Wenn Louis van Gaal für die nächste Saison noch einen Co-Trainer suchen sollte: Er könnte sich an Ludger Schulze wenden. Zwar hat es bei ihm selbst mit der sportlichen Karriere nie geklappt. Wie man aber eine Mannschaft führt, das weiß der Sportchef der Süddeutschen Zeitung genau: Es ist ja oft so, dass die Platzhirsche den jungen Leuten den Weg versperren und bis zum letzten Tag alles an sich reißen. Das habe ich nie gemacht. Und das hat sich gelohnt: So konnten sich die jungen Leute entwickeln und ausprobieren.
Nachwuchspflege und Motivation sind Schulzes Ding, der eine natürliche Autorität ausstrahlt und Talente wie Holger Gertz förderte, der als preisgekrönter Reporter heute mit seinen Texten die Seite 3 ziert. Wenn der 59-Jährige nach der Fußball-Weltmeisterschaft das Feld räumt, dann ist das für die Süddeutsche ein enormer Verlust. Er tut das vorzeitig und aus freien Stücken heraus. Auch das: ein Problem.
Du bist verrückt.
Der Einstieg in den Journalismus war für Schulze ein Kinderspiel. Als ihm aufging, dass der angepeilte Schuldienst doch nichts für ihn sein sollte, dachte er ans Schreiben. In der SZ erspähte der Hobby-Fußballer einen Mannschaftskollegen. Der erklärte dem jungen Schulze zwar, dass das keine aussichtsreiche Idee sei. Weil Not am Mann war, bekam Schulze seine Chance dennoch: 50 Zeilen über den Fußballer Björn Andersson, der nach langer Verletzung wieder auf dem Platz stand. Schulze: Zu meiner großen Überraschung wurde mein Text so übernommen, wie ich ihn geliefert hatte.
Ohne Abschluss in der Tasche dachte er noch daran, die Deutsche Journalistenschule zu besuchen, die damals enger mit der SZ verwoben war als heute. Doch die Zeitung machte ihm auch ein Volontariat schmackhaft, ein Vertrag lag bereit. Ich war trotzdem fest entschlossen, die Schulbank zu drücken. Mein Freund und großes Vorbild Herbert Riehl-Heyse, der damals selbst hier Redakteur war, hat mir aber gesagt: Du bist verrückt, mach das Volontariat, nimm das Geld!
Schulze war rasch, was gemeinhin als Edelfeder bezeichnet wird. Während ihn Spielberichte eher anödeten, fand er Spaß daran, den Sport aus einem kritischen Blickwinkel zu betrachten. Schulze, dessen Studienzeiten von den Achtundsechzigern geprägt waren, die zu Leistungen an sich ein eher ambivalentes Verhältnis pflegten, sagt selbst: Den Sport zu demaskieren und ihn der Lächerlichkeit preiszugeben, das hat mir damals immer sehr große Freude bereitet, auch das Infragestellen von Autoritäten.
Ein kurzer Bruch.
Mit dem Rekordwahn des Sports wurde er auch deshalb nie warm. Wenn ich einen Usain Bolt sehe, der einen Weltrekord im Spaziergang holt, an dem sich andere 30 Jahre lang die Zähne ausgebissen haben, grinse ich mir einen ab.
Gut drei Jahrzehnte besuchte er Olympische Spiele und andere Spektakel der Leibesübungen. Doch Schulzes Laufbahn prägt auch ein Bruch, Ende der Achtziger. Damals betreute er unter Kurt Kister die Seite 3 mit. Schulze passte es nicht, dass er kaum die Muße fand, um zu schreiben. Ich war ein Tischredakteur, was ich nie sein wollte. Konsequent verließ er die Zeitung und wechselte zu einem Buchverlag um keine zwei Jahre später als stellvertretender Ressortleiter Sport wieder anzutreten.
Auch da hatte Schulze noch die Freiheit, viel zu notieren. Er nahm sich aber zunehmend zurück und baute mit Redaktionsleiter Michael Gernandt den Nachwuchs auf. Der SZ-Sport gilt bis heute als Talentschmiede, spätestens seit ihm in den Achtzigern der Lokalsport zugeschlagen wurde. Der ist die ganz große Talentwiese, auf der wir merken, wer eine eigene Schreibe und einen eigenen Ansatz für Geschichten hat, sagt Schulze.
Holger Gertz ist dabei nur eines von vielen Talenten, die sich im SZ-Sport entwickeln konnten. Axel Hacke war dort Redakteur, bevor er in die Innenpolitik wechselte und sich schließlich mit seinen Kolumnen selbstständig machte. Und auch die heutigen SZ-Korrespondenten Javier Cáceres (Spanien), Gerhard Fischer (Skandinavien) sowie Peter Burghardt (Südamerika) verbrachten viele Jahre mit oder unter Schulze.
Ich habe da meine Sorgen.
Der ist seit 2003 Chef der Redaktion, muss sich dabei aber auch mit Aufgaben befassen, die nichts mit Journalismus gemein haben. Vor allem in jüngster Zeit gab er auch den Controller. Früher war das ja keine Sache, sagt er, da konnten wir ausgeben so viel wir wollten. In den Neunzigern, vor allem aber nach den beiden Krisen sei das anders: Ich muss jeden Monat die Zahlen kontrollieren und gegebenenfalls mehr Agenturen drucken oder aus der Redaktion heraus schreiben lassen.
Die halte das aus, sagt Schulze. Was leide, sei neue Talente zu binden: Ich sehe nicht, dass wir sie wie früher mit einer festen Stelle zu uns holen können. Die Qualität des Blattes rette unter dem zunehmenden Leistungsdruck nur die Redaktion. Die Leute arbeiten hier inzwischen enorm viel, Arbeitszeiten sind längst kein Thema mehr. Wie lange das noch gut gehe? Ich habe da meine Sorgen, bemerkt Schulze, der von seinem Büro auf die Arena blickt und trotz dieser Aussicht nicht wirklich zufrieden wirkt.
Das Netz etwa sei für ihn ein großes Geheimnis, obwohl sich Print und Online immer weiter annähern müssten. Ich bin nicht böse, dass ich das jetzt nicht bis zum Ende betreiben muss, sagt Schulze.
Und vage deutet er an: Wir haben jetzt zwei Krisen hinter uns, die alle Zeitungen verändert haben, auch diese hier. Das sind Dinge, die es mir dann doch leichter machen, aufzuhören.
Nicht zuletzt räumt er damit auch das Feld für die, die nachrücken wollen. Ludger Schulze bleibt sich eben treu.
Erschienen in Ausgabe 06/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 46 bis 47. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.