Der Moment kommt, früher oder später. Zeig doch mal deinen Führerschein, sagt der Kollege aus der Grafik zum Redaktionsleiter. Woraufhin Männer mit Seitenscheitel sich charmante Beleidigungen anhören müssen: So ein Wilder warst du also und interessante Frisur, hören die Damen, die ihre Zeit als Dauerwellenstar gerne aus ihrer Frisurbiografie ausradieren würden.
Unser prominentes Foto-Opfer Nr. 8 (nach P. Kloeppel, P.-M. Gaede, M. Sonneborn, N. Förster, D. Pieper, M. Döbler, A. Dittert) ist Christoph Keese (45), Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Axel Springer AG. Er hat die Financial Times Deutschland bei Gruner+Jahr mit aufgebaut und als Chefredakteur geleitet, wechselte 2004 zu Springer, wo er die Welt am Sonntag übernahm und dann der vierköpfigen Chefrunde der Welt-Gruppe vorsaß. Seit 2008 vertritt er als Außenminister die Interessen des Medienunternehmens, diskutiert über Werbeverbote, Urheberschutzrechte und Bezahlmodelle im Netz.
Keeses Fotokommentar: Als das Foto entstand, war ich 19 und wollte unbedingt Journalist werden. Etwas anderes konnte ich mir nicht vorstellen. Auf eine Anzeige in der Zeit hin bewarb ich mich an der Henri-Nannen-Schule. Ein Friseurbesuch tat vorher not, allerdings hat mich der Meister ziemlich verschnitten, was auf dem Bild gut zu erkennen ist. Sieht aus, als wenn der Wind von unten käme. Ich habe versucht, das mit einer Krawatte zu kompensieren. Eher missglückt. Es hat dann aber doch irgendwie mit der Aufnahme geklappt. Nach der Schule studierte ich Wirtschaft und entdeckte, welche dramatische Kraft in dem Thema steckt. Kein Drama von Shakespeare, das in Unternehmen nicht Wirklichkeit würde. Hamlet, der Zögerliche, Lear, der alte Narr, Heinrich V., das Motivationsgenie (The fewer men, the greater share of honour) alle sind sie da. Hinter der sorgsam errichteten Kulisse spielen die Konflikte der Welt.
Für Journalisten ein ergiebiges Gebiet, wenn sie recherchieren und sich von der Show nicht ablenken lassen. Wolf Schneider hat in der Schule immer empfohlen: Benutzt den Hintereingang! Das ist jungen Kollegen heute so anzuraten wie damals: Seid neugierig, bewahrt euch den kritischen Verstand! Lest bedrucktes Papier, aber auch alle elektronischen Medien!
Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Rubriken & Kolumnen“ auf Seite 8 bis 9. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.