Morgen droht der Weltuntergang! Eine globale Seuche! Krieg, Ameisenplagen und Natternpest! „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“, so hat es wohl jeder und jede Absolventin einer Journalistenschule gelernt. Bad News steigern Auflagen oder Internetklicks, weil sie die Aufmerksamkeit der Medienkonsumenten erhöhen – so wie jetzt gerade Ihre. Dieses Verhalten stammt wohl noch aus der Steinzeit, als es für Homo sapiens darum ging, Gefahren rechtzeitig zu erkennen, um nicht als Frühstück eines Säbelzahntigers zu enden. Diese selektive Wahrnehmung, dieser menschliche „Gefahrenradar“, funktioniert bis heute – und macht weltweit Medienkonzerne reich, die das für eigene Zwecke nutzen.
Klar, Medien müssen warnen, vor Missständen und Desastern, das gehört zu ihren Aufgaben. Die Atomkatastrophe von Fukushima, die Kriege in Libyen, der Elfenbeinküste und anderswo, das sind News, die nicht unterdrückt werden dürfen. Dennoch wäre es kein Schaden, wenn wir Nachrichtenmacher und Journalistinnen ab und zu reflektieren würden, dass wir alle eine Brille tragen, die die Wirklichkeit verzerrt und schlechter macht, als sie ist. Auch der „Spiegel“ spiegelt trotz seines Namens die Realität nicht, sondern selektiert sie. Und die Boulevardmedien neigen erst recht zu hysterischem Aufbauschen und indirekter Gewaltpropaganda.
Ja, Gewaltpropaganda.
Die Zeitungen mit den großen Buchstaben insinuieren aus Auflagegründen eine Welt voller Gefahren, in der Mord und Totschlag vorherrschen. Schlimmer noch: Sie zeigen, dass man Gewalt anwenden muss, um in die Schlagzeilen zu kommen und damit wie ein altgriechischer Heldengott „unsterblich“ zu werden. Es gibt viele Indizien, dass dies ein Hauptmotiv von Attentätern und Amokläufern ist. Das hielt „Bild“ nicht davon ab, auf indirekte Weise für die Rekrutierung von Nachahmern zu sorgen, indem es den Amokläufer von Winnenden „in einer Heldenpose“ darstellte – wie es der Deutsche Presserat damals in einer Rüge festhielt. Ein weiteres Beispiel für indirekte Gewaltpropaganda ist die Berichterstattung über Proteste. Wenn friedliche Demonstrationen von Tausenden totgeschwiegen, über einen einzigen Steinwurf aber sofort reißerisch berichtet wird, muss man sich nicht wundern, dass Betroffene irgendwann zum Schluss kommen, Gewalt sei medial viel effektiver.
Ein weiteres Beispiel für Realitätsverzerrung: Gute Entwicklungen und gelingende Projekte haben kaum Chancen, in die Nachrichten zu kommen. Im Oktober 2010 habe ich mit journalistischen Kooperationspartnern das globale Medienprojekt www.visionews.net ins Leben gerufen – eine Website mit Erfolgsgeschichten aus aller Welt darüber, wie Frauen für Frieden sorgen. Zur angesetzten Pressekonferenz erschien – niemand.
Ein neuer Weg.
Aus all diesen Gründen habe ich in mittlerweile drei Ausgaben der taz einen neuen Weg gewählt. An Pfingsten und dem Nikolaustag 2009 sowie im November 2010 haben wir auf Sonderseiten ausschließlich Geschichten über Erfolgsprojekte präsentiert: Berichte über junge muslimische Männer, die sich in den Schulen von Berlin-Neukölln für die Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen einsetzen. Über Bioenergiedörfer wie Jühnde, die ihre Energie selbst erzeugen. Über das geglückte Experiment der belgischen Stadt Hasselt, den öffentlichen Nahverkehr zum Nulltarif fahren zu lassen. Über das kleine buddhistische Königreich Bhutan, das das „Bruttosozialglück“ seiner Bewohner als oberstes Staatsziel festgeschrieben hat. Über die chinesische Minderheit der Mosuo, die matriarchalisch lebt und weder Kleinfamilien noch Gewalt kennt. Über die positive Entwicklung, die in Costa Rica eingeleitet wurde, als es das Militär abschaffte. Über neue Ideen rund um den Globus, wie man mit der Natur und nicht gegen sie erfolgreich wirtschaften und gleichzeitig den Klimawandel aufhalten kann.
Ich war selbst über die Fülle der gefundenen Positivbeispiele überrascht, wir konnten nicht ansatzweise alles veröffentlichen. Auch deshalb werden weitere „good news“-Ausgaben folgen.
Einmal mehr brachte mich das ins Grübeln. Ob bewusst oder unbewusst – Medien betreiben oftmals ein Programm zur Entmutigung und Verohnmächtigung. Angesichts der vielen schlechten Nachrichten fällt es schwer, optimistisch zu bleiben und sich für eine bessere Welt zu engagieren. Die Resonanz auf diese taz-Ausgaben aber war genau umgekehrt und überwältigend positiv. Zahlreiche Lesende haben uns für die vielen Beispiele gedankt, dass kreative Lösungen auch unter den schwierigsten Verhältnissen machbar sind. Das sei eine „enorme Ermutigung“.
Ute Scheub ist freie Journalistin in Berlin.
ute.scheub@t-online.de
Link:Tipps
www.goodnewz.de Blog mit guten Nachrichten.
www.one11.nl
Website, auf der journalistische Profis Helden des Alltags porträtieren. Leider nur auf Niederländisch.
www.visionews.net Gute Beispiele und Erfolgsgeschichten, wie Frauen weltweit Frieden machen. Initiiert von der Autorin dieses Artikels.
www.utescheub.de Links zu den „good news“-Ausgaben der taz in meinem Blog.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 70 bis 71 Autor/en: Ute Scheub. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.