglichen mit anderen ein eher niedriges Redaktionsbudget hatten, haben wir schon in der Gründungszeit unseren Kolumnisten Honorare gezahlt, die sie heute selbst bei größeren Publikationen nicht mehr bekommen.“
Zu verdanken hatte „Tempo“ diese Freiheit in erster Linie wohl dem Umstand, dass der Jahreszeitenverlag von Anfang an mit an Bord war. Ansonsten wären die im Vergleich zu heute hohen Produktionskosten wohl schon in den Anfangsjahren zum Problem geworden. Doch „Tempo“ hat Erfolg, verkauft in den besten Zeiten um die 200.000 Exemplare und wird dafür von den etablierten Medien mit „unbändigem Hass und Wut“ bedacht, was Peichl heute noch freut, „da es die beste Werbung für uns war“.
Der Erfolg von „Tempo“ ruft Nachahmer auf den Plan. Und auch das Privatfernsehen macht der Zeitschrift beim Anzeigengeschäft zu schaffen. Doch das sind für Peichl nicht die einzigen Gründe, warum „Tempo“ nach zehn Jahren eingestellt wurde: „Ich habe das Heft fünf Jahre geführt. Nach mir kamen noch vier Chefredakteure. Allein daran können Sie sehen, woran es gescheitert ist. Es ist für eine Publikation, die hauptsächlich von Haltung lebt, nun mal nicht hilfreich, diese alle paar Monate zu ändern. Michael Jürgs zum Beispiel hat ein Heft für die Alt-68er gemacht, Walter Meyer ein Blatt für sehr junge Leute, die zu den 68ern im Widerspruch standen. Jürgen Fischer, der als Korrespondent der, Vogue‘ von New York nach Hamburg kam, wollte die Kopie eines mondänen US-Lifestyles im Heft machen. Allein das sind drei völlig unterschiedliche Ansätze. Und drei so unterschiedliche Welten, Botschaften und Grundkonzepte kann man einer Leserschaft innerhalb so kurzer Zeit nicht zumuten.“ Einen weiteren Grund für den Niedergang sieht Peichl in der „Halbwertszeit“ von Zeitgeist-Magazinen von zehn bis fünfzehn Jahren: „,Twen‘ und, Tempo‘ sind Hefte gewesen, die die Stimmung ihrer Epoche transportiert haben und ganz wesentlich mit dieser Stimmung verbunden waren. Und die Stimmung einer Epoche hält nun mal nicht ewig.“
Der Neuanfang.
Dennoch scheint der Zeitgeist die Macher nicht losgelassen zu haben. „Wir wollten schauen, ob man mit dieser Form von Journalismus auch heute noch ein Heft machen kann“, sagt Peichl zur 388 Seiten dicken Jubiläumsausgabe von 2006 (Auflage: 240.000 Exemplare). „Das war das eine. Hinzu kam, dass wir Spaß haben wollten. Und das ist im Leben manchmal nicht der allerschlechteste Grund, etwas zu machen.“ Das Autorenverzeichnis liest sich dann auch wie das Who‘s Who des Journalismus: Rainald Goetz, Frank Schirrmacher, Rufus Wainwright, Josef Joffe, Benjamin von Stuckrad-Barre, Ulf Poschardt, Andrian Kreye, Claudius Seidl, Marcel Reif, Johanna Adorján, Wolfgang Joop, Sven Michaelsen, Georg Diez, Marc Fischer und die ehemaligen „Tempo“-Kolumnisten Maxim Biller, Uwe Kopf und Peter Glaser – alle waren sie mit dabei. Und das Echo ist wie in den guten alten 80ern: Die Leser finden’s gut – die Jubiläumsausgabe hatte nach der Ausgabe mit der nackten Brigitte Nielsen von 1987 das zweithöchste Verkaufsergebnis –, die Werbewirtschaft annonciert fleißig und die Rezensenten der etablierten Medien suchen das Haar in der Suppe: „Es war schon erstaunlich, dass der Mechanismus immer noch funktioniert. Dass also der, Spiegel‘ immer noch mit demselben blindwütigen, geifernden Hass wie in den 80er Jahren auf diese Jubiläumsausgabe hingehauen hat, hat mir gezeigt, dass das nicht nur ein Mythos ist, sondern immer noch etwas sehr Lebendiges. Manchmal steckt nämlich gerade in der Ablehnung und im Hass, den man auf sich zieht, Authentizität und sehr viel Wahrheit.“
Und heute?
Und wie geht’s Peichl 2011 beim Gang durch die Zeitschriftenregale? „Schlecht“, antwortet er knapp. Das sei aber nicht die Schuld der Kollegen in den Redaktionen. Es sei einfach unglaublich schwierig geworden, genügend Geld zusammenzubekommen, um ein einigermaßen vernünftiges Heft zu machen: „Viele geben sich unfassbare Mühe und versuchen geradezu unter Selbstaufgabe und Selbstausbeutung heute immer noch, spannende, vitale, interessante, andersartige, eigenständige Zeitschriften zu machen. Offensichtlich löst das Medium Print, das Medium Zeitschrift, heute immer noch ein Faszinosum aus, aber es braucht eben Selbstausbeutung, um überhaupt noch neue, kreative, andersartige Blätter auf den Markt zu bringen.“
Dass hat auch Peichl zu spüren bekommen, als er 2007 mit „Liebling – Zeitschrift für Mode, Kunst und Film“ den Neustart versuchte, es dann aber doch bei einer einmaligen Ausgabe bleiben musste mangels dauerhafter Finanzierbarkeit. Doch Peichl wäre nicht Peichl, wenn er es nicht wieder probierte: Im Herbst erscheint eine neue Ausgabe von „Liebling“, mit Option auf mehr: „Wenn die Wirtschaftskrise sich weiter legt und Japan, Portugal oder Spanien uns keine neuen Schwierigkeiten bringen, soll das Heft vorerst viermal im Jahr erscheinen“, sagt Peichl, der den LeadAward organisiert, in den letzten Jahren als Kommunikationsberater für ein
e Partei tätig war, seit kurzem die Berliner Galerie Crone leitet und als Sprecher fünfzehn Bürgerinitiativen gegen den Flughafen Berlin/Schönefeld vertritt. Wer Spaß hat an dem, was er tut, braucht eben keinen Schlaf …
Medium:Online
In der ersten Ausgabe von „medium magazin“ 1986 haben wir uns den damaligen Neugründungen von „Tempo“, „Wiener“ & Co. gewidmet. Der Beitrag ist als pdf dokumentiert unter www.mediummagazin.de, magazin+.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 44 bis 44 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.