Es ist mittlerweile schwer, in den Redaktionen Journalisten zu finden, die gerade kein Buch schreiben oder es nicht zumindest vorhaben. Gerade in diesem Jahr hat man den Eindruck, als kämen so viele Journalisten-Bücher wie noch nie auf den Markt: Der „Spiegel“-Redakteur Markus Feldenkirchen hat einen wirklich schönen kleinen Liebesroman vor dem Hintergrund der deutschen Einheit geschrieben, sein Kollege Christoph Schwennicke, der früher in Redaktionskonferenzen gern von großen Fischen sprach, ein Buch übers Angeln. Den Roman von „Zeit“-Autor Harald Martenstein habe ich noch nicht gelesen, das Wertebuch von Giovanni di Lorenzo und Axel Hacke auch noch nicht. Keine Zeit. Ein Literaturagent hat mich nämlich um ein Exposé gebeten.
Klar haben Journalisten auch schon früher Bücher geschrieben, schließlich ist manches Thema einfach zu groß, um nur in einer Zeitung abgedruckt zu werden. Stefan Aust und Frank Schirrmacher haben gefühlt zusammen so viele Bücher geschrieben wie Simmel, es gibt furchtbare Elaborate von Hellmuth Karasek in den Bibliotheken und es kommt vor, dass aus „Geo“-Autoren bedeutende Romanciers wurden, siehe Christoph Ransmayr.
Aber diesmal ist es irgendwie anders.
Der Buchmarkt sieht danach aus, als hätten die Verlage in den Journalisten genau jene Kolonne Zuarbeiter entdeckt, auf die sie seit langem gewartet haben. Die keine Allüren kennt, keine Zicken macht und sie nicht jahrelang auf ein neues Buch warten lässt, weil sie ja mit der Deadline aufgewachsen ist. Und die es gewohnt ist, eine mediokre Idee als großen Wurf zu verkaufen. Insofern ähneln sich die Berufe sehr.
Die letzte Welle waren die deutschen Popliteraten, das war so um die Jahrtausendwende, und sowohl die Autoren selbst als auch die Agenten machten ein irre gutes Geschäft. Auch damals waren schon Journalisten darunter, etwa Benjamin Stuckrad-Barre oder Florian Illies, von dessen Vorschuss auf verschiedene Bücher noch heute ehrfurchtsvoll gemunkelt wird.
Seitdem hat der Konkurrenzkampf um gute Stoffe noch mal zugenommen, und was liegt da für eine Agentur näher, als morgendlich die Zeitung durchzuflöhen, ob sich nicht irgendein schöner Artikel zu einem Buch aufblähen lässt. Ja, aufblähen, denn manche Themen eigenen sich nun mal nur für einen Presseartikel, für ein ganzes Buch fehlt ihnen die Relevanz oder die Vielschichtigkeit. Das ist den Agenten aber egal. Kaum ist die Zeitung ausgelesen, hängen sie am Hörer und kontaktieren die Autoren mit der Frage, ob sie sich denn vorstellen könnten, aus ihrem kleinen Text ein Buch zu machen. Die Journalisten, die gegenüber echten Schriftstellern eh kleine Minderwertigkeitskomplexe haben, fühlen sich endlich erkannt und legen los mit einem Exposé. Zusätzliches Geld winkt und ein wenig Ehre – auch wenn die angesichts der Vielzahl buchschreibender Kollegen immer weniger wird.
Was sich heute so alles Buch nennen darf – denkt man da angesichts des Outputs. Das Publikum ist aber in Zeiten, in denen ein Anwalt mit Literaturpreisen überhäuft wird, der kurze, deutsche Sätze aneinandereihen kann, die die grausigen Plots aus seinen Mandantenakten nacherzählen, sowieso eher anspruchslos und greift sehr gern zu den Journalistenbüchern. Endlich mal ein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen kann. Es ist ja auch meist in einem Rutsch geschrieben: Maria, mir schmeckt’s!
Die fleißigen Journalisten, die sonst aus kleinen Infokrümeln große Kuchen backen, sind für die latent hektischen Agenten noch aus einem anderen Grund pflegeleicht: Sie bringen meist gute Kontakte mit, gerade im Feuilleton gibt es ja viele Freundschaften über alle Blattgrenzen hinweg; gern rezensiert man die Bücher der anderen positiv, sie werden sich schon revanchieren. Neulich wurde z. B. das Yoga-Buch einer Autorin, die auch für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt, in ebendieser Zeitung fast halbseitig gelobt. Hemmungen gibt es in dieser Hinsicht schon lange nicht mehr. Der Grafiker Ole Häntzschel hat über diese Verflechtungen eine Infografik gemacht – sie erscheint bestimmt in seinem nächsten Buch.
Eine Frage bleibt noch
… und sie verheißt nichts Gutes für den deutschen Journalismus: Woher nehmen all diese Redakteure die Zeit, nebenbei Bücher zu schreiben? Ist ihr Redaktionsjob bei einem der großen deutschen Verlage nicht aufreibend genug? Kein Fulltimejob, dem man mit ganzer Verve nachgehen müsste? Was sagen eigentlich die Frauen oder Männer dieser Getriebenen, wenn sie sich nach Dienstschluss noch an den Computer setzen, um sich einer Zweit-Karriere als Buchautor entgegenzuschreiben?
Oder anders gesagt: Sieht der tägliche Zeitungs- und Magazinjournalismus nicht teilweise genauso aus, als würde er von Journalisten gemacht, die mit dem Herzen nicht dabei sind und mit dem Kopf eh woanders? Das kann man eigentlich nur mit Ja beantworten.
Erschienen in Ausgabe 12/2010 in der Rubrik „Praxis“ auf Seite 81 bis 81. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.