Paradoxe Situation

Frau Rados, sollte es in Deutschland Verhaltensmaßregeln für Krisenreporter geben, wie sie zum Beispiel die BBC publiziert hat?

Antonia Rados: Absolut. Dabei geht es um zwei Aspekte: Erstens um eine sogenannte Krisenausbildung, die von Sicherheitsfirmen oder der Bundeswehr angeboten wird. Da können Reporter zum Beispiel zwei Wochen lang trainieren, wie sie sich in einem Fall von Kidnapping oder Beschuss am besten verhalten sollten. Andererseits brauchen wir aber auch einen moralischen Kompass, um in solch extremen Situationen keine Fehler zu machen. Beides halte ich für sehr wichtig, aber wir sollten uns keiner Illusion hingeben: Am Ende sind die einzigen Richtmaße, die jedem einzelnen Reporter bleiben, das Wissen und Gewissen.

Warum halten Sie eine solche Krisenausbildung für notwendig, wie gut oder schlecht sind Ihrer Ansicht nach Reporter auf Gefahrensituationen in Konfliktgebieten vorbereitet?

Ein Beispiel: Ich kannte zwei französische Journalisten, die auf dem Weg in die irakische Stadt Kerbala entführt wurden – und zwar an einem Tag, der eigentlich sehr ruhig war. Erfahrene Journalisten fragen sich dabei sofort: Wie konnte so etwas passieren? Im Nachhinein stellte sich heraus: Den beiden ist ein schwerwiegender Fehler unterlaufen. Sie standen unter Druck, waren spät dran, mussten noch eine Radiogeschichte überspielen und hielten deshalb auf ihrem Weg an, um ihr Satellitentelefon auszupacken und den Bericht an die Redaktion zu schicken. Doch solch ein Telefon ist verräterisch, wenn man beobachtet wird. Das wurde ihnen zum Verhängnis.

Man muss sich also emanzipieren gegenüber den Ansprüchen der Heimatredaktion?

Genau – Sicherheit muss immer vorgehen. Ein Journalist, der nicht entführt wird, ist ein Held. Einer, der entführt wird, aber ist ein Dummkopf – zumindest in den Augen der Öffentlichkeit, die sich fragt: Wieso muss der Journalist überhaupt dorthin reisen, das ist doch alles verrückt! Wir Korrespondenten sind in einer fast schon paradoxen Situation, da es einerseits keine Krisenberichterstattung ohne Risiko geben kann, dieses Risiko andererseits immer unkalkulierbarer wird, solange es Banden gibt, die westliche Journalisten entführen, weil sie wissen, dass sie dafür viel Geld bekommen.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Medien in Krisengebieten?

Kollegen, die sozusagen exklusiv in einem Krieg herumlaufen, die haben dort eigentlich nichts zu suchen. Man muss sich austauschen. Ich gebe Informationen natürlich auch weiter an Kollegen, weil ich weiß, dass ich manchmal genauso auf die Unterstützung angewiesen bin. Das ist für Krisenreporter fast schon eine Grundregel.

Hat sich das Prinzip des Embedding mittlerweile überlebt?

Ich selbst habe zwei oder drei Mal im Lager der Bundeswehr unter anderem in Kundus übernachtet. Ich kam aber von draußen, flog nicht mit den Deutschen dorthin. Eine zu große Nähe ist für einen Reporter nicht gut, daran hat sich nichts geändert. Wer sich vollständig embedden lässt, wird kaum der Macht der militärischen Propagandamaschine entkommen können. Trotzdem sollte man auch über Armee-Angelegenheiten berichten, nur eben mit dem nötigen Abstand.

Oft lässt es die Sicherheitslage aber nicht zu, dass Reporter auf eigene Faust in Unruheregionen reisen, sondern sich auf Begleitung der Armee verlassen müssen.

Das ist einer der absurden Teile der Kriegsberichterstattung. Man muss ja kein Einstein sein, um festzustellen, dass die Bevölkerung nicht ehrlich ist, wenn man von bis an die Zähne bewaffneten Soldaten begleitet wird. Da redet denen natürlich jeder nach dem Mund. Man erfährt in solchen Fällen also nur Positives über die Truppe, die einen gerade begleitet. So blöd sind die Afghanen nicht, ausgerechnet die Deutschen in deren Beisein zu kritisieren. Das ist bei den Taliban aber auch nicht anders. Embedded sein heisst immer eingeschränkte Berichterstattung, vor allem in Ländern wie Afghanistan, wo die Leute ohnehin mit freier Meinungsäußerung Probleme haben, auch ohne Bundeswehr, weil die Gewalt im Alltag zu groß ist.

Wie weit müssen Sie sich auf die Instrumentalisierungsversuche der Konfliktparteien einlassen, um berichten zu können?

Ich sage jedem deutschen, iranischen oder afghanischen Geheimdienstler immer klipp und klar, was ich ohnehin veröffentlichen werde. Das heißt, ich gehe offen mit der Problematik um. Jeder weiß, woran er ist. Ich verheimliche nicht, dass ich Journalistin bin, auch weil ich nicht gern mit Geheimdienstlern spiele. Jeder hat seine Interessen, und vor allem in Kriegsgebieten ist Propaganda ja auf allen Seiten üblich, von den Amerikanern bis zu den Taliban. Die Deutschen und Amerikaner sind dabei aber relativ schwerfällig und bürokratisch, wohingegen die Taliban mit ihrer Propaganda sehr offensiv vorgehen und dadurch zum Teil auch mehr Sympathien in der Bevölkerung gewinnen.

Was halten Sie für das größte Problem des heutigen Krisenjournalismus?

Was leider die gesamte Berichterstattung kennzeichnet – und niemand von uns Korrespondenten entkommt diesem Problem – ist die zunehmende Vermischung von Unterhaltung und Information.

In einer gewissen Perversion geht das soweit, dass sogar Leute, die über praktisch keine Inhalte für ihre Berichte verfügen, sondern im Hotel sitzen und im Grunde nichts zu erzählen haben, einfach Unterhaltung daraus machen. Damit meine ich: Viele reden in solchen Situation vor allem über sich selbst, die Probleme des Reporters, die leidvollen Erfahrungen, die schwierigen Umstände vor Ort. Krieg hat immer etwas schauerlich Faszinierendes an sich. Doch durch die Selbstdramatisierung schaffen Journalisten es manchmal, ihre eigene kleine Tragödie zur einzigen Tragödie des Krieges zu machen.

Vermittelt das nicht auch einen transparenten Eindruck von der Arbeit eines Krisenreporters?

Natürlich ist es nicht so, dass man nur ein guter Reporter ist, wenn man in jedes Dorf fährt und sich überall selbst nach der Lage erkundigt. Aktionismus allein bringt nichts. Aber dass darauf häufig verzichtet wird, weil ständig Berichte und Live-Schaltungen gemacht werden müssen, ist gerade im Fernsehen ein Problem. Die Folge: Früher oder später glaubt man dem Reporter nicht mehr. Denn im Hotel sitzen könnte jeder, auch der Zuschauer. Die Kriegsreportage kommt nicht ohne die eigenen Recherchen vor Ort aus. Das braucht Zeit. Und es gelingt nicht immer. Statt an der kurzen muss der Kriegsreporter an der langen Leine gelassen werden.

Welche Unterschiede zwischen der Print- und TV-Berichterstattung sehen Sie?

Das ist ein riesiger Unterschied, wobei er auch immer mehr verschwimmt. Wenn ich die Websites der großen Zeitungen lese, dann sehe ich selbst dort irgendeinen Journalisten, der mir die Welt erklärt und dabei gefilmt wird. Videos sind ja mittlerweile überall. Und Webkameras verwandeln unsere ganze Welt in Bilder – womit die Fernsehproblematik auch in den Print-Journalismus drängt.

Sie wirken ziemlich hoffnungslos.

Natürlich wandelt sich die Welt ebenso wie die Medien und der Journalismus. Wie man im Zeitalter von Twitter und Internet moderne, glaubwürdige Krisenberichterstattung anbieten kann, ist eine große Herausforderung. Ich werde weitermachen, aber eigentlich ist es die Aufgabe der nächsten Generation, darauf Antworten zu finden.

Link:tipp

Hier bloggt Antonia Rados für Sie:

http://bit.ly/cravVF

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Special“ auf Seite 52 bis 52 Autor/en: Interview: Leif Kramp und Stephan Weichert. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.