?Herr Prof. Dörr, fühlen Sie sich als ungebundener Wissenschaftler eigentlich wohl in der politischen Gesellschaft nur von Grünen und Linken?
Dieter Dörr: Mir geht es darum, einen so weit wie möglich staatsfreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verteidigen. Notfalls mit einem Normenkontrollverfahren, wie ich das jetzt beim ZDF für erforderlich halte. Daher sind mir Abgeordnete aus allen Fraktionen sehr willkommen, die dieses Ziel unterstützen.
Ohne die käme eine Überprüfung des ZDF-Staatsvertrages durch das Verfassungsgericht ja auch nicht zustande …
Wir Bürger tragen gemeinsam Verantwortung für unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die gewählten Volksvertreter aller Parteien voran.
Aus anderen Lagern kommt aber bislang mehr Widerstand als Unterstützung. Wolfgang Börnsen, kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht die Rundfunkfreiheit beim ZDF nicht in Gefahr und bei Ihnen erkennt er mehr Ideologie als Sachverstand am Werk.
Es gibt auch andere Stimmen bei der CDU. Die langjährige CDU-Medienexpertin im Europaparlament, Ruth Hieronymi, würde eine rechtliche Überprüfung klar begrüßen. Frau Hieronymi ist immerhin die Vorsitzende des WDR-Rundfunkrates.
Im Übrigen: Wenn Herr Börnsen sich da so sicher ist, sollte er eine Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht scheuen schon um seine Partei vom Vorwurf des politischen Machtmissbrauchs zu befreien.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD), auch Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates und der Rundfunkkommission der Länder, sieht aber ebenfalls keinen Grund wegen Fehlentscheidungen Einzelner den Fehler zu begehen, das ganze System plattzumachen.
Beck schließt dennoch den Gang zum Verfassungsgericht nicht ganz aus. Korrekturen hält er ebenfalls für erforderlich. Dazu bevorzugt er aber eine einvernehmliche Änderung des ZDF-Staatsvertrages durch alle Bundesländer. Er hat auch Vorschläge dafür gemacht.
… die Sie für nur kosmetische Korrekturen halten …
Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Ich habe aber Zweifel, ob ein so veränderter Staatsvertrag einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhielte.
Grüne und Linke haben in den ZDF-Gremien kaum Einfluss. Sie können deshalb nichts verlieren. Eine eventuelle Korrektur der Zusammensetzung der Gremien durch das Bundesverfassungsgericht würde also vor allem die beiden Großen treffen. Verweigern die sich deshalb bislang?
Politische Mehrheiten können sich ändern. Aber lassen Sie mich die Frage als Verfassungsrechtler beantworten: Die Gremien unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen plural besetzt sein. Keine einzelne Gruppe unserer Gesellschaft darf sie dominieren. Schon gar nicht der Staat und auch nicht die politischen Parteien. Der einzige aber, der dies in unserer Demokratie durch entsprechende Rundfunkgesetze oder Staatsverträge sicherstellen kann, ist nun einmal der Staat selbst. Der Staat und die politischen Parteien müssen sich also selbst in ihrer Macht beschränken.
Und wer am meisten davon hat, dem fällts am schwersten …
Ja, das ist im Grundsatz ein nicht auflösbarer Konflikt. Aber wir haben eben als unabhängige Instanz noch das Bundesverfassungsgericht.
Das könnte doch aber auch diesen Grundkonflikt nicht aufheben und auch nicht verhindern, dass Politiker in den Gremien Freundeskreise und damit Einfluss organisieren, oder?
Nein, aber es könnte die Hürden dafür viel höher machen.
Was würde das für den ZDF-Verwaltungsrat mindestens bedeuten?
Ich kann und will einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in keiner Weise vorgreifen. Aus meiner Sicht wäre allerdings der Staatsferne des Verwaltungsrats gedient, wenn diesem Gremium außer den vom Fernsehrat gewählten Mitgliedern allenfalls ein vom jeweils aufsichtsführenden Land entsandter Vertreter angehört.
… und für den Fernsehrat?
Dessen Zusammensetzung müsste aus meiner Sicht grundlegend geändert werden. Ihm sollten überwiegend von den gesellschaftlich relevanten Verbänden und Organisationen entsandte Vertreter angehören, die von diesen ohne staatliche Mitwirkung oder Mitentscheidung ausgewählt werden. Auf Vertreter von Regierungen und auf von Regierungen ausgewählte Mitglieder sollte im Interesse der Staatsferne gänzlich verzichtet werden.
Auch auf Vertreter der Parteien?
Nein. Die politischen Parteien gehören ohne Zweifel zu den gesellschaftlich relevanten Organisationen. Sie sollten Vertreter entsenden dürfen, allerdings in einem sehr begrenzten Umfang.
Kurt Beck warnte davor, dass die Politik nach solch einer Entscheidung über Umwege viel intensiver präsent (wäre) als je zuvor.
Das glaube ich nicht. Das Gewicht der sogenannten Grauen, also der parteipolitisch Ungebundenen, würde gestärkt. Ihre Chancen würden steigen, sich in unser aller Interesse als politische Spielverderber zu betätigen.
Auch der frühere Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, warnt: Werden die Verbindungen zur Politik gekappt, jubeln die Privaten.
Es ist richtig, der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht die Unterstützung der Politik in vielerlei Hinsicht: etwa bei der Verteidigung seiner Position gegenüber der privaten Konkurrenz in Deutschland und gegen Vorbehalte der EU in Brüssel, bei Gebührenerhöhungen und der Sicherung der Werbeeinnahmen. Gerade deshalb muss aber verhindert werden, dass auch noch die Gremienbesetzung als Einfallstor für politische Einflussnahme offen bleibt. Also: Verbindungen, ja natürlich, aber keine Inbesitznahme.
Die Grundsätze einer Entscheidung des Verfassungsgerichts würden ja auch für die ARD gelten. Müssten dann viele Landesgesetze oder Staatsverträge geändert werden?
Also gewiss nicht beim NDR. Den Staatsvertrag für diese Vier-Länder-Anstalt hat die Politik selbst bereits vor Jahren annähernd vorbildlich ausgestaltet.
Aber auch bei den anderen ARD-Anstalten ist jedenfalls kein sehr großer Nachbesserungsbedarf zu erwarten. Eine Ausnahme ist vielleicht der MDR, wo die Zahl der staatlichen bzw. dem Staat zuzurechnenden Vertreter ziemlich hoch ist. All dies hängt natürlich davon ab, wie streng die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sein werden.
Welche Chancen geben Sie den 17 deutschen Journalisten und Verlagsvertretern, die im Fall Brender einen Verstoß gegen die europäische Pressefreiheits-Charta sehen und sich deshalb an die Europäische Kommission und den Europarat gewendet haben?
Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat sich auf der Grundlage dieser Initiative bereits kritisch zu der aus ihrer Sicht fehlenden Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland geäußert. Allerdings können weder der Europarat noch die Europäische Kommission den ZDF-Staatsvertrag ändern. Vielmehr bleibt es die Aufgabe Deutschlands, also der Länder, den ZDF-Staatsvertrag so zu gestalten, dass er dem Gebot der Staatsferne entspricht. Dies wird ohne die Hilfe des Bundesverfassungsgerichts nach meiner Einschätzung nicht gelingen.
Der bekannte Bonner Rechtsanwalt und Medienrechtsexperte Gernot Lehr ist da anderer Meinung: Die Keule des Verfassungsgerichts brauche es nicht. Der Fernsehrat hätte im Fall Brender das Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung des Verwaltungsrats wegen fehlender Zuständigkeit anrufen können.
Das Grundübel ist doch, dass beide Räte zu staatsnah besetzt sind. Warum sollte dann der eine das Gericht gegen die Entscheidung des anderen bemühen? Wie will man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? In einer gemeinsamen Erklärung haben 35 deutsche Verfassungsrechtler hier den Verfassungsfall gegeben gesehen. Ich gehöre dazu, weil ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für ein hohes gesamt-gesellschaftliches Gut halte. Um seiner Glaubwürdigkeit willen sollten wir alle gemeinsam seine Unab
hängigkeit verteidigen und dort wiederherzustellen suchen, wo sie Schaden genommen hat.
Tipp:
Eine Dokumentation der rechtlichen Einschätzung des ZDF-Staatsvertrages aus Sicht des Verfassungsrechtlers Dörr finden Sie auf Seite 58f.
Das vollständige Interview mit Dieter Dörr ist dokumentiert unter www.mediummagazin.de.
Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 56 bis 56 Autor/en: Axel Buchholz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.