Herr Yogeshwar, was sind Sie: Physiker oder Journalist?
Ranga Yogeshwar: Im Herzen bin ich immer noch mehr Physiker als Journalist. Streng genommen bin ich ein Mensch zwischen diesen beiden Welten. Ich habe einen stark ausgeprägten rationalen Ansatz, komplexe Dinge qualitativ zu überprüfen. Und natürlich stellt sich mir in meinem Beruf immer die Frage, nach welchen Gesetzen zu agieren ist. Der Physiker überlegt: Was ist relevant? Der Journalist fragt sich: Was ist die Story?
Kommen Sie da nicht in einen Rollenkonflikt?
Nein, ich bin in erster Linie Wissensvermittler. Die Gewissenhaftigkeit, etwas plausibel zu erklären, steht ganz oben. Nehmen Sie zum Beispiel das Bild, das wir aus Fukushima zu sehen bekamen: Da waren Feuerwehrmänner, die mit Schläuchen Wasser auf den Reaktor spritzten. Ich habe mich dann erst einmal hingesetzt und habe gerechnet: Wie viele Brennelemente gibt es? Wie hoch ist die Zerfallswärme? Wie viel Wasser verdampft? Ich kam zum Ergebnis, dass man über 100 Tonnen Wasser bräuchte, um die Reaktoren entsprechend zu kühlen. Der Sachverstand, den ich habe, weil ich Physiker bin, half mir, das richtig einzuordnen.
Wissenschaftler beharren lieber darauf, dass etwas uneindeutig ist, Journalisten wollen klare Aussagen. Wie verbinden Sie das?
Ich orientiere mich nie am Zuschauer sondern versuche, Orientierung zu stiften. Ich unter- und übertreibe nicht. Aber in Zeiten, in denen jeder von Katastrophe und Apokalypse spricht, ist es schwierig, wenn man als Journalist sachlich und ruhig bleiben möchte. Und dann wirft man ihm vor, er beschönigt die Dinge.
Sie sprechen von sich selbst?
Ja. Mein Leitsatz ist: „Fight fear with facts.“ Nichtwissen sollte man einfach nicht mit Spekulationen anfüllen.
Wie wichtig ist denn Ihrer Meinung nach, dass jemand die entsprechende fachliche Hochschulausbildung hat?
Ehrlich: Um in den Berichten etwa der IAEA über Bodenproben aus Fukushima zwischen den Zeilen zu lesen und zu sehen, dass da viele Konjunktive und Einschränkungen stehen, die Konzentration sei sehr gering, dazu muss ich nicht Naturwissenschaftler sein. Nehmen Sie nur mal die Sarrazin-Debatte.
Auch da waren Sie Gast in diversen Talkshows, um Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“-Thesen zu diskutieren.
Bedauerlicherweise zählte ich auch aufgrund meiner Hautfarbe zu den ersten, die eingeladen waren, mit Sarrazin zu debattieren. Aber dann saß ich da und musste feststellen: Keiner hatte das Buch gelesen oder sich die Mühe gemacht, die eine oder andere Fußnote zu überprüfen. Man muss genau hinschauen – das ist Qualitätsjournalismus. Das gehört einfach zur Grammatik des guten journalistischen Handwerks.
In den vergangenen Wochen hieß es, Sie seien das „Ein-Mann-Kompetenzzentrum“, ein „Leuchtturm“: Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Ein Freund erzählte mir von den Berichten, ich steckte gerade mitten in der Fukushima-Berichterstattung, ich hatte rote Ohren. Ich habe abgelehnt, das zu lesen, fand diese Texte in dieser Situation zynisch. Ich war doch völlig sekundär und hatte das Gefühl: Das, was ich tue, ist normaler journalistischer Alltag. Wenn selbst das außergewöhnlich erscheint, zeigt das nur, wie überhitzt die Mediendebatte ist.
Man könnte auch sagen: Das war die medienjournalistische Feststellung, dass es bei der ARD offensichtlich sonst niemanden gibt.
In einer Talkshow beim ZDF war ich auch. Das grenzt an Absurdität. So dolle bin ich auch nicht. Außerdem: Hinter mir steht ja noch eine ganze Redaktion, ich bin das ja nicht alleine.
Es wurde kritisiert, dass Sie sich mehrfach von Energiekonzernen engagieren ließen, für Moderationen, Vorträge. Ist es für Sie kein Dilemma, von Konzernen bezahlt zu werden, über die Sie dann kritisch berichten sollen?
Ich arbeite beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, diese Engagements habe ich den Kollegen immer klar kommuniziert.
Denken Sie nicht, dass Ihre Glaubwürdigkeit darunter leidet?
Ich finde, entscheidend ist, ob jemand in seiner Kernaussage authentisch ist oder nicht. Ich sage das, was ich sonst auch sage – auch in Talkshows mit Vertretern der anderen Seite –, meine Haltung gegenüber Atomkraft ist seit 25 Jahren unverändert. Außerdem entstehen meine Sendungen ja nicht in einem Vakuum, sondern zusammen mit anderen Redakteuren. Sie können mir glauben: Hofiert werde ich ständig, aber einen Beratervertrag habe ich nicht.
Wie fanden Sie denn die Berichterstattung über das Unglück in Fukushima insgesamt?
Von den Kollegen im Hörfunk und in den Printmedien war ich sehr angetan. Bedauerlicherweise sah das im Fernsehen anders aus. Es gab wenige Wissenschaftsjournalisten, die da auftraten. Ich wäre froh gewesen, es hätte mehr gegeben – das hätte mich etwas entlastet.
Woran liegt diese Diskrepanz zwischen den einzelnen Mediengattungen Ihrer Meinung nach?
Es ist ein Spagat, eine Kernkompetenz in Naturwissenschaften mitzubringen und sich gleichzeitig in der Fernsehlandschaft zu bewegen. Dazu kommt: Der Wissenschaftsjournalismus ist eine Nische, gerade im Fernsehen. Und auf einmal passiert etwas und diese Leute sind gezwungen, mit der schnellen Truppe der Nachrichtenredaktionen zusammenzuarbeiten. Man muss Live-Erfahrung haben, komplexe Prozesse auch allgemeinverständlich erklären können, wenn es sein muss in 1’30. Da stoße auch ich immer wieder an meine Grenzen.
Angenommen, Sie dürften entscheiden: Was müsste sich ändern?
Ich habe kein Patentrezept. Die identische Debatte gab es schon einmal: vor 25 Jahren, nach Tschernobyl. Aber immerhin gibt es Ansätze von beiden Seiten, also den Wissenschaften und dem Journalismus. Wissensorganisationen haben Initiative ergriffen, einen Preis ins Leben gerufen, der Wissenschaftler auszeichnet, die gut erklären können. Denn auch das muss man gerade im Fernsehen bedenken: Wissenschaftler stehen ungern vor Kameras, sie sind immer vorsichtig – und dann steht da dieser ungeduldige Journalist, der fragt: Ist das jetzt gefährlich oder nicht?
Wie war das denn vor 25 Jahren?
Wegen Tschernobyl stand ich 1986 zum ersten Mal vor der Kamera. Ich war furchtbar aufgeregt, miserabel gekleidet, sprach mit zittriger Stimme. Wissenschaftsjournalisten waren ein echter Mangel, die Redaktionen waren nicht kompetent besetzt. Ich passte da als Physiker einfach gut. Die Sendung hieß „Strahlende Zukunft“, wir haben damals sogar eigene Messungen angestellt, um herauszufinden, wie viel Radioaktivität in Gemüse steckt.
Und was hat sich in der Zwischenzeit am deutlichsten verändert?
Abgesehen von der Tatsache, dass es viel mehr Wissenschaftsformate gibt, selbst in Lokalzeitungen: Die Wissenschaftsjournalisten sind sehr viel besser organisiert, etwa in der Wissenschaftspressekonferenz. Erfreulicherweise entstanden auch spezielle Studiengänge: Klinische Studien oder Statistiken verstehen können, das gehört zu dem Beruf dazu.
Nur Frauen gibt es leider noch zu wenig. Als ich beim WDR die Programmleitung innehatte, bin ich leider total gescheitert, als ich versuchte, eine Wissenschaftsmoderatorin aufzubauen, die nicht nur schmückendes Beiwerk ist. Wir hatten ein Casting mit über 300 Frauen, es fand sich keine, die passte. Das muss sich ändern. Aber klar, Sie sitzen als Wissenschaftsjournalist nicht in der ersten Reihe: Sie sind nur ein kleines Rädchen im System.
Sie finden, Wissenschaftsjournalismus wird nicht ausreichend gewürdigt?
Stellen Sie sich einfach vor, Fukushima hätte nicht stattgefunden, und dann haben Sie einen Typen wie mich: Wir tauchen kaum auf. Das Thema ist einfach sehr sperrig. Nehmen Sie den Fernsehpreis: Es gibt alles mögliche in der Kategorie „Bester Nebendarsteller einer Soap“, aber einen Preis in der Sparte „Wissenschaftsjournalismus“, den gibt es nicht.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Special“
auf Seite 79 bis 79 Autor/en: Interview: Anne Haeming. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.