Berlin, Kapstadt, Hannover, Lüneburg – das sind Standorte, von denen aus 2470media arbeitet. Hinter dem Namen steckt allerdings kein Medienkonzern, sondern ein Startup von jungen Absolventen der Fachhochschule Hannover. Die ehemaligen Fotostudenten Shooresh Fezoni, Michael Hauri, Anna Jockisch und Daniel Nauck taten sich 2009 zusammen, um Multimedia-Reportagen zu produzieren. Im inzwischen auf zwölf Mitglieder gewachsenen Netzwerk entwickeln sie von verschiedenen Orten aus multimediale Formate. „Wir sehen uns als Schnittstelle, die Fotografen, Autoren, Motiondesigner, Infografiker und Redakteure vernetzt“, sagt Daniel Nauck. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2010 entstand zum Beispiel die Serie „Soccer for Life“. 2470media-Mitglied Felix Seufert fotografierte in Südafrika sechs Fußballgeschichten, nahm Videomaterial und die O-Töne auf und in Deutschland wurde geschnitten. Das Bekenntnis zum neuen Format wurde belohnt: Für die Geschichte „After the War“ erhielt das Startup 2010 den Deutschen Reporterpreis für die „Beste Web-Reportage“.
Alternativ finanziert
Die größte Reichweite erreichte ihre Multimedia-Reportage mit dem Titel „Digitale Nomaden“. Die Co-Worker machten darin ihre eigene Arbeitsweise, das dezentrale Zusammenwirken mit wechselnden personellen Strukturen, zum Thema – eine neue Form der Zusammenarbeit, die die Arbeitswelt künftiger Generationen stark beeinflussen könnte. 2010 sahen den Beitrag 65.000 Zuschauer. Im Vergleich zu Kino-Dokumentarfilmen, die durchschnittlich etwa 60.000 Zuschauer haben, beachtlich. „Wir wollen beweisen, dass man auch neben der Spur etwas aufbauen kann und nicht nur immer an die Verlagshäuser gekoppelt sein muss“, sagt Michael Hauri. „Letztendlich ist Multimedia auch eine Alternative für die immer geringer werdenden Veröffentlichungsmöglichkeiten im Print.“
Auch in Sachen Finanzierung betritt 2470media Neuland: Sie brachten die fertigen Fußballgeschichten aus Südafrika gleich dreimal unter: Der DFB beteiligte sich, aber auch bei „11 Freunde“ und bei der taz waren sie zu sehen. In sozialen Netzwerken bieten die Produzenten freiwillige Bezahlmodelle wie Kachingle, Flattr und Inkubato an. Einen Teil seiner Einnahmen will das Netzwerk auch mit PR-Produktionen für „karitative Organisationen und engagierte Unternehmen“ erwirtschaften, wie es auf ihrer Website heißt. Für die taz-Genossenschaft produzierten sie zum Beispiel den Imagefilm „Keine taz mehr? Ohne mich!“. PR-Produktionen kennzeichnen sie mit „(PR)“ oder „corporate“.
Neben diesen alternativen Finanzierungsmodellen setzt 2470media auf Kooperation mit etablierten Medien. Mit dem Medienpartner taz, bei dem auch „Digitale Nomaden“ drei Tage lang lief, entwickelte sich eine weitere Kooperation, die anlässlich des taz-Medienkongresses am 8. April startete.
Unter dem Titel „berlinfolgen“ erscheinen 52 Episoden wöchentlich auf taz.de. Es sind zweiminütige Audio-Slideshows mit integrierten Viedosequenzen über den Alltag in Berlin. Diese angereicherte Form der Audio-Slideshow hat noch keinen eigenen Namen, wird mal Fotofilm, mal Multimedia-Reportage oder weiterhin Audio-Slideshow genannt. Die Serie „berlinfolgen“ wird redaktionell von den beiden taz-Redakteurinnen Frauke Böger und Plutonia Plarre betreut. Sie suchen die Interviewpartner aus, führen die Gespräche und tüfteln mit den Produzenten von 2470media an der Dramaturgie ihrer Beiträge. Diese stellen die visuelle Seite und produzieren. Ein Beitrag, „Der Fahrraddoktor“, lief als Testballon für dieses lokale Format bei Vimeo und Facebook, inzwischen sind auf taz.de vier Episoden erschienen.
Pate für die Idee haben die legendären Audio-Slideshows „One in 8 Million“ des Fotografen Todd Heisler auf der „New York Times“-Website gestanden.
Mit dem Einzug filmischer Elemente in die klassische Audio-Slideshow können die Stärken der einzelnen Stilmittel intensiv ausgeschöpft werden. „Themen lassen sich“, so Daniel Nauck, in dieser neuen Form „verdichtet und in sehr kurzer Zeit erzählen“. Die darin verwendeten Standbilder sind erinnerbar, docken emotional intensiver an als reines Bewegtbild. Und man kommt mit der kleinen Kamera viel näher an die Protagonisten heran. Es ergeben sich starke Bilder.
Multimediales Storytelling
2470media produziert aber nicht nur Audio-Slideshows. Die Produktionsfirma bietet ihre Reportagen crossmedial, also sowohl für Print, als auch in webadäquater, multimedialer Form für Online an. Zur Reportage der Zukunft gehören neben Text, Ton, Foto und Video auch Karten, Infografiken und interaktive Elemente. In den USA nennt man diese neue Erzählform „multimedia storytelling“.
2470media setzt auf Arbeitsteilung: Der Fotograf ist für Fotos und Bewegtbild zuständig, der Autor für Text und Audio, und möglicherweise arbeitet ein Redakteur beim Schnitt an der Dramaturgie der Geschichte mit. „Wir sind keine crossmedialen Alleskönner“, betont Daniel Nauck. Und Michael Hauri warnt vor allzu leichtfertiger Herangehensweise: „Man darf nicht den Fehler machen, in einer Printgeschichte zu denken, ein paar Töne zusätzlich aufzunehmen und damit eine Audio-Slideshow zusammenzubauen. Für eine multimediale Geschichte braucht man ein klares Konzept, ein Storyboard.“
Das gilt auch für einfachere Projekte (s. a. die Journalisten-Werkstatt „Die Multimedia-Reportage“ in diesem „medium magazin“). Für Reportagen der 2470media-Klasse braucht es allerdings etwa die dreifache Zeit einer Print-Fotoreportage. Die Macher von 2470media glauben trotz der Arbeitsintensität fest an das Format und sehen sich durch die Entwicklung in den USA bestätigt: Dort expandieren Produktionsfirmen dieser Erzählform bereits seit mehreren Jahren, wie zum Beispiel „Mediastorm“. „Die Fotoreportage, die wir so lieben, in eine neue Form zu bringen und dies auch angebotsfähig zu machen, ist für uns interessant. Schließlich ist sie die anspruchsvollste Form des Fotojournalismus, die zudem künstlerische Ansätze gestattet“, sagt Daniel Nauck. Der Anspruch, die Fotoreportage in Bewegung zu bringen, kommt dem Nutzungsverhalten der Online-User entgegen: Laut einer Studie von ARD und ZDF nimmt in Deutschland der Bewegtbild-Konsum über das Internet um zwölf Prozentpunkte im Vergleich zu 2008 zu.
Innovation wird outgesourcet
„Der Bedarf an Web-Reportagen wächst“, stellt Michael Hauri fest: „Medienhäuser, die ihren Lesern etwas Besonderes bieten wollen, müssen sich nach Produktionsmöglichkeiten umschauen, um mithalten zu können.“ Allerdings öffnen sich die Türen der Redaktionen nur langsam, hat Nauck erlebt: „Es müssen noch viele Weichen gestellt werden, damit die Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und externen Produktionsteams wie 2470media funktionieren kann.“
So verbreiten viele Multimediaproduzenten, meist innovationsfreudige Freiberufler, ihre Inhalte selbst. Auch 2470media publiziert über seine Website und diverse Kanäle der sozialen Netzwerke direkt für den Konsumenten. „Aus den Ressourcen freiberuflicher Autoren und Fotojournalisten bilden sich derzeit neue Strukturen. Durch die Möglichkeiten der Vernetzung und des eigenständigen Publizierens werden zunehmend auch kleinere Medienmarken ein eigenes Publikum erreichen“, glaubt Daniel Nauck. Den etablierten Medienunternehmen könnte ihr Umgang mit kreativen Kollegen und Freiberuflern bald teuer zu stehen kommen. Denn viele Innovationen finden nicht mehr in ihren Häusern statt, sondern in Netzwerken wie 2470media.
Link:Tipps
2470media-Website:
www.2470media.eu
taz-Serie „berlinfolgen“:
www.taz.de/1/berlin/berlin-folgen/
„In A Million Years“, Anti-Atomkraft-Website von Fotografen:
www.inamillionyears.com/media/?viewall
In Deutschland basiertes Portal für Multimedia Storytelling (gemeinnütziger Verein):
www.spillthebeans.de
Erschienen in Ausgabe 04+05/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 58 bis 59 Autor/en: Manfred Scharnberg. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.