Öffentlich-rechtliches Radio und Privatfunk mussten sich gegeneinander ihren Platz in der Hörergunst erobern. Im „dualen System“ zwangsverheiratet, hieß es dann, sich gemeinsam in der Medien-Konkurrenz gegen das Fernsehen und seit 2000 zusätzlich gegen das Internet zu verteidigen.
Das gelang nicht ohne Einbußen. Bei Nutzungsdauer und Tagesreichweite wurde das Radio vom Fernsehen auf den zweiten Platz verwiesen. In der jungen Zielgruppe ging auch noch das Internet auf die Überholspur. Insgesamt hat sich das Radio aber doch besser behauptet, als allgemein erwartet. Wie das allerdings gelang, wird dem Radio immer wieder vorgehalten. Es wird gemahnt, im täglichen Quoten-Kampf seine Zukunft als seriöses Medium nicht zu verspielen.
Die Boom-Phase
Mitte der Achtziger Jahre schien der Radio-Himmel grenzenlos offen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1981 den Privatfunk in Deutschland möglich gemacht. Vor allem die Verleger sahen darin ein attraktives neues Geschäftsfeld. Die regierende CDU trieb auf Länder- und Bundesebene die Entwicklung voran, berauscht von segensreichen Auswirkungen einer erhofften Medien-Vielfalt. Vor allem beherrschte nach dem medienpolitischen „Urknall“ 1984, dem Start des ersten Kabel-Pilotprojekts Ludwigshafen, zwar das private Fernsehen die öffentliche Diskussion. Es versprach den Investoren die größten Gewinne und zeigte dem Publikum ungewohnt viel nackten Busen. Für das Radio begann aber ebenfalls eine Boom-Phase. Im Frühsommer 1985 gingen in München die ersten privaten Sender in den Äther. Drei Jahre später sendeten neben den 40 öffentlich-rechtlichen Stationen bereits 80 private. Heute sind es 217 Privatsender, 58 öffentlich-rechtliche und noch 85 sonstige (MA 2011 Radio I). Viel mehr Radio ist es also tatsächlich geworden. Aber auch mehr Radio-Vielfalt?
Der frühere WDR-Hörfunkdirektor Manfred Jenke hatte bereits 1980 wenig Hoffnung, dass die versprochenen „goldenen Zeiten“ kommen würden. Mehr Konkurrenz allein sorge nicht zwangsläufig für ein vielfältiges Angebot: „Sie kann zur Nivellierung und zum bloßen Mehr derselben Formen und Inhalte führen.“
Dort, wo das Radio wirklich Massenmedium ist, hat die Entwicklung ihm teilweise recht gegeben. Mit dem Durchbruch des dualen Systems wurde plötzlich der Kunde König. Der Privatfunk war schnell überaus erfolgreich, weil nun der Hörer mit seiner Präferenz für Unterhaltung und seinem Musikgeschmack das Programm bestimmte. Besonders junge Hörer wollten und bekamen jetzt „ihr Programm pur“ – und nicht mehr das, was die Öffentlich-Rechtlichen bis dahin weitgehend konkurrenzlos als ihren Auftrag verstanden hatten. Die reagierten je nach Konkurrenzsituation und Zielgruppe unterschiedlich schnell und weit gehend. Da im Prinzip auch die Masse ihrer Hörer keine wesentlich anderen Erwartungen hatte, hieß das auch bei ihnen: mehr Musik und weniger Wort – wenn auch mit (nicht immer viel) mehr Anspruch an Inhalt und Form. Denn wo der Hörer die Wahl hat, lässt er sich zwar auch (in Grenzen) fordern, nicht aber auf Dauer überfordern.
„Mehr von demselben“ gilt freilich bei den Kultur- und Infoprogrammen gar nicht; und selbst bei den massenattraktiven Begleitradios nur, sofern sie sich an eine weitgehend identische Zielgruppe richten. Für die Radiohörer insgesamt dagegen ist das Radio durchaus vielfältiger geworden, mit jeweils auf die unterschiedlichen Zielgruppen hin formatierten Musikfarben und Wortinhalten. Die Radio-Skala ist dicht besetzt, mit Angeboten vom Kiddy- bis zum Seniorenprogramm, vom Jazz- bis zum Klassiksender, vom hochkarätigen Info- und Kulturkanal bis zum reinen Musikberieselungssender.
Die Billig-Phase
„Das Radio“ wird also oft zu Unrecht gescholten, weil sich die öffentliche (und die Kritiker-) Aufmerksamkeit besonders auf die vielgehörten Begleitprogramme im Alterssegment 20 bis 49 Jahre richtet.
Das aber ist die am meisten umkämpfte Zielgruppe. Weil sie für die Werbewirtschaft am interessantesten ist, tummeln sich da die Privaten mit Vorliebe. Und natürlich müssen in dieser sogenannten „jüngeren aktiven Mitte der Gesellschaft“ auch die Öffentlich-Rechtlichen ihre Position behaupten. Die Formate liegen hier besonders eng beieinander. In diesem Marktsegment wurde deshalb die Versuchung am größten, Quotenglück und wirtschaftlichen Erfolg auch weit unterhalb des lange gewohnten Radioniveaus zu suchen.
Warum denn nicht auf immer mehr teures Wort verzichten, wenn die Hörer doch ohnehin vor allem die billigere Musik wollen? Warum denn nicht die Geldpreise in den Gewinnspielen in astronomische Höhen treiben, wenn man sich die Hörer(-zahlen) für die Media-Analyse doch „kaufen“ kann? Klappt’s, kommt’s ja über die Werbung wieder rein. Und was heißt hier, Badezimmerzertrümmern oder Nacktskilauf sind geschmacklose Radioaktionen – wenn sie doch (preiswert) die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit bringen? Manchmal sogar in den Medien, die „das Radio“ hinterher wegen Niveaulosigkeit schelten.
Dabei war es immer nur ein Teil der Sender, der glaubte, in einem von manchen Landesmedienanstalten eng besetzten Markt nur so überleben zu können. Er ruinierte damit nicht nur seinen eigenen Ruf als ernstzunehmendes Medium, er beschädigte das Radio-Image insgesamt. Anders als bei der Presse, wo man zwischen Qualitäts- und Boulevardzeitungen durchaus zu unterscheiden gelernt hat.
Die Besinnungsphase
Immer lauter und immer (inhalts-)leerer, immer mehr Krawall statt Qualität, immer mehr (von derselben) Musik statt Wort, immer mehr Schein statt Sein: Zunehmend erwies sich dieses Radiorezept allerdings als Abschaltfaktor. „Mehr Abwechslung im Radio“, tönten deshalb die Radio-Claims so manchem Musik-Research-Ergebnis zum Trotz. Mehr Information wurde angekündigt, das enge Formatierungskorsett hier und da etwas gelockert und exzessives Jingle-Geklingel eingeschränkt. Und seit dem letzten Jahr loben Öffentlich-Rechtliche und Private gar gemeinsam den „Deutschen Radiopreis“ aus, organisiert vom renommierten Grimme-Institut. Das Radio rückt zusammen und wirbt für sich mit Qualität statt mit Quatsch.
Ist das nun die Radio-Rolle rückwärts? Jedenfalls ist es eine Phase der Besinnung, in der bewährte Radiotugenden wieder mehr zu taugen scheinen. Man könnte dagegen einwenden, dass die Hörer seit der Jahrtausendwende in erster Linie „Spaß“ vom Radio wollen und Fernsehen und Internet ihm den Rang als Informationsmedium abgelaufen haben. Ereignisse wie der Kernkraft-Crash in Japan und die Revolten in der arabischen Welt zeigen aber besonders deutlich: Das Radio ist nach wie vor ein wichtiges Informationsmedium. Darauf muss es auch in seinen auf Unterhaltung orientierten Formaten wieder mehr setzen. Radio darf sich nicht selbst auf ein bloßes Spaß-Medium reduzieren. Die Kombination von Information, Unterhaltung und persönlicher Ansprache, als stimmungsbeeinflussender Tagesbegleiter, war und bleibt seine Stärke. Die sollte das Radio mit wieder mehr Selbstbewusstsein ausspielen – trotz aller notwendigen multimedialen Aktivitäten auch gegenüber dem Internet.
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 52 bis 52 Autor/en: Axel Buchholz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.