Abfackeln!

Nordeuropa als Berichtsgebiet bedeutet eine Ost-West- und Nord-Süd-Ausdehnung von mehreren tausend Kilometern, lange Reisen sind da nicht zu vermeiden. Zum Beispiel nach Kirkenes, 2.100 Kilometer nördlich von Berlin.

Dort fanden Anfang Februar das Kulturfestival Barentsspektakel und die Kirkeneskonferenz statt. Zum Eröffnungsabend war die Theaterperformancegruppe Panoptikum aus Freiburg angereist. Das Spektakel, das sie auf dem Marktplatz im Zentrum von Kirkenes veranstaltete, erinnerte an eine abgespeckte Version der ebenso legendären wie umstrittenen Shows des Österreichers André Heller. Auf an Riesensteinschleudern aus Asterix-Comics erinnernden Gefährten und kugelrunden, auf einen fahrbaren Untersatz gebockten Käfigen rollen sie mit brennenden Fackeln und Gasflammenwerfern über den Platz. Dazu rufen sie auf Englisch mit recht starkem deutschem Akzent ein paar Fragen, die so philosophisch banal sind, dass der genaue Wortlaut schnell wieder vergessen ist und eigentlich auch keine Rolle spielt. Es ist wohl irgendetwas in Richtung „Woher kommen wir? Wohin gehen wir?“. Bedeutungslose Zirkusunterhaltung? Irgendwie schon, aber vielleicht steckt doch viel mehr Tiefsinn dahinter. Abschlussbild nämlich ist ein Kirkenes in Flammen. Die deutsche Truppe veranstaltet ein Feuerwerk, das von speienden Flammen begleitet wird und den Eindruck erweckt, die Gebäude am Rande des Platzes stünden in Flammen.

Wie so viele Länder ist auch Norwegen während des zweiten Weltkrieges von Deutschland besetzt gewesen, auch Kirkenes. Vor dem Hintergrund, dass die deutschen Besatzer bei ihrem Rückzug aus Nordeuropa in Norwegen und Finnland im Winter 1944/45 südlich von Kirkenes ganze Städte niederbrannten, sieht der politisch bewusste Zuschauer den Abschluss der Vorstellung durchaus als Referenz zu diesen abscheulichen Handlungen, wenngleich das womöglich unbeabsichtigt war. Kirkenes selber wurde zwar nicht von den deutschen Soldaten abgefackelt, ist aber vom Kriege dennoch stark gezeichnet worden. Nur eine Handvoll Häuser hielten den russischen Bombardements gegen die deutschen Besatzer stand, alles andere lag in Schutt und Asche. Die örtlichen Zeitungen zogen diese Parallele nicht – fehlendes Bewusstsein oder die viel zitierte Gnade der späten Geburt?

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Erschienen in Ausgabe 03/2010 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 65 bis 65 Autor/en: Clemens Bomsdorf, Kirkenes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.