Auf und Apps

Wenn die Kunden dafür nicht zahlen, hat die Medienbranche ein echtes Problem“, urteilte „Spiegel Online“ am 9. Dezember – einen Tag, nachdem der Axel Springer Verlag seine neuen kostenpflichtigen Applikationen für das iPhone vorstellte. Der Start glückte: Schon nach 24 Stunden stand die „Bild“-App auf Platz 1 der kostenpflichtigen deutschen Programme bei iTunes – wohl nicht zuletzt wegen der “Shake“-Funktion (mit jedem Schütteln des iPhone entledigt sich das „Bild“-Covergirl eines weiteren Kleidungsstücks). Die zeitgleich gestartete, teurere Anwendung „Welt Mobil“ sprang immerhin sofort auf Platz 4. Die bezahlpflichtige „Mein Klub Premium“, ein Fußballprogramm von „Bild“, ist laut Donata Hopfen, General Managerin von Bild Mobil, bereits länger „sehr erfolgreich“. Dagegen sind in Apples App-Store Printtitel wie „Stern“, „Focus“, das „Handelsblatt“ und elektronische Medien wie FFH, WDR, MDR Sputnik und n-tv, N24 schon länger vertreten, kostenlos – mit Downloadzahlen, die bis zu mehreren hundertausend Mal reichen.

Doch was besagt das? Braucht jetzt jedes Medium seine eigene iPhone-App? Für Heike Scholz, Beraterin für mobile Anwendungen und Bloggerin („Mobile Zeitgeist“), ist nicht entscheidend, ob heute viele Zugriffe auf die Webportale mobil, über iPhone, erfolgen. „Wichtiger ist, ob es überproportional viele iPhone-Nutzer in der jeweiligen Zielgruppe gibt.“

Daher sollte – so Meinolf Ellers, Geschäftsführer der DPA-Multimedia- und Mobilfunktochter Infocom – eine mobile Publishing-Strategie für regionale Zeitungsverlage auf drei Säulen stehen: 1) Auf SMS und Sprachmehrwertdiensten als immer noch „effektivstem Rückkanal für Print“, 2) einem mobilen Portal als Verlängerung der offenen, werbefinanzierten und newsgetriebenen Website auf das Handy und 3) einer mobilen Applikation für das iPhone und Google Android Handys – mit einem Konzept als „topaktueller Führer durch die lokale Lebenswelt“. „Und sie sollte vom Start weg als bezahlter Service plaziert werden“, plädiert Ellers. Um Regionalverlage mit App-Ambitionen zu unterstützen, entwickelt Infocom derzeit eine App als Branchenlösung, die im ersten Quartal 2010 zur Verfügung stehen soll. „Unser Konzept „Local Guide“ setzt auf die hyperlokale Kompetenz der Verlage und soll unter Nutzung der Geo Location des Users neue lokale Kontexte ermöglichen: Wo passiert gerade etwas? Was ist der schnellste Weg dahin? Gibt es im Umkreis von einem Kilometer eine erschwingliche Wohnung? Wo gibt es ein attraktives Sonderangebot? usw. Wenn das Smartphone zum ständigen medialen Begleiter wird, soll der Local Guide das darüber zugängliche „Navi“ zur lokalen Lebenswelt sein. “

Experten warnen jedoch vor allzu hochfliegenden Träumen: Laut Birger Veit, Chef der Tomorrow Focus Tochter Cellular, die in den vergangenen Monaten rund 40 verschiedene Apps für Smartphones entwickelte (u. a. „Focus Online“, „Stern.de“), irrt, wer glaubt, „dass man mit kostenpflichtigen Applikationen sofort echtes Geld verdienen kann. Beim Entwickeln einer App frage er stets zuerst, wofür die Marke steht, um Kundeninteresse und späteres Nutzerinteresse möglichst genau zu umreißen. Er warnt davor, sich von den vielen Funktionen des iPhones verführen zu lassen und sich zu verzetteln. Die Nachhaltigkeit müsse mit „Qualität, Design, toller Nutzerführung – und einer hohen Nutzwertigkeit“ gesichert werden. Mobilmedien-Berater Kurty Kurtbay benennt als Beispiel einer App mit klarem Nutzwert ein mobiles Rezepteportal mit integrierter Einkaufsliste – als werbefinanzierte mobile Verlängerung für Koch- und Frauenzeitschriften:Nahrungsmittelhersteller können als Werbekunden integriert werden.

Noch wird experimentiert, welches Geschäftsmodell in welcher Situation taugt. Die „ran“-Fußball-App zum Beispiel kostete bis Anfang November 2,39 Euro. „Da sie im Werbemarkt aber auf großes Interesse gestoßen ist, haben wir uns dazu entschlossen, sie doch ausschließlich durch Werbung zu refinanzieren“, betont Manfred Neumann, Leiter Mobile Services bei SevenOne Intermedia (ProSiebenSat.1 Group).

Einen umgekehrten Weg geht nun Axel Springer mit dem Abo- und Paid News-Modell für „Bild“ und „Welt“ : „Wir kommen nun erstmals aus unserem Labor und betreten Neuland“, sagt Donata Hopfen. Die Springer-Apps setzen verstärkt auch auf spielerische Elemente, z. B. beim Geotagging von Infos auf der sich drehenden „iWelt“. Mit dem Abo als Preismodell sehe man sich durchaus als Pionier für die Branche. Das ist nicht unumstritten: Viele Nutzer kritisieren bei iTunes, dass das Abo-Modell nicht klar kommuniziert werde. Die harte Bewährungsprobe steht im Januar bevor, wenn Springer erstmals den regulären Preis für beide Apps verlangt.

Amerikanische Moral. Experten wie Birger Veit und Heike Scholz sehen für 2010 einen weiteren Trend: die „Web-App“. Solche browserbasierte Anwendungen werden über das Internet vertrieben anstatt über den restriktiven iTunes-Store. Wie restriktiv, musste kürzlich Stern.de erfahren: Seine App verschwand plötzlich aus dem Store – zuviel nackte Haut für amerikanische Moralvorstellungen. Aktualisiert wurde die App wieder eingestellt.

Deshalb übrigens zeigt sich das Girl in der Bild-App nicht so freizügig wie auf dem „Bild“-Titel – auch wenn das iPhone noch so kräftig geschüttelt wird.

Erschienen in Ausgabe 01+02/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 34 bis 35 Autor/en: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.