Viele Wege führen zum Leser: Der von „Wendy“ sieht völlig anders aus als der von „Forum Modernes Theater“. Was beide jedoch mit so unterschiedlichen Titeln wie „JS – Zeitschrift für Junge Soldaten“, „Clever reisen“, „Junge Wissenschaft“ und „Ökologisches Wirtschaften“ gemeinsam haben, ist ihr Geburtsjahrgang 1986 – und damit ein Vierteljahrhundert Erfolg im hart umkämpften Zeitschriftenmarkt. Katy Walther über die Konzepte von Nischen – und Special-Interest-Titeln, die weniger Schlagzeilen machen, aber dauerhaft Leser finden:
01. Markenstrategie
Die Idee, ein Magazin speziell für Pferdefreunde auf den Markt zu bringen, kommt Eckhart Bültermann im März 1986, als er ein völlig neuartiges Magazin aus den Niederlanden zum Thema Pferde in den Händen hält. Bültermann hat damals gerade als neuer Geschäftsführer beim Egmont Ehapa Verlag angefangen und ist selbst passionierter Reiter und Pferdezüchter. Inspiriert von den jungen Mädchen, die auf seinem Gestüt reiten und mit Leidenschaft die Pferde pflegen, schlägt er im Verlag das neue Projekt vor und hat Erfolg. Im Juni 1986 erscheint das erste „Wendy“-Heft, zunächst monatlich mit einer Auflage von 41.000 Exemplaren. Innerhalb eines Jahres verdoppelt sich die Auflage, seit 1989 auch der Erscheinungs Rhythmus (nun 14-täglig). Die Auflage hat sich inzwischen fast verdreifacht und das Mädchenheft „Wendy“ sich zur Produktlinie weiterentwickelt, mit „Wendy“-Romanen (seit 1990), einer eigenen TV-Serie (seit 1996), „Wendy“-PC-Spielen (seit 2001), einer Homepage (seit 2003) und einer „Wendy“-Wundertüte (seit 2007).
Und obwohl Neugründungen wie die Monatsmagazine „Lissy“ (Pabel-Moewig Verlag) oder „Pferde – Freunde fürs Leben“ (Panini Verlag) der „Wendy“-Auflage zu schaffen machen, gehört sie auch heute noch zu den Top 10 der Kinder-Kaufzeitschriften, wie die „KidsVerbraucher-Analyse“ ausweist. Bei den Kinder-Kaufzeitschriften speziell für Mädchen liegt „Wendy“ hinter „Hannah Montana“ sogar auf Platz Zwei.
„,Wendy‘ begann als Magazin für pferdebegeisterte Mädchen, die täglich reiten und echte Stallluft schnuppern. Heute erreichen wir sogar Mädchen, die weder ein Pferd noch das, kleine Hufeisen‘ besitzen“, sagt Oliver Krohn von der Redaktion Kids & Teens. „Die Zuneigung verdanken wir vor allem den Comic-Geschichten mit Wendy, dem Pferdemädchen. Sie bewegt sich in einer Welt voller Pferde, wie sie sich viele Mädchen erträumen. Und meistert dabei typische Probleme, die Mädchen auch in ihrem eigenen Alltag wiederfinden. Dieser Mix prägt die Geschichten bis heute.“ Dass „Wendy“ sich und ihren Leserinnen treu geblieben ist, ist aber nur ein Teil der Strategie von Egmont Ehapa. Der andere ist die Lancierung immer neuer Produkte, die „Wendy“ für Mädchen nicht nur am Zeitschriftenregal präsent sein lassen: „Während andere Hefte kamen und gingen, hat sich, Wendy’ konsequent zur Marke weiterentwickelt“, betont Krohn: „Die Mädchen von heute erleben, Wendy‘ nicht mehr nur als Magazin. Wendy eroberte das Fernsehen. Wendy taucht in Hörspielgeschichten und Nintendo-Games auf. Die Leserinnen stimmen heute auf der Homepage ab, was im Heft von morgen passieren soll. Im Wendy Camp erleben die Mädchen hautnah wie, ihr Heft‘ entsteht. Und nicht Models spielen in den Fotoromanen des Heftes mit, sondern echte Wendy-Mädchen.“ Und so wie es aussieht, sichert der Mix aus Marktpräsenz und Leser-Einbindung „Wendy“auch die nächste Jubiläumsfeier 2016.
02. Servicejournalismus
Was einen selbst interessiert, kann auch für andere interessant sein. Das dachte sich Jürgen Zupancic, Gründungschefredakteur von „fliegen & sparen“ (heute: „Clever reisen!“): „Flugreisen waren schon immer meine Passion. Allerdings war meine Reisekasse in den 80ern nicht gerade üppig. Das weckte den Spürsinn nach günstigen Flugtickets und machte erfinderisch. Mein Schulfreund Wolfgang Grahl hatte das gleiche Problem und so kamen wir auf die Idee, unser Wissen weiterzugeben. Ich entwickelte das Blattkonzept und mit einer geliehenen Schreibmaschine entstand quasi im Wohnzimmer die erste Ausgabe von, fliegen & sparen‘.“ Ein erster großer Achtungserfolg der neuen Zeitschrift für „die gehobene, reisefreudige Zielgruppe im besten Alter mit hohen Reiseetats“, die heutigen „Smart Shopper“, war die Übersicht günstiger (Graumarkt-)Flugtickets – eine für die Touristikbranche und den Reisemagazin-Markt Mitte der 80er einzigartige Zusammenstellung. 1989 folgte als neuer Leserservice die Datenbank für Preisvergleiche von Katalogreisen (heute unter: fliegen-sparen.de). Nach zahlreichen Relaunches in den 90ern änderte das Team um Jürgen Zupancic den Titel von „fliegen & sparen“ auf den heutigen Header „Clever reisen!“. So sollte vor allem dem erweiterten Inhalt Rechnung getragen werden, der seither neben dem Schwerpunkt Flugreisen auch Kreuzfahrten, Zugreisen oder autonahe Reiseziele umfasst. Was sich jedoch nie geändert hat, ist die Maxime der Redaktion: „Journalistische Qualität ist bei uns oberstes Gebot. Erst wenn alles bereist und getestet, erlebt, erfahren, hinterfragt, bewohnt und gegessen worden ist, entsteht die neue Ausgabe am Computer“, sagt Zupancic, der großen Wert auf authentischen Journalismus legt – oder wie er es nennt: „Reiseberichte ohne rosarote Brille.“
03. Themenmonopol
Als Paul Dobrinski, langjähriger Professor an der Fakultät Elektro- und Informationstechnik der Fachhochschule Hannover, die „Junge Wissenschaft“(JW) gründete, wollte er mit der Zeitschrift jungen Forschern unter 23 Jahren die Möglichkeit geben, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Das Besondere dabei: Vor Abdruck einer Arbeit wird von einem Fachgutachter sichergestellt, dass sie den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Publikation genügt, was für die jungen Forscher ein ungeheures Renommee und zusätzliche Motivation bedeutet. Die Idee für sein Konzept importierte er aus den USA, nach einer Begegnung mit Nobelpreisträger Glenn T. Seaborg, der mit Kollegen die Zeitschrift „Base“, heute „Science21“, bereits seit 1982 herausgab. Leser der „Jungen Wissenschaft“ sind neben naturwissenschaftlich und technisch interessierten Schülern und Studenten auch Lehrer der sogenannten MINT-Fächer und Wissenschaftler, „die sich von den kreativen Ansätzen der jungen Leute inspirieren lassen“, sagt Chefredakteurin Sabine Walter. Konkurrenz hat die „Junge Wissenschaft“ aufgrund ihrer einzigartigen Thematik in Europa kaum zu fürchten, dennoch feilen die Herausgeber immer wieder an Konzept und Auftritt: Zu Beginn in schwarz-weiß gedruckt, wie es für viele wissenschaftliche Zeitschriften bis heute üblich ist, erscheint JW seit 2002 vierfarbig. Zudem wurde sie um ein Magazin erweitert, mit Informationen zu wissenschaftlichen Wettbewerben, Hochschulporträts, Tipps zur Studien- und Berufswahl, Buchrezensionen und aktuellen Wissenschaftsmeldungen. Seit 2007 erscheint die Zeitschrift zudem im Verlag Junge Wissenschaft der Deutschen Hochschulwerbung. Und Gründer Dobrinski erhielt im selben Jahr für sein Engagement für die Nachwuchsforscher und seine Zeitschrift „Junge Wissenschaft“ den Kulturpreis der Eduard-Rhein-Stiftung.
04. Nischenjournalismus
In eine Informationslücke gesprungen ist 1986 die Zeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“. Während der Bedarf an Informationen über umweltgerechtes Wirtschaften in den 80ern zunimmt, gibt es nahezu kein Medium, das über Vorgehensweisen und Konzepte dieser noch jung
en Disziplin informiert. „Ökologisches Wirtschaften“ besetzt das Feld und ist seiner Rolle als Wissensvermittler und Referenzorgan zu den Themen Nachhaltigkeit und Wirtschaft in all den Jahren treu geblieben: „Wir setzen neue Forschungsansätze immer in Beziehung zu praktischen Erfahrungen aus Politik und Wirtschaft“, sagt Chefredakteur Christopher Garthe. „Diese Positionierung zwischen Forschung und Anwendung ist für unsere Leser zentral.“ Und die Leser? „Das sind Entscheidungsträger und Mitentscheider in Unternehmen, im Wissenschafts- und Hochschulbereich oder Mitglieder von Umweltorganisationen. Menschen also, die sich aus beruflichem Interesse über aktuelle Entwicklungen im ökonomisch-ökologischen Bereich informieren.“ Während sich „Ökologisches Wirtschaften“ inhaltlich kaum verändert hat, hat sich am äußeren Erscheinungsbild einiges getan: 1986 als „Informationsdienst“ in Zeitungsoptik mit kleiner Auflage gestartet, erscheint „Ökologisches Wirtschaften“ nach umfangreichem Relaunch seit 1996 im oekom-Verlag mit einer Auflage von 1.600 Heften. Ein weiterer Relaunch im Herbst 2005 steigert die Attraktivität der Zeitschrift noch einmal erheblich. Seit 2010 bietet „Ökologisches Wirtschaften“ online als Open-Access-Portal zudem Zugang zu allen Fachartikeln seit Gründung der Zeitschrift. In diesem reichen Wissensfundus können über 1.000 Artikel durchsucht und heruntergeladen werden. Die Ausgaben der letzten beiden Jahre stehen dabei exklusiv Abonnenten zur Verfügung.
05. Christlich-unkonventionelle Haltung
Für mächtigen Wirbelsorgt sorgte 1986 ein Artikel von Barbara Kamprad über Schwule in der Bundeswehr. Kamprad war damals Chefredakteurin des neu gegründeten „JS-Magazin“ – die Zeitschrift der Evangelischen Kirche für junge Soldaten. Das Monatsblatt versteht sich seit seiner Gründung als „kritisches Gegenüber für die Bundeswehr als Institution“ und stellt „den Soldaten als Menschen“ in den Mittelpunkt seiner Themen, beschreibt die heutige Redaktionsleiterin Dorothea Siegle das Konzept. „Wir schreiben über Soldaten, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, darüber, dass die Bundeswehr sich besser um Hinterbliebene von im Einsatz gefallenen Soldaten kümmern muss, und über die Frage nach dem Gewissen und dem Sinn der Einsätze.“ Ebenso wichtig wie Artikel, die die Soldatinnen und Soldaten in ihrem Denken und mit ihren Konflikten ernst nehmen, ist Siegle der konkrete Service für die Leser: „Wie beschwere ich mich richtig, wenn ich mich ungerecht von einem Vorgesetzten behandelt fühle? Wie hält meine Beziehung, wenn ich im Einsatz bin? Und darf die Bundeswehr eigentlich meine Post öffnen? Das sind Themen, über die wir berichten.“
Das Magazin muss sich zwar nicht wie andere über eine verkaufte Auflage finanzieren, sondern wird gratis an deutschen Bundeswehrstandorten, in Kasernen, auf der Fregatte vor Somalia oder im Camp Mazar-e Sharif in Afghanistan und außerdem durch evangelische Militärseelsorger verteilt. Aber fände es keine Abnehmer und keine Resonanz bei der jungen Zielgruppe, wäre es längst von der Bildfläche veschwunden. Dabei habe sich an der Haltung der Herausgeber, ein nutzwertiges Magazin mit einer christlichen, evangelischen Perspektive zu machen, in den letzten 25 Jahren nichts geändert. Was sich hingegen sehr wohl des Öfteren geändert hat, sind Layout und Themenangang: „Mein Team und ich machen heute ein sehr junges Magazin, das neben den ernsten Bundeswehr-Themen auch Spaß machen möchte und nah dran ist an der Lebenswelt der 18- bis 32-Jährigen. Sex, merkwürdige Internetforen oder die richtigen Tanzschritte für die Hip-Hop-Party – das alles hat mittlerweile auch seinen Platz in ‚JS‘“, sagt Dorothea Siegle. Und wirklich: Am Cover ist „JS“ auf den ersten Blick kaum von „Neon“, von „Spiesser“ oder dem früheren „jetzt“-Magazin der „Süddeutschen“ zu unterscheiden. Ein ungewöhnliches, mutiges Konzept, das intern und extern gegen den Strich bürstet. Das kommt an bei den jungen Lesern in Uniform, die Resonanz gibt den Blattmachern recht.
06. Community-Geist
Als Günter Ahrends, Professor der Ruhr-Universität Bochum, 1985 den Plan zur Gründung einer theaterwissenschaftlichen Zeitschrift ins Auge fasst, hat er ein Theater im Blick, das noch klar umrissen und vornehmlich als Sprechtheater konzipiert ist, was sich auch in den ersten Nummern von „Forum Modernes Theater“ ab 1986 niederschlägt. Seither hat sich nicht nur die wissenschaftliche Diskussion, sondern auch das Profil der Zeitschrift beständig weiterentwickelt, so dass heute neben dem Theater des Dramas auch Musik- und Tanztheater, Performance Art und intermediale Beziehungen in „Forum Modernes Theater“ diskutiert werden. Über all die Jahre bewahrt hat sich die Zeitschrift jedoch „die feste Verankerung in der Fach-Community“, wie Brigitte Breuer vom Narr Francke Attempto Verlag erklärt: „Das Konzept von, Forum Modernes Theater‘ wurde aus dem Fach entwickelt und durch die Jahre hinweg von namhaften Vertretern der Theaterwissenschaft getragen. Das garantiert und garantierte zu allen Zeiten eine hohe Dichte und Verlässlichkeit der Informationen.“ Und noch etwas macht die Zeitschrift besonders: „,Forum modernes Theater‘ ist die einzige peer-reviewed Zeitschrift für Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum“, sagt Breuer. Auch dies sei Garant für die wissenschaftliche Qualität der Veröffentlichungen, auf die die Leserschaft Wert lege. Wurde „Forum Modernes Theater“ in den Anfangsjahren meist nur von Theaterwissenschaftlern an den Unis gelesen, gehören spätestens seit der Bologna-Reform auch Studenten zur Zielgruppe: „Die Veränderungen an den Hochschulen hatten auch für die sogenannten kleinen Fächer nachhaltige Konsequenzen“, erklärt Breuer. „Oft gingen vormals eigenständige Studiengänge in integrierten Studienangeboten auf, was in der Zeitschrift seither großes Thema ist.“ Rein optisch hat sich „Forum Modernes Theater“ spätestens seit dem Relaunch 2007 aus der Ecke langweiliger Unipublikationen hin zum Magazin entwickelt.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 46 bis 49 Autor/en: Katy Walther. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.