Klare Worte

Matthias Thiele

ist freier Journalist in Berlin.

post@matthias-thiele.de

Pater Hagenkord, Sie sind Journalist und gleichzeitig als Chefredakteur des deutschsprachigen Programms von Radio Vatikan die selbst ernannte „Stimme des Papstes“. Wie lösen Sie diesen Konflikt?

Wir sind so etwas wie die Übersetzer des Papstes. Er spricht ja immer zu der gesamten Weltkirche, und das ist nicht immer verständlich: Die Hintergründe, Theologie, der komplizierte Satzbau. Das muss alles eingeordnet werden, kommentiert und erklärt. Das ist eine genuin journalistische Aufgabe, die wir erfüllen. Wir sind keine Pressesprecher, keine Verlautbarungsverkünder. Wir entscheiden, was wir senden, wen wir interviewen.

Beim aktuellen Missbrauchsskandal stelle ich mir das sehr schwierig vor. Berichten Sie regelmäßig darüber?

Ja, natürlich. Seit dem 28. Januar, dem Tag, an dem es die berühmt gewordene Pressekonferenz in Berlin gab, haben wir darüber berichtet. Nicht immer jeden einzelnen Fall, aber immer, wenn es aus unserer Sicht etwas zu berichten gab. Und wir haben der Versuchung widerstanden, zu sagen: Jetzt ist gut.

Einige Kurienmitglieder finden aber ganz offenbar, dass es jetzt genug ist und geben seltsame Dinge von sich. Kann es sein, dass dem Vatikan ein Berater für Krisen-PR fehlt?

Ich glaube, der Vatikan kommuniziert anders, als wir das gewohnt sind. Nach außen wirkt das chaotisch. Da ist auf der einen Seite der vatikanische Pressesaal mit dem Pressesprecher Federico Lombardi. Dort arbeitet man sehr professionell. Dann sind da aber auch die Kardinäle, Hunderte von Bischöfen und Priestern – die kann man nicht in eine einzige Sprechsystematik einbinden. Das ist die Kirche nicht gewohnt. Ebenso wenig wie diesen Dauerterror der Medien, jeden Tag eine neue Nachricht produzieren zu müssen.

Aber die Nachrichten produzieren doch hohe Geistliche wie Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der einen unhaltbaren Zusammenhang zwischen Homosexualität und Pädophilie herstellt.

Bertone hat in Chile ein Radiointerview gegeben. Auf die zweite Nachfrage hin hat er etwas gesagt, das er nicht hätte sagen sollen. Ich weiß nicht, ob er das wirklich so gemeint hat oder nicht, aber er hat es in diesem Augenblick so gesagt, und die ganze Welt fällt jetzt über ihn her. Er war vermutlich mit dieser Situation eines unter Druck gegebenen Interviews einfach überfordert. Jemand der einen so verantwortungsvollen Job hat, müsste eigentlich genau darauf trainiert werden. Oder er muss seinen Pressereferenten dabei haben, der notfalls die Hand aufs Mikrofon legt, damit so etwas nicht passiert.

Diese Kommunikationsprobleme sind aber doch schon länger bekannt, spätestens seit der Affäre um die Pius-Brüder und ihren Bischof Williamson…

Es war damals ein grober Schnitzer, dass das Interview, in dem er den Holocaust geleugnet hat, der Kurie offenbar unbekannt war. Aber offensichtlich ist die Lernkurve noch nicht steil genug. Es schalten sich immer wieder Leute ein, die meinen, sie seien schlauer. Nehmen sie Kardinaldekan Sodano: Er bricht am Ostersonntag das Protokoll, spricht den Heiligen Vater an, und plötzlich werden alle hellwach, denn so funktioniert ein Protokoll. Und dann benutzt er ein Wort, „chiacchierone“, das im Italienischen nicht unbedingt einen negativen Klang hat, sondern auch so etwas wie „viel reden“, auf deutsch aber auch „Geschwätz“ heißen kann. Sodano erhöht die Aufmerksamkeit und sagt etwas, das – vorsichtig gesagt – missverständlich ist. Da frage ich mich schon: Warum macht der Mann das?

Hat man im Vatikan eine Antwort darauf?

Nein, darauf wird es auch keine Antwort geben. Fest steht nur: Sodano weicht damit die Aussagen des Papstes auf. Und auch alle im Vatikan, die schreien, das ganze sei eine Medienkampagne, verdunkeln das, was der Papst sagt. Wir haben kein Medienproblem, wir haben ein Missbrauchsproblem! Ich frage mich oft: Warum kann man sie nicht dazu bringen, von einem Liedblatt zu singen?

Aber das schafft man ja selbst im privaten Haushalt des Papstes nicht: Sein Prediger Cantalamessa hat am Karfreitag aus dem Brief eines jüdischen Freundes zitiert: Der findet, dass im Missbrauchsskandal persönliche Verantwortung umgewälzt wird auf eine Kollektivschuld der Kirche und vergleicht dies mit dem Antisemitismus der 30er-Jahre…

Cantalamessa hat geglaubt, er könne ein differenziertes Zitat bringen. Aber in unserer Diskurskultur kann man das einfach nicht, und das muss auch der Hausprediger des Papstes akzeptieren. Das ist ein großer, roter Knopf, auf den man aus guten Gründen nicht drücken darf. Ich kann das Leid des jüdischen Volkes nicht dazu benutzen, um ein Argument in einer Diskussion um Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche daraus zu machen – schon alleine aus Respekt vor den Opfern. Natürlich fliegt uns als Kirche so etwas dann um die Ohren. Und auch wir haben bei Radio Vatikan darüber berichtet. Aber haben Sie die Predigt gelesen, die er gehalten hat?

Nein, nur die zitierten Auszüge.

Die Predigt ist unglaublich gut. Das ist nämlich das Peinliche. Er hat eigentlich eine ganz starke Botschaft: Die eine Hälfte der Weltbevölkerung, nämlich die Männer, müsse sich bei der anderen Hälfte, den Frauen, entschuldigen für Gewalt, für das nicht gehört werden der letzten zigtausend Jahre, nicht abstrakt sondern konkret bei ihrer Frau, ihrer Nachbarin. So eine starke Botschaft hat man aus dem Vatikan noch nie gehört. Und dann hängt er so ein Ding hinten dran, dass niemand sich seine Predigt anhören wird, weil alle nur noch dieses Schlusszitat wahrnehmen.

Also gut gedacht, schlecht gemacht. Und das in einer ganzen Reihe von Einzelfällen?

Ja, genau. Weil sie alle glauben, klüger zu sein und noch etwas sagen zu müssen, und nicht wissen, nach welchen Gesetzen die Medien funktionieren. Die Medien sind ja kein böser Drache. Man muss nur die Gesetze kennen, nach denen sie funktionieren, dann kann man sich mit ihnen angstfrei unterhalten.

Aber Sie stimmen zu, dass die Reaktionsgeschwindigkeit der Kurie den Ansprüchen der modernen Medienwelt oft nicht genügt?

Man sieht in Rom vieles unter der Rücksicht der Ewigkeit. Und der Vatikan versucht immer zuerst einzuordnen, zu sortieren. Hinzu kommt eine gewaltige Sprachverwirrung, die verschiedenen Kulturen. Es ist ja gut, dass hier Mentalitäten aus aller Welt aufeinanderprallen; aber bis ein Statement dabei herauskommt, dauert hier immer ein wenig länger.

Wie nehmen Sie denn von Rom aus die deutschen Medien derzeit wahr?

Es gibt neben der großen Zahl an guten Berichten auch einige wenige unfaire Geschichten. Ich finde sie nicht unfair, weil sie gegen die Kirche gerichtet sind, sondern weil die Opfer instrumentalisiert wurden, um der Kirche eines auszuwischen. Man hat uns ja lange zu Recht vorgeworfen, dass wir wegschauen und uns nur um den Ruf unserer Kirche kümmern würden. Aber leider habe ich den Eindruck, dass einige deutsche Medien ex negativo genau dasselbe machen: Auch sie kümmern sich nur um den Ruf der Kirche und versuchen ihn zu schädigen. Das finde ich journalistisch fragwürdig. Ich glaube, wir haben nach diesem Missbrauchsskandal auch eine Debatte um die Qualität des deutschen Journalismus zu führen. Einige Dinge sind schlichtweg unprofessionell.

Können Sie Beispiele nennen?

Nehmen Sie die Sendung „Kontraste“: Es gab dort einen Beitrag über einen Jesuitenpater, der nach Chile gegangen ist. Der Vorwurf im Beitrag war, dass der Orden diesen Pater schützen wolle. Dann wurde zusammenhanglos aus einem Brief zitiert, verschwiegen, dass es zwei Briefe gibt und der eine ohne den anderen nicht verstanden werden kann. Unser Provinzialoberer wurde im Bericht angeklagt und zugleich ein Bild eingeblendet, auf dem er grinste. Der Zeuge, der den Priester belastet, kam zu Wort, aber er hat im O-Ton eigentlich nichts gesagt, sondern die Vorwürfe wurden ihm danach vom Sprecher in den Mund gelegt. Das war ganz
subtil gemacht, technisch sehr professionell, aber journalistisch fand ich das nicht tragbar. Das war Kampagnen-Journalismus. Ich kenne die Geschichte zufällig. Und glauben Sie mir, er ist anders, als von „Kontraste“ dargestellt…

Aber es gibt sicher immer verschiedene Perspektiven…

Natürlich gibt es die, aber ich verlange Fairness. Und außerdem sollten die Kollegen in Deutschland nicht vergessen: Es geht in diesem Skandal in erster Linie um die Opfer. Denen müssen wir Raum geben. Jeder, der einmal mit Missbrauchsopfern zu tun hatte, weiß: Das geht nicht auf Knopfdruck. Die müssen sich selbst erst einmal wieder im Spiegel anschauen können, und dann erst können sie den Schritt in die Öffentlichkeit gehen. Stattdessen werden Forderungen an die Opfer gestellt: „Trefft euch doch mit mir, ruft mich an, meldet euch, ich möchte mit euch reden.“ Das ist viel zu fordernd. Wir müssen aufpassen, dass hier nicht etwas auf dem Rücken der Opfer ausgetragen wird.

Sind Ihnen denn auch positive Berichte aus Deutschland aufgefallen?

Als der Skandal begann, hat zum Beispiel die „Berliner Zeitung“ ihre Berichterstattung massiv hochgefahren. Und sie haben sich dabei dem Dialog nicht entzogen. Die Redakteure dort haben gesagt: Wenn wir schon gegen die Jesuiten schreiben, dann müssen wir sie aber auch zu Wort kommen lassen und uns mit ihnen treffen. Und sie haben mit dem Schuldirektor und dem Provinzialoberen gesprochen. Das finde ich fair. Ich möchte ja nicht, dass alle meine Meinung haben, und man kann ja finden, dass all das, was die Kirche tut, falsch und verbrecherisch ist, aber man muss ihr die Gelegenheit geben, darauf zu antworten – und zwar nicht sinnentstellend.

Was kommt von den deutschen Berichten überhaupt in Rom und beim Papst an?

Der Papst ist sehr gut informiert und die wichtigsten Kardinäle in der Kurie ebenfalls. Und zwar aus erster Hand. Als Beispiel nenne ich immer den Missbrauchsskandal in Irland: Papst Benedikt hat die irischen Bischöfe im Februar einbestellt, und jeder musste sieben Minuten lang von den Missbrauchsfällen in seinem Bistum erzählen. Der Papst hat höchstpersönlich sichergestellt, dass diese Berichte von allen wichtigen Entscheidern in der Kurie gehört werden; die saßen alle mit im Raum. Da sind sicher sehr deutliche Worte gefallen. Das zeigt doch, dass man sehr genau wahrnimmt, was passiert. Natürlich glaubt der ein oder andere im Vatikan, da sei eine Kampagne am Start, und es gibt ja auch Medien, die alles dafür tun, es aussehen zu lassen, als sei es eine Kampagne. Wenn sich die „Times“ nicht zu schade ist, zu berichten, dass der Papst in Großbritannien verhaftet werden soll, ist es kein Wunder, dass einige Bischöfe wieder in eine Wagenburg-Mentalität verfallen.

Wird die Kirche in ihrer Medienarbeit aus den jüngsten Erfahrungen lernen?

Einige Bischöfe und Kardinäle lassen sich schon heute von Profis beraten. Ich denke, da tut sich etwas. Aber es wird immer hohe Würdenträger geben, die nicht gut mit den Medien umgehen können, und andere, die es können. Eine gewisse systematische Inkompatibilität wird es sicher immer geben, schon aus der Natur der Sache heraus: Wenn ich wissen möchte, was Papst Benedikt sagt, dann kann ich nicht erwarten, das auf Twitter zu erfahren. Wenn ich wissen möchte, was er zu einem Thema denkt, muss ich mir schon mal eine Stunde Zeit nehmen – und das ist anstrengend. Wenn wir im Radio einen 50-Sekunden-O-Ton spielen, ist das für heutige Hörgewohnheiten eine Zumutung und eigentlich nicht mehr sendbar. Die Aufgabe der Medien ist es, zu verkürzen, zu verdichten und etwas begreifbar zu machen. Aber sie verfälschen dadurch auch immer ein Stück weit. Einige Leute hier im Vatikan verunsichert das, weil sie es nicht gewohnt sind.

Erschienen in Ausgabe 04+05/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 40 bis 41. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.