Springer-Chef Matthias Döpfner hat die Branche aufgerufen, sie sollte täglich Steve Jobs ein Dankgebet widmen, weil er mit dem iPad die Verlage rette. Stimmen Sie ein, Herr Blau, Herr Steingart?
Wolfgang Blau: Nein, ich danke Steve Jobs nicht jeden Morgen. Aber ich freue mich über das iPad. Es legt den Grundstein für eine neue Gerätegattung, von der wir als Online-Journalisten enorm profitieren. Das iPad ermöglicht es uns, „Zeit Online“ in bisher nur schwer erreichbare Wohnräume und Tageszeiten zu bringen – in den späten Abend und den sehr frühen Morgen, in die Küche, das Wohnzimmer und wahrscheinlich auch in das Schlafzimmer.
Gabor Steingart: Das iPad ist für uns Journalisten Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, weil uns Steve Jobs nun auch für den Journalismus ein Bezahlsystem etabliert hat, was keinem vor ihm gelungen ist. Das ist gleichzeitig ein Fluch, weil Apple dafür zu viel für sich selbst verlangt und uns auch noch vorschreiben will, was da publiziert werden darf. Letzteres kann so nicht bleiben.
Wie wollen Sie das ändern?
Steingart: Warum sollten nicht die großen Telekommunikationsunternehmen in Europa eigene Plattformen für Medienprodukte schaffen können? Oder warum nicht die Verlage selbst sich um den Vertrieb kümmern, wie sie es ja auch mit den Grosso-Systemen geschafft haben? Wir erleben derzeit die Stunde null des bezahlten Journalismus im digitalen Geschäft. Diese Morgenstunde wurde uns durch Steve Jobs ermöglicht. Aber dabei muss es ja nicht bleiben.
Blau: Außerdem tun sich ja hoffnungsvolle Lösungen auf. Der „Economist“ und auch der „Spiegel“ bieten beispielsweise Apps an, bei denen die Nutzer-Daten der Abonnenten direkt an den jeweiligen Verlag gehen und nicht in der Datenbank von Apple landen. Apple toleriert das. Noch bewegen wir uns hier in einer Grauzone. Ich glaube aber, dass das ein zukunftsfähiges Modell ist und dass Apple bald auch Jahresabos über den App-Store ermöglichen wird.
Steingart: Das wird umso wichtiger, weil Steve Jobs gerade selbst zum Verleger wird, indem er zusammen mit Rupert Murdoch an einer iPad-Zeitung arbeitet. Stellen wir uns vor, eine Bahnhofsbuchhandlung würde auch noch selbst Bücher verlegen und ihre Bücher entsprechend vorne an der Kasse platzieren.
Sehen Sie in dem Gemeinschaftsprojekt von Rupert Murdoch und Steve Jobs mit der geplanten „Daily“-Zeitung fürs iPad eine Bedrohung für die Zeitungsindustrie?
Steingart: Das ist eher eine große Verbeugung vor dem Journalismus. Die Botschaft ist doch, dass nicht alles, was Online läuft, nur nervöses Geflacker sein muss, nicht nur Journalismus für den Augenblick, sondern dass auch in der digitalen Welt exzellenter und exklusiver Journalismus eine Chance hat. Ich habe keine Zweifel, dass das ein hervorragendes Produkt wird – wie es die meisten Murdoch-Zeitungen sind, vom „Wall Street Journal“ bis hin zur britischen „Times“. Er probiert die Rückkehr zu unserem alten Geschäftsmodell: gute Ware gegen gutes Geld.
Blau: Was von dem Projekt bisher bekannt ist, lässt mich eher zweifeln. Eine digitale Tageszeitung für ein Gerät zu gründen, das auch permanente Aktualisierungen zulassen würde, klingt verwegen und ich sehe nicht, dass sich ein aktualitätsgetriebenes Angebot erfolgreich hinter einer Paywall oder innerhalb einer Bezahl-App betreiben lässt. Finanztitel sind da vielleicht eine Ausnahme. Ich glaube auch, dass die Krise vieler Tageszeitungen unter anderem daher rührt, dass berufstätige Menschen heute viel weniger freie Zeit haben als früher. Warum sollten aber gerade die Menschen, die sich keine Zeit mehr für eine Tageszeitung nehmen, Zeit für eine Tages-App haben?
Steingart: Aber stimmt das Zeitargument wirklich? Die Leute hatten doch noch nie so viel Zeit wie heute mit einer Arbeitswoche von 35-40 Stunden. Auch deswegen ist der Fernsehkonsum pro Zuschauer von 60 Minuten in den 60er Jahren auf fast vier Stunden explodiert, zusätzlich zu den Reichweitenerfolgen des Internets.
Was will das „Handelsblatt“ Glänzenderes und Schnelleres für all diejenigen bieten, die Print zu öde oder belanglos finden?
Steingart: Print ist nicht belanglos, der eine oder andere mag seine traditionelle Zeitung heute als zu langsam, zu umständlich empfinden, aber belanglos sicher nicht. Richtig aber ist: Viele jüngere Leser und Zuschauer bevorzugen Grafiken und bewegte Bilder. Wir arbeiten deshalb an einem Videoformat und mehreren sehr speziellen Angeboten für das iPad. Anfang 2011 werden wir online das Format „Handelsblatt-News in 99 Sekunden“ starten, das auf handelsblatt.com friedlich neben der „Tagesschau in 100 Sekunden“ stehen und das Wichtigste aus der Wirtschafts- und Finanzwelt bieten wird. Keine Meldung hat mehr als fünf Sätze. Für das iPad wird es eine App geben, die wir intern „Handelsblatt Express“ nennen: Relevante Börsenkurse, Firmennachrichten und das Wichtigste über die jeweilige Branche des Nutzers werden wir in bisher nicht gekannter Schnelligkeit auf die Geräte der Leser schicken. Auch die Exklusivnachrichten der „Handelsblatt“-Redaktion werden hier zuerst erscheinen.
Was verstehen Sie unter Exklusivität für die App? Bisher verbreiten Sie Ihre Exklusivmeldungen doch auch auf Ihrer frei zugänglichen Webseite und über Agenturen.
Steingart: Das werden wir auch künftig machen, aber mit einem Unterschied: Künftig werden alle Exklusivmeldungen zuerst auf dieser Plattform platziert – und erst mit Verzögerung auf handelsblatt.com und über Vorabmeldung an die Agenturen. Wer die App nutzt und dafür zahlt, wird einen Informationsvorsprung haben.
Was soll diese Exklusivität kosten?
Steingart: In der Startphase wird die App für ihre Nutzer kostenfrei sein. Das verdanken die Leserinnen und Leser der ersten Wochen einem prominenten Sponsor, der für sie bezahlt und dafür in dieser Pionierphase unser exklusiver Werbepartner ist. Nach der Startphase werden wir „Handelsblatt Express“ im Abo anbieten, für etwa 120 Euro im Jahr.
Und was bekommt der Leser dafür?
Steingart: Das Motto lautet: „No bullshit!“ – also keine Chats, keine Spiele, keine überflüssigen Wortgirlanden. Wir versprechen, dass niemand etwas verpasst, der diese Plattform nutzt, dass er oder sie alle Informationen so schnell wie nur irgend möglich geliefert bekommt – in die Vorstandssitzung, ins Flugzeug, nach Hause. Darüber hinaus werden wir weitere iPad-Applikationen anbieten, zum Beispiel ein „Handelsblatt Kompakt“, ein Best-of von vier bis fünf Geschichten aus jedem Ressort, das mehrfach am Tag erneuert wird. Früher hätte man gesagt: Eine Morgenzeitung, eine Mittagszeitung, ein Abendblatt. Heute ist das eine digitale Zeitung. Außerdem planen wir eine Applikation über den Insiderhandel, die die Pflichtveröffentlichungen auswertet, mit denen Vorstandsvorsitzende neuerdings bei der Börsenaufsicht „Bafin“ ihren eigenen Handel mit Aktien dokumentieren müssen.
Ihre Webseite bleibt gleichzeitig kostenfrei?
Steingart: Wir wollen das Kunststück versuchen, das schon dem „Wall Street Journal“ geglückt ist, nämlich das Grundinformationsbedürfnis ohne Gebühr zu erfüllen, aber immer dann zur Kasse zu bitten, wenn wir mehr Vertiefung und erhöhte Geschwindigkeit bieten. Das kostenlose Surfen auf der Webseite hat für mich eine ähnliche Funktion wie der Kiosk: Die Leute kommen vorbei, blättern, schauen. Und wenn sie es gut finden, werden sie hoffentlich Käufer.
Verleger sehen in dem App-Modell des iPad auch deshalb große Chancen, weil es im Gegensatz zum 24-Stunden-Onlinemedium ein digitales Medienprodukt „mit einem Anfang und einem Ende“ ermögliche – wie bei Printprodukten. Sehen Sie das auch so, Herr Blau?
Blau: Auch ich finde es sehr befriedigend, eine Zeitung – auf Papier o
der in einer App – von Anfang bis Ende gelesen zu haben. Das ist aber nur eine von mehreren Nutzungsarten auf dem iPad. Andere, vor allem jüngere Nutzer brauchen nicht mehr diese Fiktion eines in sich geschlossenen Medienproduktes. Diese Gruppe hat vermutlich ein anderes Weltbild, das sich, wenn überhaupt, dann nur noch in einem permanenten Stream oder einer Sphäre zahlreicher Streams und Netzwerke abbilden lässt. Für beide Nutzertypen muss man etwas anbieten. Es ist ja auch ein beliebtes Vorurteil unter klassischen Medienschaffenden, dass das Netz zu schnell und zu kurzatmig sei. Tatsächlich werden aber im Netz Themen oft dann noch diskutiert, wenn die Aufmerksamkeitskarawane der klassischen Massenmedien längst weitergezogen ist. Schauen Sie beispielsweise einmal auf die Twitter-„Hashtags“ #pakistan + #flood oder #earthquake + #haiti oder auch #loveparade.
Titel wie „Spiegel“ und „Handelsblatt“ setzen auch online auf exklusive Nachrichten. Ihre Marke steht eher für Betrachtungen und Debatten. Kann man damit im Überall-Medium Online trumpfen?
Blau: Selbstverständlich muss auch ein Portal wie „Zeit Online“, das sich durch Analyse und gute Debatten auszeichnet, Nachrichten in hoher Geschwindigkeit bieten. Unserem Newsdesk in Berlin gelingt es auch immer öfter, Breaking News vor unseren wichtigen Konkurrenten zu melden. Für unsere Nachrichten gilt aber, was für unser gesamtes Angebot gilt: Die Themen müssen eine hohe Relevanzschwelle überspringen. Unsere User haben wenig Toleranz für Nachrichtenlärm. Nachrichten haben für uns vielleicht eine ähnliche Bedeutung wie das Milchregal für ein edles Lebensmittelgeschäft: Die Milch ist selten das Alleinstellungsmerkmal und sie wird meistens querfinanziert. Ohne Milchregal haben sie aber keine Chance, eine täglich einkaufende Stammkundschaft aufzubauen.
Und welche Rolle spielen Debatten für Sie?
Blau: Das hat sich erst nach einer Weile herausgebildet. Etwa ein Drittel unserer User arbeitet in Forschung, Bildung und Lehre. Diese User antworten auf unsere Beiträge oft mit Kommentaren, die unserer Arbeit noch wichtige Aspekte, nützliche Links oder weiterführende Fragen beifügen. Der aktive Austausch mit unseren Lesern und das Beobachten der Diskussionen, die unsere Leser untereinander führen, ist aufwendig und oft unbequem, aber zu einem unverzichtbaren Bestandteil unserer journalistischen Arbeit geworden. Das hat auch nichts mit alten Konzepten von Leser-Blatt-Bindung oder PR zu tun, sondern mit der Zukunft des Journalismus. Die Qualität der eigenen User, ihre Spezialkenntnisse, ihre Netzaffinität und Bereitschaft, eine Redaktion kritisch zu unterstützen, sind für eine Online-Redaktion wettbewerbsentscheidend. Ich habe mal ein Zitat gehört, das ich nie mehr vergessen werde: „An audience watches you lose, a community helps you win.“
Ihre Erfahrung scheint aber nicht Mainstream zu sein. Verleger Michael Ringier sprach auf den Zeitschriftentagen 2010 gar vom „digitalen Mob“ im Netz.
Blau: Es ist ein Trauerspiel, dass der VDZ diese kalkulierten Pöbeleien immer wieder aufs Podest hebt. Wer wie Herr Ringier das Netz in seiner Gesamtheit verunglimpft, offenbart nicht Mut, sondern Orientierungslosigkeit. Es ist riskant für eine Mediengattung, sich primär über die Ablehnung einer anderen Mediengattung zu definieren. Man umgibt sich dadurch mit der Aura eines Verlierers. Das ist schlechte Markenführung. Es gäbe so viel überzeugendere Argumente für Printmedien als den plumpen Verweis auf das angeblich minderwertige Internet.
Wie handhaben Sie das?
Blau: Was unsere Community betrifft, haben wir die Erfahrung gemacht, dass Debatten sich deutlich konstruktiver entwickeln, wenn die Redakteurin des jeweiligen Artikels Gesicht zeigt und sich an der Debatte beteiligt. Das gelingt uns natürlich nicht immer, aber wir kommen mit diesem Kulturwandel innerhalb von „Zeit Online“ gut voran. Zu einer Community mit lesenswerten Debatten gehört eine Redaktion, die mitdiskutiert, sowie selbstbewusste Community-Moderatoren, die ihre Anmerkungen für alle Teilnehmer sichtbar hinterlassen, und eine gute technische Plattform.
Steingart: Das alles machen Sie?
Blau: Ja, wir beschäftigen dafür zwei Redakteure plus einige freie Mitarbeiter. Das ist ein großer Aufwand. Mit der Community verhält es sich aber wie mit einer guten Allgemeinbildung: Sie zu haben und zu pflegen ist teuer, sie nicht zu haben noch viel teurer. Unsere Leser liefern uns so viele Aspekte, die immer wieder Grundlage für neue Recherchen sind. Außerdem helfen qualifizierte Kommentare bei der Qualitätssicherung, sei es bei der Korrektur inhaltlicher Fehler oder bei technischen Problemen, etwa defekten Links. Und da sprechen wir noch gar nicht vom Potenzial des kollaborativen Journalismus und des Data Journalism, mit dem wir jetzt erst anfangen, zu experimentieren. Aber wie halten Sie das denn, Herr Steingart? Das „Handelsblatt“ hat ja ebenfalls interessante Leser auf seiner Site, die über viel Branchenwissen verfügen.
Steingart: Auch wir bieten auf der Webseite die Möglichkeit zum Kommentieren an, wie alle. Davon wird auch Gebrauch gemacht, wie überall. In der Debatte um die Irland-Hilfen hatten wir beispielsweise hunderte Leserbeiträge. Vorstandsmitglieder, Aufsichtsräte und die Berater von beiden greifen allerdings lieber zum Hörer, als ihre Sicht der Dinge im Chatroom zu posten.
Und wie geht es beim gedruckten „Handelsblatt“ weiter? Sie wollen die Zeitung sprachlich entschlacken. Was lief bisher schief?
Steingart: Da lief nichts schief, da lief etwas auseinander. Innerhalb der Wirtschaft ist eine Sprachbarriere entstanden, die dafür sorgt, dass Marketingfachleute und Informatiker, oft sogar schon Investmentbanker und der Bankier alter Schule, sich nicht mehr verstehen. Die Mentalitäten entwickelten sich auseinander und die Sprachen auch: Wer früher eine Bankenlehre machte, war eher risikoscheu. Heute kriegen die Händler in London und New York einen Erregungszustand, wenn sie das Wort „Risiko“ hören. Wenn sich in der Wirtschaft nicht mehr alle mit allen unterhalten können, entsteht eine gewisse Sprachlosigkeit. Das wollen wir in der Zeitung ändern. Es geht dabei nicht um das Vereinfachen im Sinne von Simplifizieren, sondern um das Erreichen eines Sprachniveaus, das einen Austausch zwischen allen Beteiligten wieder möglich macht – vom Ingenieur über den Vorstand bis hin zum Börsenmakler. Beispielsweise reden beim Thema „Anleihen“ in Irland oder Griechenland alle dauernd über „Spreads“ – obwohl sie „Zinsaufschlag“ meinen. Sie sagen „Haircut“, obwohl sie „Forderungsverzicht“ meinen. Diese Anglizismen müssen raus oder sehr gut erklärt werden.
Sie wollen Anglizismen aus einer Wirtschaftszeitung streichen?
Steingart: Das versuchen wir. Begriffe wie „Meeting“, „Upside-Potenzial“ und „Government Bonds“ sind überflüssig, das geht auch anders: „Besprechung“, „Zukunftsaussicht“, „Staatsanleihe“.
Sie verlangen Ihrer Redaktion auf einen Schlag ziemlich viel ab – bis hin zum 24-Stunden-Betrieb. Wie funktioniert das?
Steingart: Zwischen 23 Uhr und sechs Uhr morgens hiesiger Zeit übernehmen die Kollegen in Amerika unsere Webseite komplett. Asien und London kommen dazu.
Lenkt das Ihre Korrespondenten nicht von ihrer eigentlichen Aufgabe ab?
Steingart: Das war ein berechtigter Kritikpunkt der Korrespondenten: „Lasst uns wieder frei!“ Deshalb wird handelsblatt.com das bisherige Verfahren der Seitenübergabe nach Übersee noch perfektionieren: In New York wird in Kürze ein Mini-Newsroom entstehen, der die Site in der deutschen Nacht steuert.
Zur Motivation in der Redaktion haben Sie Prämien ausgesetzt: Wer es mit seiner „Handelsblatt“-Meldung in die &
#x201E;Tagesschau“ schafft, wird mit einem Candle-Light-Dinner belohnt. Wie oft kam das schon vor?
Steingart: Drei oder vier Mal. Aber es gibt ja noch eine andere Liste für die, die es in die Agenturen geschafft haben. Die erhalten am Jahresende eine Geldprämie von 3.000 Euro.
Blau: Im Ernst?
Steingart: Die Essen zahle ich privat. Die Prämien sind Teil des Redaktionsetats. Und ein Drittes kommt hinzu: Bei der Korrespondententagung Mitte Dezember werden im Beisein des Verlegers die „Oscars“ des Jahres in zehn Kategorien vergeben – von der Exklusiv-Geschichte bis zur besten Reportage und dem gehaltvollsten Kommentar. Die Gewinner bekommen je ein iPad.
Werfen Sie bei „Zeit Online“ auch Motivationsköder aus, Herr Blau?
Blau: Wir freuen uns natürlich auch riesig, wenn wir gut zitiert werden, und das gelingt uns auch immer häufiger. Jeden Redakteur für eine Agentur-Zitation zum Essen einzuladen, würde mir zwar Spaß machen, aber ehrlich gesagt unser Budget überfordern.
Apropos Budget: Zeitschriften-Verlegerpräsident Hubert Burda hat nun massiv einen Konfrontationskurs zu Google und Apple ausgerufen, weil die sich an Verlagsinhalten bereicherten. Gleichzeitig lässt aber kaum ein Verleger seine Seite aus der Google-Indizierung streichen. Können Sie das erklären, Herr Blau?
Blau: Nein, ich kann Ihnen Herrn Burdas Strategie nicht erklären. Was mir aber zunehmend aufstößt, ist der quasi-religiöse Duktus, in dem die Debatten über das Internet geführt werden.
Wie meinen Sie das?
Blau: Die Argumentationsketten erinnern mich an den Ärger der verunsicherten Priester in der Zeit nach Einführung des Buchdrucks, etwa den legendären Abt von Sponheim. Der Abt beschwerte sich über den Niedergang seines Berufsstandes der Schreiber, sein Pamphlet darüber ließ er aus Kostengründen dann aber doch lieber drucken. Ich finde auch die sprachlichen Konstruktionen auffällig, mit denen dem Netz nun eine inhärente Schuld untergeschoben wird: Wer positiv über das Netz spricht, muss sich als Netz-Apologet bezeichnen lassen, als jemand, der das Netz entschuldigt. Wofür eigentlich? Auch der angebliche Geburtsfehler einer Kostenlos-Kultur ist so eine quasi-religiöse Formulierung. Das Netz wurde nicht für uns Journalisten und auch nicht für Verlage erfunden. Es wurde nicht schuldig geboren, es leidet an keiner Erbsünde und es hat auch keinen Geburtsfehler.
Wie sehen Sie das, Herr Steingart – als jemand, der doch gerade eine Online-Offensive in seinem Haus ausgerufen hat?
Steingart: Ich stelle eher fest, dass die traditionelle Medienindustrie in der Anfangsstunde des Internets eher ideenlos war. Noch schlimmer aber ist, dass sie einen strategischen Fehler gemacht hat, geradezu einen Jahrhundertfehler – indem sie glaubte, das Netz sei ein Marketing-Instrument und würde automatisch in die alten Marken einbezahlen. Als wir beispielsweise „Spiegel Online“ gestartet haben, wurden die Kosten dafür zunächst im Marketingetat gebucht. Hätten wir das Netz früher als eigene Plattform begriffen, wäre Google nicht das geworden, was es heute ist.
Was der Medienbranche ja durchaus nutzt: Zu „Welt Online“ beispielsweise kommt mehr als jeder zweite Leser über die Google-Suche.
Steingart: Aber dabei zahlt nur einer, nämlich der Arbeitgeber des Autors. Und Google nutzt gratis die Texte für seine höchst profitablen Geschäfte.
Blau: Aber warum ist es denn schlecht, wenn ein Nutzer über Google „Welt Online“ entdeckt?
Steingart: Das ist nicht schlecht, weil es zusätzliche Reichweite bringt. Aber von dieser Reichweite allein kann niemand leben. Auch nicht der konzernunabhängige Blogger. Deshalb finde ich es gut, dass nun Normalität zurückkehrt. Die Fehler, alles umsonst ins Netz zu stellen, sind erkannt und werden korrigiert.
Auch auf die Gefahr, deutlich an Reichweiten zu verlieren? Die „Times“, deren Paywall-Strategie Sie im „Handelsblatt“ als leuchtendes Beispiel gelobt haben, hat immerhin neun von zehn ihrer Online-Leser verloren.
Steingart: Guter Journalismus kostet. Und wir brauchen ein neues Geschäftsmodell, damit auch in der digitalen Welt guter Journalismus gut bezahlt werden kann. Wer über die Finanzmisere in Irland oder Griechenland schreibt, muss auch die Verhältnisse dort kennen. Ein Korrespondentennetz ist aber nicht umsonst zu haben. Das muss auch den Lesern klar gesagt werden, inklusive Leistungsschutzrecht. Im Supermarkt ist es doch auch selbstverständlich, dass die Käufer ihre Waren an der Kasse zahlen. Nebenausgänge können wir uns nicht mehr leisten. Was bei Edeka, Kaufhof und Hugo Boss gilt, muss auch im Mediengeschäft gelten: Immer an der Kasse vorbei.
Blau: Es ist vermutlich richtig, dass unsere Onlineauftritte nicht allein über Werbung zu finanzieren sind. Allerdings steht die Werbung im Netz erst am Anfang einer Entwicklung.
Steingart: Sie haben sicher recht. Aber mit Fragen der Werbefinanzierung will ich mich als Chefredakteur gar nicht beschäftigen. Mir geht es um guten Journalismus. Dafür zu sorgen, ist meine Aufgabe. Das bedeutet auch, den Lesern ehrlich zu sagen: Die Leistung einer fast 200-köpfigen Redaktion mit Grafikern, Bildbeschaffern, Dokumentaren und einem weltweiten Korrespondentennetz ist für umsonst nicht zu haben.
Blau: Aber als Chefredakteure müssen wir uns auch mit Geschäftsmodellen beschäftigen. Dazu gehört auch, dass ich mich darum kümmere, wie ich möglichst viele Leser gewinnen kann. Ich glaube, dass sich der Journalismus kollaborativ weiterentwickelt und wir zum Beispiel bestimmte Recherchen nur gemeinsam mit unseren Lesern verwirklichen können. Dazu brauche ich aber eine relevante Reichweite. Jetzt eine Paywall herunterzulassen, würde diese Zukunft unmöglich machen. Und ich glaube schon, dass wir künftig mit Werbeeinnahmen sehr, sehr weit kommen werden und dann dazu noch redaktionelle Produkte schnüren können, für die wir dann extra Geld verlangen.
Steingart: Die Wahrheit ist doch, dass jede Imbissbude in Neu-Kölln, die rund um die Uhr geöffnet hat, profitabler ist als eine normale deutsche News-Webseite. Ich rede nicht von Erlösen, sondern von Erträgen. Mit Visits und Page-Impressions kann ich die Redakteure nicht bezahlen.
Also gilt es, das bisherige System Zeitung zu wahren?
Blau: Nein, erfolgreiche Zeitungen werden sich als hochwertige Ergänzung zum Netz verstehen müssen. Ich bin mir sicher, dass viele gedruckte Zeitungen Deutschlands eine gute Zukunft haben werden, aber nur wenn sie sich konstruktiv zum Netz positionieren, statt sich im Netz-Bashing zu üben – wie so viele Zeitungsmacher …
Steingart: … ich auch?
Blau: Ja, ich finde schon. Das Problem ist aber nicht das Netz an sich, sondern die tendenziell noch schlechtere Ausstattung vieler Online-Redaktionen …
Steingart: … weil sie kaum Geld haben! Das liegt an einem Geschäftsmodell, das zu stark auf Werbung vertraut. Das ist schon den amerikanischen Zeitungen nicht gut bekommen, die mehr auf Werbefinanzierung gesetzt haben als auf die – zugegeben aufwendigere – Pflege von Abonnenten. In der Werbekrise knickten die großen Regionalzeitungen – „Miami Herald“, „Los Angeles Times“, auch die „Washington Post“ – ein wie die Bäume im Sturm.
Blau: Wie gesagt, ich bin mir sicher, dass es auch in Zukunft prosperierende Zeitungen geben wird, die sich mit relevanten Inhalten unverzichtbar machen. Zeitungen aber, die glauben, den durch das Netz verursachten oder zumindest beschleunigten Wertewandel ignorieren zu können, schreiben sich ins gesellschaftliche Abseits.
Steingart: Die Zeitung darf nicht nur auf das Netz antworten. Es gibt keinen Grund für Verzagtheit. Die Zeitung wird meiner Meinung nach auch in Zukunft nicht nur das Beiboot von Online sein, sondern etwas sehr Zentrales, Eigenes, Wertvolles. Das Netz sehe ich – zumindest zu mein
er Lebzeit – als Tochter und Sohn der Zeitung. Das gilt für die „Zeit“ wie für „Bild“, für die FAZ und das „Handelsblatt“. Wir müssen diese Töchter und Söhne fördern und erziehen. Aber wir sollten die Eltern achten.
Medium :Online
Was Gabor Steingart und Wolfgang Blau vom Engagement der öffentlich-rechtlichen Sender im Netz und einer neuen Werbe-Währung halten, lesen Sie unter www.mediummagazin.de
Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 22 bis 24 Autor/en: Interview: Annette Milz, Daniel Bouhs. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.