Im Schattenreich

Schweres Geschütz, was der „stern“ da gegen die „Bunte“ aufgefahren hat. Das mag martialisch klingen, aber tatsächlich herrscht nun so etwas wie Krieg zwischen den Magazinen in Hamburg und München. Der erste und bisher stärkste Schuss wurde am 25. Februar abgefeuert. Er traf Burdas Illustrierte ins Mark. „Verfolgt und Ausgespäht“ titelte der „stern“ und berichtete, das Peoplemagazin habe über Jahre hinweg die Berliner Presse-Agentur CMK damit beauftragt, das „Privatleben von Spitzenpolitikern systematisch auszuspionieren“. Ein Skandal tat sich auf, herbe Vorwürfe aus anderen Medien und der Politik inklusive. Alle schießen gegen die „Bunte“.

Die Kronzeugen des „Stern“: die beiden ehemaligen CMK-Mitarbeiter Thomas Walther und Andre Plath. Die haben – so viel steht fest – im Dienste der Agentur, die wiederum beaufragt von der „Bunte“, die Wohnung des damaligen SPD-Chefs Müntefering ausfindig gemacht, sich in Geschäften umgehört und „Müntes“ heutige Frau observiert, sogar bei Bahnreisen quer durch die Republik. Die Reporter Johannes Röhrig und Hans-Martin Tillack stützen sich in ihren Berichten zudem auf angebliche CMK-Rechercheprotokolle – deren Echtheit die betroffene Agentur jedoch anzweifelt. Eine Schlammschlacht erster Güte, ohne Frage.

Seither schlagen die Wogen hoch – und das, obwohl die umstrittensten Mittel wie die Manipulation von Briefkästen und die Installation von Bewegungsmeldern sowie festen Kameras nur angedacht, aber nicht nachweislich umgesetzt wurden. Die Beweislage im „stern“-Bericht wirkt gelegentlich seltsam dünn.

„Bunte“ bestätigt jedenfalls, über Jahre mit CMK zusammengearbeitet zu haben. Sie erteilte Aufträge für Fotos, aber auch für Hintergrund-Recherchen. CMK beliefert übrigens fast alle großen Blätter mit Bildmaterial, auch den „stern“, der etwa ein Bild der ehemaligen Geliebten Horst Seehofers kaufte. Weil CMK auch den „Investigative Reporting Service“ und die Einheit „CMK Research“ vorhält, um „schnell und unbürokratisch noch fehlende Informationen“ zu beschaffen, geriet sie in der Debatte in den Dunstkreis von Privat-Ermittlern.

Agenturinhaber Stefan Kiessling dementiert alle Anschuldigungen auf das Schärfste. Von den Kronzeugen des „stern“ habe er sich bereits im vergangenen Jahr getrennt. Es habe sich gezeigt, „dass die Arbeitsmethoden der beiden mit den professionellen Grundsätzen von CMK Images nicht vereinbar waren“. Die nun unterstellten Mittel hätten die „ehemaligen freischaffenden Leute offensichtlich selber durchgeführt“.

Dabei geriet Kiessling selbst unter Beschuss. Verlautbarungen, der Bayerische Journalisten-Verband habe bereits 2004 ein Ausschlussverfahren gegen ihn angestrengt, dementiert er. Tatsächlich hatte der Vorstand darüber diskutiert. Allerdings wegen anderer als der aktuellen Gründe: „Kiessling zeichnete sich vor allem durch sein aggressives Auftreten aus“, wie BJV-Chefin Frauke Ancker zu „medium magazin“ sagte. Andere Bildjournalisten hatten sich mehrfach über „unkollegiales Verhalten“ beschwert. Recherchemethoden von Kiessling seien aber kein Thema gewesen. Auch „Bunte“-Chefin Patricia Riekel sagte im Gespräch mit „medium magazin“: „Mir ist es wichtig klarzustellen, dass ‚Bunte‘ jahrelang mit CMK zusammengearbeitet hat, ohne dass es irgendwelche Probleme oder Hinweise auf unlautere Methoden gab.“

Von CMK distanziere sie sich deswegen nicht, sagte Riekel, zumal die diskutierten Methoden ja gar nicht zum Einsatz gekommen seien. „Mich wundert aber, dass der ‚stern‘ ausgerechnet jene Ex-Mitarbeiter der CMK als Zeugen aufführt, die eben diese Methoden angeblich besprochen und erwogen haben.“ Von solchen Mitarbeitern distanziere sie sich ohnehin. Recherchemethoden, wie sie der ‚stern‘ beschrieb, hätten „mit Journalismus nichts mehr zu tun“. Dass sie Recherchen nach außen gibt, verteidigte sie: „‚Bunte‘ hat eine vergleichsweise kleine Stammredaktion und keine eigenen Fotografen. Deswegen arbeiten wir – wie viel andere Redaktionen auch – weltweit mit freien Fotografen und Fotoagenturen zusammen.“ Das sei durchaus üblich.

Die Debatte heizte zwischenzeitlich an, dass die „Bunte“ der CMK Honorare von 240.000 Euro überwies. Doch auch dafür hat Riekel eine Erklärung parat: Die Summe sei über einen Zeitraum von ca. drei Jahren fällig geworden – für Fotos wie für Recherchen. „In jeder ‚Bunte‘ sind rund 350 bis 400 Fotos. Da kann man sich ausrechnen, dass dafür eine Menge Honorare fällig werden“, sagte Riekel. Das klingt plausibel, wenn man bedenkt, dass bei großformatigen Fotos und Exklusivbildern rasch vier- bis fünfstellige Summen anfallen.

Das alles aber sind Scharmützel verglichen mit dem nachhaltigen Image-Schaden für die „Bunte“, sollten sich alle Behauptungen des „stern“ bestätigen: Sofort nach Erscheinen des Berichts meldete sich das Magazin, es handele sich „um den Versuch der Verleumdung eines erfolgreichen Mitbewerbers“ durch den „stern“ und kündigte eine Unterlassungs-Klage an.

Gleichzeitig macht in der Branche die Runde, von nicht wenigen genüsslich erzählt, die Geschichte sei vor dem „stern“ auch anderen angeboten worden – gegen Geld. Die hätten jedoch dankend abgelehnt, weil sie dem Leumund der Zeugen nicht trauten. Andre Plath, einer der Kronzeugen und ein ehemaliger Stasi-Feldwebel, besitze „in Medienkreisen den Ruf, bei der Auswahl seiner Auftraggeber nicht wählerisch zu sein“, schrieb der „stern“ selbst. Das war bekannt: Schon 2003 hatte ihn Hans Leyendecker in der „SZ“ als zwielichtige Figur beschrieben. Gleichwohl gab ihm der „stern“ die Bezeichnung „Under-Cover-Journalist“, bisher eher assoziiert mit Günter Wallraff.

„Nicht die Reputation eines Zeugen ist für uns entscheidend, sondern ob die Fakten stimmen. Und die haben wir mehrfach geprüft“, argumentiert „stern“-Chef Thomas Osterkorn im Gespräch mit „medium magazin“. Ob für die Infos Geld floss? „Solche Fragen kommentieren wir grundsätzlich nicht“, sagt Osterkorn. „Tatsache aber ist: Die beiden Zeugen sind nicht auf uns zugekommen, sondern wir auf sie.“

Der Anlass für die Recherche sei ein Bericht in „Focus“ über Bespitzelungen des Linken-Chefs Lafontaine gewesen, erschienen am 21. November ‘09. Die „stern“-Reporter Röhrig und Tillack seien erst im Zuge ihrer Recherchen auf CMK gestoßen – und auf die beiden Zeugen zugegangen.

Die Vorwürfe des Magazins sorgen für breite Empörung, aber auch für Kontroversen in der Branche. Reizworte wie „Outsourcing“ in Zeiten, in denen überall Redakteure um ihre Festanstellungen bangen, treiben die Empörung weiter an. Das überlagert fast die Debatte um die ethisch-publizistische Kernfrage: Was darf investigative Recherche überhaupt in der Grauzone verdeckter Ermittlung – und: Darf ein People-Blatt wie „Bunte“ das überhaupt für sich reklamieren?

Nirgendwo ist festgeschrieben, dass investigative Recherche nur den harten Politik- und Wirtschaftsressorts vorbehalten ist. Entscheidend ist die Frage der Relevanz, eines „besonderen öffentlichen Interesses“, wie es der Presserat definiert (s. Interview Seite 23).

Riekel schrieb in einem Editorial: „Wir berichten nicht über Privataffären. Nur dann, wenn sie zu Staatsaffären werden.“ Große Worte, die vielleicht auf einen EU-Kommissar zutreffen, der mit einer engen Mitarbeiterin privat verbandelt ist und sie auf einen hochdotierten Posten befördert. Aber sicher nicht auf einen verwitweten Politiker, der sich in eine deutlich jüngere Frau verliebt. „Hier hätt
e ich meine Formulierung vielleicht stärker einschränken müssen“, räumt Riekel selbstkritisch ein. Dennoch: In keinem Fall habe „Bunte“ Politiker-Fotos veröffentlicht, die zu einer Klage geführt hätten. „Was wirft er uns denn vor?“, fragt sie in Bezug auf die Beschwerde Franz Münteferings beim Presserat. „Wir haben zu keinem Zeitpunkt Details aus seinem Privatleben veröffentlicht.“ Auch die Gerüchte über ein angebliches Verhältnis von Oskar Lafontaine mit Sahra Wagenknecht, habe die „Bunte“ zwar recherchieren lassen, aber nach 14 Tagen abgebrochen, da sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben hätten. Gedruckt hat das Gerücht später der „Spiegel“.

Auch der „Stern“ steht jedoch nicht ohne Kritik da: „Freischreiber“-Mitglied Felix Zimmermann etwa meinte auf magda.de: „Dass sich ausgerechnet der ‚stern‘ jetzt seiner Enthüllung über zweifelhafte Recherchen rühmt, ist mehr als verlogen.“ Er wies auf den Amoklauf von Winnenden vor einem Jahr hin, wo der „stern“ seinerzeit „ganz vorne mit dabei war, als es darum ging, möglichst tief in die Privatsphäre der Angehörigen der Opfer einzudringen“. Osterkorn kontert solchen Vorwurf: „Es ist möglich, dass auch wir Fehler gemacht haben. Daraus lernen wir. Aber wenn es so war, heißt das doch nicht, dass man nicht mehr über unlautere Praktiken anderer schreiben darf.“

Seine Kontrahentin Riekel wiederum kritisiert die „‚stern‘-Geschichte“ als „schädlich für die ganze Branche“. „Offenbar schlägt jetzt die Stunde der Pharisäer. Dieser Reflex in der Branche, dass Berichte über Privatleben generell abzulehnen sind, ist realitätsfern.“

Ihre Begründung: Im Zeitalter des Internets sei dies eine unzeitgemäße Diskussion über die Grenzen der Berichterstattung, die „ich grundsätzlich richtig finde, da Respekt und Distanz im Journalismus genauso notwendig sind wie Fakten und hartnäckiges Recherchieren“. Im Printjournalismus gebe es noch publizistische Verantwortung. Im Internet könne sie das nicht überall erkennen. Riekel: „Wir müssen uns heute ganz andere Fragen stellen: nämlich wie wir in den Medien auf die Entwicklung zu einer solchen grenzenlosen Offenheit, wie sie das Internet heute möglich macht, reagieren.“

In der Tat wirken in zunehmend gläsernen Zeiten á la Google StreetView die tradierten Vereinbarungen des Pressekondex zur Privatheit geradezu archaisch. Aber sind sie deshalb falsch? Notwendig wäre in der Tat eine offensive Diskussion um den Wertbestand eines Kodex in Zeiten der Jedermann-Kommunikation, ohne Bindung an die freiwillige Selbstkontrolle der Profession. Eine deutlichere Abgrenzung tut da Not – nach innen sowieso, aber eben auch nach außen. Und nicht zuletzt auch eine Diskussion, wie sie Thomas Osterkorn fordert: „Ich finde die Verbände sollten stärker darüber nachdenken, wem man da einen Presseausweis in die Hand drückt.“

Schwarz-weiß-Denken, wie es die aktuelle Debatte allzu oft leitet, führt da nicht weiter. Sehr wohl aber Konsequenzen, wie mehr Sorgfalt in der Auswahl der Mitarbeiter und Recherche.

Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Special“ auf Seite 20 bis 21 Autor/en: Annette Milz und Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.