Ein Bund fürs Leben

Wenn Walter Wallmann am 3. Dezember 1986 nicht Krisenmanagement hätte betreiben müssen, dann wären Beatrix und Lorenz Flatt heute womöglich nicht verheiratet. Wie das so ist mit dem Schicksal. Oder dem Zufall, je nachdem. Wenn also nicht bei dem Chemie-Konzern Sandoz ein Großbrand ausgebrochen wäre, wenn nicht die Löscharbeiten Giftstoffe in den Rhein gespült und das Wasser rot gefärbt hätten, dann wäre der Bundesumweltminister wohl zu den Bonner Pressegesprächen gekommen, zu denen damals die Initiative Jugendpresse (IJP) ihn und einige andere Politiker eingeladen hatte.

So aber wartete das Publikum vor dem Haus der Bundespressekonferenz und vertrieb sich die Zeit mit Plaudern: rund 70 Nachwuchsjournalisten aus allen Ecken des Landes, unter ihnen Beatrix Friedrich aus München und Lorenz Flatt aus Helmstedt. „Wer wen angequatscht hat, ist bis heute umstritten“, sagt Lorenz Flatt und lacht. Sehr wohl aber erinnert er sich, wie plötzlich eine schwarze Limousine vorbeigerauscht ist, Wallmann auf der Rückbank. „Da fährt er doch“, rief Flatt – und ein paar Minuten später machte die Nachricht die Runde, dass das Gespräch mit Wallmann ausfällt.

Leidenschaften.

Lorenz Flatt kann sich gut Gesichter merken und er war schon immer neugierig auf interessante Menschen, Politiker, Journalisten. Deshalb besuchte er die Pressegespräche und Seminare der IJP, und deshalb abonnierte er von der ersten Ausgabe an das „medium magazin“, das damals einige aus dem Kreis der IJP gegründet hatten (s. a. Gründergeschichte Seite 6). Lorenz, der Schülerzeitungsredakteur aus Niedersachsen, gerade in einem halbjährigen Presseseminar der Diözese Osnabrück, vor der Ausbildung zum Großhandelskaufmann mit der Zielvorgabe, später in den väterlichen Baustoff-Handel einzusteigen – aber mit einer Leidenschaft fürs Schreiben.

Auch bei Beatrix Flatt war ein Leben als Journalistin keine von Anfang an abgemachte Sache. Als Abiturientin träumte sie vom Feuilleton der „Zeit“, entschied sich dann aber für eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Sie schloss ein Studium in Ökotrophologie (Haushalts- und Ernährungswissenschaften) an, jetzt mit dem Plan, Fachjournalistin werden. Die Seminare und Studienreisen der IJP, das passte damals zu ihrem Lebensgefühl: rauskommen, Leute treffen, mal schauen, was das Leben bietet, wohin der Beruf einen bringen kann.

Das erforschten Beatrix und Lorenz nach jenem Pressegespräch im Dezember 1986 jeder für sich. Ohne E-Mails, SMS und Facebook blieb der Kontakt lose. Nur zwei, drei Briefe zwischen Rheine, wo Lorenz lernte, und Bamberg, wo Beatrix Eltern lebten – sie selbst steckte gerade im Umzug. Ein Jahr später, als die ZVS Lorenz Flatt nach Bamberg verschickte und er eine Wohnung suchte, nahm er Kontakt zu den Eltern auf. Und die luden ihn direkt ein, erstmal bei ihnen zu wohnen. Ab und zu kam Trixi aus München zu den Eltern, begleitete dann auch Lorenz auf Studentenfeste, „und so haben wir den Kontakt intensiviert“, formuliert Lorenz Flatt heute. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis aus den Kollegen ein Paar wurde – davon zeugt auch ein Foto, das die damalige Freundin von Lorenz Flatt aufnahm. Es zeigt Lorenz und Beatrix in den Herrenhäuser Gärten von Hannover, auf der Rückseite steht: „Die Journalisten“.

Eine „irre Zeit“.

Die beiden „Journalisten“ starteten in einer ereignisreichen, in einer „irren Zeit“ ins Berufsleben, wie Lorenz Flatt sich erinnert: die Demonstrationen in Leipzig und Berlin, Genscher in der Prager Botschaft, die Grenz-öffnung in Berlin, Honecker, Krenz, Modrow, die Maueröffnung, der Menschenstrom aus dem Osten. Flatt, damals neben dem Studium Mitarbeiter für die Wirtschaftsredaktion des Bayerischen Rundfunks, fuhr von Bamberg nach Hof, interviewte die Menschen, die dort über die Grenze kamen, und arbeitete bei einer Stellenbörse mit, die der BR gemeinsam mit der „Passauer Neuen Presse“ aufbaute. Und Beatrix Friedrich begleitete einen Hilfstransport in die Ukraine und reiste nach Polen, sie berichtete über ihre Eindrücke aus Krankenhäusern und Altenheimen und deren Formen von Hauswirtschaft. Verantwortliche Redakteurin einer Fachzeitschrift für Hauswirtschaft war sie zu jener Zeit, nach dem Studienabschluss, nach freier Mitarbeit bei BR und Zeitungen rund um München in den Semesterferien und einem abgebrochenen Volontariat in Ansbach: „Das war mir einfach zu eng.“

1990 zogen sie in München zusammen und außer Möbeln und Klamotten brachte Lorenz Flatt auch „medium magazin“ mit in die neue Wohn- und Lebensgemeinschaft. Beatrix Flatt wurde damals zur Leserin: „Nach zwölf Monaten Volontariat war ich Einzelkämpferin bei meiner Fachzeitschrift. Da waren die Werkstätten, die Tipps zu Sprache und Layout viel wert“, sagt sie. Einzelkämpferin ist sie auch heute noch – und das hat viel mit dem Jahr 1993 zu tun.

„In diesem Jahr änderte sich alles“, bringt Lorenz Flatt es auf den Punkt: Diplom, Hochzeit, Umzug nach Helmstedt samt Einstieg ins Familienunternehmen, Schwangerschaft. Beatrix Flatt kündigte ihre Stelle – „weil mir klar war, dass ich nicht nach München zurückkommen würde“. Von Helmstedt aus zu arbeiten? Diesen Gedanken hatte damals weder sie noch der Arbeitgeber. Kein Wunder: Es war die Zeit, als der „freie Journalist, der seinen Artikel auf einem Computer schreibt und ihn per Kabel in die Redaktion schickt“ noch als Utopie galt, wie auch in „medium magazin“ 3/1986 stand: „Zwar schreiben noch immer die meisten Journalisten auf der guten alten Schreibmaschine, aber dem Computer gehört die Zukunft.“

Überzeugungs-Arbeit.

Beatrix Flatt hat fortan als Freie gearbeitet, nach Jonathan (heute 17) noch Tobias (15) und Amelie (14) zur Welt gebracht und 1999 die Redaktionsleitung für den Infodienst des Berufsverbands Hauswirtschaft übernommen – ein Job, den sie im Home-Office erledigen kann. 2004 ist die jüngste Tochter Katharina geboren worden, seit 2009 ist Beatrix Flatt auch als freie Reporterin für die Lokalausgabe der „Braunschweiger Zeitung“ unterwegs. „Wir wollten diese vier Kinder und wir wollten auch Zeit für sie haben“, sagt Beatrix Flatt. Natürlich ist sie, den Kindern und dem Mann zuliebe, Kompromisse eingegangen. Aber sie ist mit sich im Reinen: „Ich liebe meine Arbeit und mache sie aus Überzeugung.“ Dass sie damit nicht das Einkommen der Familie erwirtschaften muss, macht sie doppelt frei: Sie nimmt sich Zeit für ihre Interviewpartner, sie schreibt unbefangener als mancher Kollege unter Druck tagesaktueller Produktion und muss sich nicht in der Routine aufreiben.

Für Lorenz Flatt ist das Schreiben heute nur noch ein Hobby. Er freut sich, wenn die Pressemitteilungen, die er für Firma und Ehrenämter schreibt, von den Zeitungen ohne stilistische Eingriffe abgedruckt werden. Und er will noch immer wissen, was in der Szene so passiert, hat deswegen bis heute das „medium magazin“ abonniert. Er stieg in den väterlichen Baustoff-Handel ein, weil es dort alle Hände voll zu tun gab: Es war die Zeit der Wende, und Helmstedt liegt an der früheren deutsch-deutschen Grenze. Zwischendurch hat er mal bereut, auch weil ihn die Rolle des ewigen Zweiten, des Sohnes, quälte. Sogar ein Zeugnis hat er sich vom BR Ende der 90er noch mal ausstellen lassen. Aus Lorenz Flatt hätte im Haus was werden können, stand sinngemäß darin. „Mag sein, dass ich dann ein spannenderes Leben gehabt hätte als das eines Unternehmers in Niedersachsen“, sagt Flatt. Aus Münchner Zeiten sind dem Ehepaar Flatt Journalisten-Freunde geblieben, mittlerweile übers Land verstreut. Die Presselektüre geht über die Grundversorgung hinaus, sie zeigt die Affinität zur Branche: Außer „Markt und Mittelstand“ und „Leb
ensmittelzeitung“ für den Job kommen „Braunschweiger Zeitung“, „Hannoversche Allgemeine“ und „Welt kompakt“ ins Haus. Und wenn Beatrix Flatt Zug fährt, kauft sie die „Süddeutsche Zeitung“ für kurze Strecken und „Die Zeit“ für lange Reisen.

Ganz abgeschlossen hat Lorenz Flatt übrigens noch nicht mit seiner Leidenschaft: „Wer weiß – vielleicht verkaufe ich in ein paar Jahren die Firma und wir werden beide Reisejournalisten …“

Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Leben“ auf Seite 104 bis 105 Autor/en: Eva Keller. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.