Das große Wettrüsten

Wolfgang Büchner ist angetreten, die größte Herausforderung zu meistern, die der deutsche Medienmarkt zu bieten hat: Er muss das Dickschiff Deutsche Presse-Agentur (dpa) nicht nur in ein wendiges Schnellboot wandeln. Büchner, der zum Jahreswechsel Wilm Herlyn an der Spitze ablöste, muss den Marktführer auch noch durch den Wellengang manövrieren, den zwei Privatinvestoren mit ihrem Deutschen Depeschendienst (ddp) auslösen. Die ddp-Eigner Martin Vorderwülbecke und Peter Löw teilen ein Ziel: Sie wollen dpa „verzichtbar machen“.

Dafür bezahlen die beiden Manager die Austria Presse Agentur dafür, die veraltete Technik des ddp auszutauschen und im Frühjahr in Berlin ein Produktionssystem zu installieren, das eine koordinierte Verbreitung von Wort und Bild ermöglichen soll.

Bei der dpa dauert die Umrüstung länger. Sie hat die Plattform einer tschechischen Nachrichtenagentur gekauft, passt sie aber noch eigenen Wünschen an. Während Teile des dpa-Bilderdienstes bereits auf „Ines“ arbeiten, wird die Umstellung der schreibenden Redakteure bis Ende 2011 dauern.

Die ddp-Pläne. Als bislang größten Coup haben Löw und Vorderwülbecke Anfang Dezember den deutschen Dienst der amerikanischen Associated Press (AP) übernommen. Den Kunden des Ex-AP-Angebots versprechen sie Kontinuität: Beide Häuser blieben erhalten. AP-Deutschland heißt seitdem zwar Deutscher Auslands-Depeschendienst (DAPD), der sich in den Meldungen APD kürzelt. An den gut 110 DAPD-Mitarbeitern wollen die neuen Eigner aber ebenso festhalten wie an den 180 des ddp. Geplant sei lediglich ein „moderater Abbau“ von bis zu 15 Stellen.

Gleichzeitig soll der DAPD-Korrespondentenplatz in Brüssel nicht wegfallen, wie es AP vorhatte. In London und Paris sind zudem weitere eigene DAPD-Kräfte geplant, eventuell sogar in Rom. DAPD soll auch künftig Inlands- und Auslandsmeldungen liefern. Reportern und Pauschalisten in den Ländern werde nicht gekündigt, heißt es aus der Redaktionsleitung um Peter M. Gehrig, der parallel zu ddp-Chefredakteur Joachim Widmann im Amt bleibt.

Gehrigs Team, das wie zuvor die internationalen AP-Dienste auf Englisch, Spanisch und Französisch auswertet, soll sogar noch etwas mehr Auslandsmeldungen liefern als bisher. Weltweit sind für AP etwa 3.000 Journalisten unterwegs. Der ddp hat ihre Inhalte für den deutschsprachigen Markt für „mindestens 15 Jahre“ lizensiert. Die AP wertet seit dem Geschäft für ihre Berichte aus Deutschland wiederum den ddp aus.

Die Stärkung des Auslandsgeschäfts ist eine Gefahr für den hiesigen Dienst der Agence France-Presse (AFP), natürlich aber insbesondere für die dpa. Die wertet 76 nationale Partneragenturen aus und betreibt allein für den deutschen Basisdienst weltweit 32 Büros mit 65 festen Redakteuren (siehe Beitrag „An der Front“, mm 7-8/09). Ihr Vorteil: Während die AP-Korrespondenten das Weltgeschehen vor allem durch die US-Brille sehen, setzt dpa meist auf eigene Reporter, die sich für Einsätze der Bundeswehr und Ausflüge deutscher Politiker stärker interessieren.

Die neue Stärke der ddp-Gruppe soll sich rasch auch bei den Inlandsberichten bemerkbar machen. Die Reporter von ddp und DAPD sollen ihrer Einsätze über die Redaktionsgrenzen hinweg abstimmen. Besucht ein DAPD-Mitarbeiter einen Termin, liest ein Redakteur des ddp dessen Meldung und wertet sie für den eigenen Dienst aus.

Die dpa-Pläne. Gleichzeitig schmiedet auch Büchner Pläne, um dpa zu stärken. Sein „Feinkonzept“ soll im Juli greifen, wenn die auf Hamburg, Frankfurt und Berlin verteilen Ressorts in der Hauptstadt zusammenziehen. Die Zentralredaktion wird 3.500 Quadratmeter der Axel-Springer-Passage belegen, ein ganzes Stockwerk. Der Bestuhlungsplan gleich dem eines Riesen-Airbus: die Schreibtische dicht an dicht.

Mit dem Umzug will Büchner die Ressorts für die Innenpolitik und das Ausland fusionieren. So will er der Tatsache Rechnung tragen, dass beide Felder in globalisierten Zeiten ineinandergreifen. Um bei aktuellen Ereignissen ein großes Programm fahren zu können, richtet dpa zudem eine ständige Taskforce mit festen Mitarbeitern ein, die wie auf Knopfdruck Reporter zusammenziehen und Recherchen anschieben sollen.

Büchner will bei dpa außerdem ein Ressort mit dem Arbeitstitel „Netzwelt“ einführen, das Entwicklungen im Internet und in der PC-Industrie samt Auswirkungen auf die Gesellschaft begleitet. Damit greift dpa den DAPD an, wo sich Auslandschef Peter Zschunke mit seinem Paket „Computer & Cyberspace“ einen Namen gemacht hat.

Für den deutschen Basisdienst und in den Landesdiensten arbeiten insgesamt etwa 450 Leute. Verwaltung, Geschäftsführung und Vertrieb bleiben in Hamburg, wie auch einige Tochterunternehmen. In Berliner werden etwa 270 redaktionelle Mitarbeiter angesiedelt. Büchner will gut 30 Stellen kürzen, sorgte aber intern für Erleichterung, weil er betonte, es werde keine Kündigungen geben, sondern die Stellen bei Fluktuationen nicht neu besetzt. Ein Teil dürfte allein dadurch wegfallen, dass nicht jeder an die Spree ziehen wird.

Unter Büchner wird sich die dpa auf weniger Themen konzentrieren, in die sie dann aber umso tiefer einsteigt. Weniger Relevantes soll nur in knappen Zeilen notiert werden. Was ein Aufmacher wert ist, soll hingegen noch opulenter daherkommen. Die Grenze dazwischen war bei dpa zuletzt stark verwischt.

Daneben arbeitet Büchner an der Plattform „dpa News“, die spätestens zum Umzug starten soll. Mit ihr sollen nicht mehr „Tagesschau“ und „Spiegel Online“ den Ton angeben, wenn Zeitungsmacher wissen wollen, was auf der Welt los ist. Die dpa will wieder selbst aufzeigen, was Priorität hat. Und sie will künftig die Online-Statistik danach auswerten, welche Themen ihre Kunden am häufigsten klicken, um ungefragt gezielt nachzulegen.

Auf den ersten Blick sieht die Seite wie jedes Nachrichtenportal aus, wobei zu den Ressorts auch die Landesdienste zählen. Neu ist der Service um die Texte und Bilder herum, die sich alle kommentieren lassen. Die Beiträge werden auf der Plattform zudem nicht mehr mit den kryptischen Kürzeln der Autoren enden, sondern mit Namen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen. Kunden und dpa-Autoren sollen so möglichst schnell offene Fragen klären und dpa-Redakteure direktes Feedback spüren, wenn sie schlampig formulieren oder etwas vergessen.

Ein eigenes Feld „Darüber sollte die dpa berichten“ nimmt zudem Vorschläge für Themen auf. Auf der Seite werden ferner die Produktionsvorschauen laufend aktualisiert, die im Ticker unübersichtlich und schon beim Versand häufig überholt sind. Passend zur Eilmeldung erfährt der dpa-Kunde, was die Agentur an Stücken plant, und kann damit seine Seiten aufreißen.

Auf „dpa News“ will die Agentur außerdem Einblicke in ihre Notizblöcke gewähren. Intern heißt das Prinzip „Open Notebook“: Zu den einzelnen Geschichten werden Kunden Recherchekontakte samt Rufnummern und E-Mail-Adressen sehen, um die zitierten Sprecher und Experten anfragen zu können. Auch Links zu Datenbanken und Verbänden sollen die Meldungen ergänzen, ebenso gescannte Dokumente, aus denen dpa zitiert.

Parole Aufbruch. Während der ddp vor allem auf klassisches Wachstum setzt, will dpa also in besseren Service investieren, um die Kunden in turbulenten Zeiten an ihr Angebot zu binden. Im eigenen Haus spricht Büchner bereits zielstrebig von der „neuen dpa“. Die aber wird auch den Kostenblock „Personal“ nicht außer Acht lassen. Büchner und dpa-Geschäftsführung wollen bis Sommer mit dem Betriebsrat ausloten, ob in diesen Zeiten die Tarifstruktur angetastet werden kann.

Beim Marktführer gilt bis heute noch immer die Faustregel: Arbeite zehn Monate und bekomme 14 bezahlt. Von diesen Bedingungen können sie bei der Konkurrenz nur träumen. Dass der ddp seinen Mitarbeitern wenig zahlt, ist für ihn im Zweifel aber auch ein Wettbewerbsvorteil. Denn
nicht immer entscheiden nur Inhalt und Service darüber, welche Agentur gebucht wird, sondern auch der Preis.

Linktipp

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Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 31 Autor/en: Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.