Sie haben alle die gleichen Bilder. Eine solche Äußerung fällt gern, wenn einmal wieder relativ identische Fotos die Titelseiten der Tageszeitungen schmücken. Den schwarzen Peter bekommen auch die Nachrichtenagenturen zugeschoben – zu Unrecht. Die Unterschiede sind größer, als es subjektiv wahrgenommen wird. Eine Umfrage des „medium magazins“ unter vier Newsagenturen nach deren visuellen Bestsellern aus 2010 ergab etliche Differenzen.
Mit den ermittelten Fotos – die nicht immer die ästhetischen Lieblinge der Bildredaktionen repräsentieren, sondern die Abdruckerfolge – sind zwar insgesamt alle relevanten Themen des Jahres abgedeckt (weitere Fotos s. a. www.mediummagazin.de). Dennoch lassen sich Schwerpunkte und Stärken erkennen. Nicht nur, dass bei den eher auf Deutschland fokussierten Agenturen, wie dpa und dapd, heimische Ereignisse unter den meistveröffentlichten Bildern sind, so punkten bei Reuters und AFP tendenziell Auslandsthemen. Jede Agentur verbucht seine Highlights bei Ereignissen, mit denen andere nicht so erfolgreich waren. Ausnahme ist die Fußball-WM, die überall gut lief, wenn auch nicht immer unter den Top Five.
Die Unterschiedlichkeit hat ihre Gründe
So liegt ein Foto vom Erdbeben in Haiti bei AFP ganz im vorderen Bereich ihrer Hitliste. Sie haben den regionalen Fotografen Thony Belizaire unter Vertrag, der vom ersten Tag der Katastrophe an Bilder senden konnte. Die Fotoredaktion der dpa war bei den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 mit bis zu vier Fotografen vertreten. Es entstand ein Foto, das einen Rentner mit den blutigen Augenlidern zur Symbolfigur des Protestes gegen die Bahnhofs-Tieferlegung machte. Dietrich Wagner verlor beim Polizeieinsatz sein Sehvermögen. Protestierende schminkten sich daraufhin rote Rinnsale unter die Augen.
„Das Foto zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass der Widerstand gegen Stuttgart 21 zu einem Großteil bürgerlicher Natur ist. Drei Generationen, die nicht gerade nach schwarzem Block aussehen, sind zusammen auf einem Bild “, meint Bernd von Jutrczenka, Fotochef bei dpa. Anders lief dieses Thema bei AFP: „International gesehen fanden die Ereignisse keinen wesentlichen Widerhall, abgesehen von dem Tag, an dem die Wasserwerfer eingesetzt wurden“, schildert Uta Tochtermann, die Leiterin der Bildredaktion Deutschland, das unterschiedliche Interesse.
Um Treffer zu landen, braucht es oftmals Risikobereitschaft. „Als unser Landesdienst Niedersachsen erstmals eine Porträtserie von Lena Meyer-Landrut fotografierte, war sie noch völlig unbekannt“, berichtet Dirk von Borstel, Chefredakteur des dapd-Bilderdienstes. Das war noch zu Zeiten der Vorentscheidung des Eurovision Song Contest. Selbst die Entsendung eines eigenen Fotografen nach Oslo zum Auftritt der Künstlerin erforderte Überredungskunst. „Lena hätte danach völlig in der Versenkung verschwinden können. Wir haben dennoch Nigel Treblin geschickt, der trotz eines vermeintlich schlechten Standpunktes seitlich der Bühne das Glück hatte, exzellente Bilder zu liefern“, erzählt Dirk von Borstel. Die Fotos gingen massenhaft um die Welt.
Nicht immer spielen dabei fotografische Qualitätsmerkmale die Hauptrolle. Uta Tochtermann, von AFP, meint: „Das Foto, das die Krake Paul beim Orakeln zeigt, hat an sich nichts Außergewöhnliches. Dennoch ist das Bild weltweit enorm publiziert worden. Es ist ein Gag, zudem ein Tier, das Kultstatus erreicht hat – Emotionalität spielt eine wichtige Rolle.“
Neue Sichtweisen nötig
Was haben Fotos gemeinsam, die für ein Rauschen im Blätterwald sorgen? „Ein erfolgreiches Bild muss etwas Faszinierendes haben. Als Nachrichtenfoto sollte es das Geschehen auf den Punkt bringen – oder den Leser in die Geschichte hineinziehen“, meint Bernd von Jutrczenka. Der Redaktionsleiter Bilderdienste bei dapd legt eine längere Halbwertzeit zugrunde: „Meine persönlichen Favoriten sind Bilder, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie in hundert Jahren noch verstanden werden. Denn meist transportieren solche Fotos ganz elementare, starke Emotionen wie Hass, Liebe oder Leid, die den Leser unmittelbar ansprechen“, so Dirk von Borstel.
Die Bildchefs von dapd und dpa sind sich einig: Zur heutigen Bildberichterstattung gehören neue Sichtweisen. „Es ist ein Trend zu besonderen Bildern mit speziellem Blick festzustellen. Wir freuen uns darüber, dass auch Regionalzeitungen inzwischen der Fotografie eine tragende Rolle beimessen“, berichtet Bernd von Jutrczenka. „Zwar ist es oft noch so, dass Redaktionen nach dem ersten und nicht nach dem besten Bild greifen. Doch immer häufiger ist zu beobachten, dass Tageszeitungen Fotos drucken, die früher nur in Magazinen zu sehen waren“, fügt Dirk von Borstel hinzu.
Der Bildermarkt steht unter einem enormen Konkurrenzdruck. Und das hat Auswirkungen darauf, wie Nachrichtenagenturen sich aufstellen. Wie kaum jemals zuvor ist der Markt im optischen Metier in Bewegung. Michael Leckel, verantwortlicher Redakteur News Pictures Germany bei Reuters, setzt auf Zeitvorteil: „Geschwindigkeit ist ein wichtiger Faktor. Wir arbeiten mit dem sogenannten Remote-Editing, bei dem der Redakteur den direkten Zugriff auf die Festplatte des Fotografen hat, um Bilder auszuwählen. Die Fotos sind damit wenige Minuten nach dem Ereignis beim Kunden.“
„Agenturen konzentrieren sich immer stärker auf Alleinstellungsmerkmale“, erklärt Dirk von Borstel, „einerseits geht es in die Breite, andererseits werden aber auch spezielle, neue Gebiete erschlossen. Ein Beispiel sind die für Newsagenturen eher untypischen Symbolfotos, für die es einen Bedarf gibt.“
Auch die „dpa“ stellt sich breiter auf. „Dank der Digitalisierung bieten wir inzwischen eine erheblich größere Auswahl an, sodass wir sehr unterschiedliche Kundenwünsche bedienen können“, sagt Bernd von Jutrczenka. „Auch wenn das alltägliche Geschäft schneller geworden ist, haben wir glücklicherweise die Möglichkeit gewonnen, Themen zusätzlich mit alternativen Motiven weiter abzurunden“, freut sich Uta Tochtermann. Ein fotografischer Einheitsbrei der Nachrichtenagenturen scheint also nicht ins Haus zu stehen. Es lebe die Vielfalt.
Medium:online
Fotogalerie: Die Top Fünf der meistnachgefragten Nachrichtenfotos der vier Agenturen sind dokumentiert unter www.mediummagazin.de
Erschienen in Ausgabe 01+02/2011 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 33 Autor/en: Manfred Scharnberg. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.