Change: Mit dem simplen Versprechen von Wandel und Veränderung gewann Barack Obama 2008 die Wahl zum US-Präsidenten. Während die Welt in der Wahlnacht dabei zusah, wie ein Bundesstaat nach dem anderen für Obama stimmte, manifestierte sich auch eine andere Veränderung die des Fernsehens selbst. Aus dem Berieselungs-Apparat für passive Couch Potatoes war über Nacht ein Mitmach-Medium geworden. Millionen von Nutzern auf der ganzen Welt tauschten sich in Echtzeit über soziale Netzdienste wie Facebook und Twitter über den Wahlausgang aus.
Mit dabei: Einige Programmierer von Facebook, die sich Obamas Wahlsieg auf ihren Laptops anschauten. Links auf dem Bildschirm hatten sie dazu einen Live-Video-Stream von cnn.com, rechts ein Browserfenster zum Austausch mit ihren Facebook-Freunden. Und dann dämmerte ihnen: Warum kann man das nicht direkt miteinander kombinieren? Sie schlugen die Idee ihren Vorgesetzten bei Facebook vor, die sofort davon begeistert waren. Wir dachten uns: Warum ist da vorher noch niemand draufgekommen?, erinnerte sich Facebooks Marketing-Managerin Randi Zuckerberg letztes Jahr auf einer Branchenkonferenz.
Facebook begann deshalb direkt nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit CNN, und pünktlich zu Obamas Amtseinführung im Januar 2009 präsentierte man gemeinsam einen Live-Stream mit integriertem Facebook-Feed. Nutzer des sozialen Netzwerks konnten dabei in Echtzeit verfolgen, was ihre Freunde zu dem Ereignis zu sagen hatten. Das kam an: CNNs Live-Stream wurde mehr als 25 Millionen Mal abgerufen, und die Facebook-Integration resultierte in rund 20 Millionen Status-Meldungen.
Mittlerweile bietet Facebook Medienpartnern auf der ganzen Welt vergleichbare Integrationen an. Auch Konkurrenten wie Twitter und Foursquare bemühen sich aktiv um Kooperationen mit Medienunternehmen – und rennen damit bei diesen offene Türen ein. So blendete der von Al Gore gegründete US-Fernsehsender Current TV während Obamas Amtseinführung Twitter-Kommentare seiner Zuschauer ein. Der US-Reality-TV-Sender Bravo begann kürzlich eine Zusammenarbeit mit Foursquare, um seine Koch-Show Top Chef zu promoten. Und NBC entwickelte für die olympischen Spiele ein komplexes Twitter-Filter-System, um für seine Website aus mehr als fünf Millionen Twitter-Updates interessante Kommentare herauszufischen und diese prominent auf seiner Website zu publizieren.
Quoten-Treiber.
Das Interesse der Medienmacher an Twitter, Facebook & Co. kommt nicht von ungefähr. US-Fernsehsender haben in den letzten Jahren beständig mit schrumpfenden Einschaltquoten zu kämpfen gehabt. Hunderte von Kabel-TV-Kanälen, das Internet, Spielkonsolen und andere Möglichkeiten des Medienkonsums haben dazu geführt, dass ihr Publikum einfach nicht mehr so verlässlich einschaltet wie noch vor 20 oder 30 Jahren. Mit einer Ausnahme: Live-Events waren in den letzten Monaten so populär wie selten zuvor.
Obamas Amtseinführung wurde in den USA von knapp 38 Millionen Fernsehzuschauern verfolgt eine Zahl, die nur von Reagans Amtseinführung 1981 übertroffen wurde. Gleichzeitig verzeichneten US-Websites während Obamas Zeremonie rund 70 Millionen Zugriffe auf Web-Video-Streams. Der diesjährige Super Bowl wurde nach Schätzungen von Nielsen von 106 Millionen US-Zuschauern gesehen und war damit die populärste US-amerikanische Fernsehsendung aller Zeiten. Auch die olympischen Winterspiele in Vancouver, die Grammys und MTVs Video Music Awards verzeichneten Traum-Quoten.
Branchenkenner führen diesen Trend auf die wachsende Bedeutung sozialer Internet-Dienste zurück. Das Internet ist unser Freund, nicht unser Feind, meinte dazu beispielsweise kürzlich Leslie Moonves, Präsident und CEO des US-Fernsehsenders CBS. Menschen sehnten sich nach Verbindungen, so Moonves gegenüber der New York Times. Facebook, Twitter & Co. ermöglichen diese Verbindungen in Echtzeit, von Wohnzimmer zu Wohnzimmer.
Zustimmung gibt es dazu von Mark Ghuneim von der New Yorker Agentur Wiredset, die Fernsehsendern wie MTV und NBC beim Nutzen von Twitter & Co. hilft. Events haben schon immer für Gespräche gesorgt, so Ghuneim. Heute finden diese Gespräche in sozialen Medien statt. Begünstigt wird dieser Trend dadurch, dass immer mehr Zuschauer während des Fernsehens einen Laptop auf dem Schoß oder ein iPhone in der Hand haben. Die Unterhaltung findet auf dem zweiten Bildschirm statt, glaubt er.
Die Zahlen geben Ghuneim recht. Nielsens Marktforscher schätzten bereits im vergangenen Herbst, dass rund 57 Prozent aller US-Fernsehzuschauer mit Internetzugang regelmäßig beides gleichzeitig benutzen. Das Marktforschungsinstitut In-Stat wusste zudem im April 2009 zu berichten, dass sich 25 Prozent aller TV-Zuschauer per Instant Messaging mit Freunden austauschen, während sie vor der Mattscheibe sitzen.
Neue Endgeräte könnten dazu führen, dass diese Zahlen bald noch weiter wachsen. So sehen einige Branchenkenner Tablet-Computer wie Apples iPad als ideale Ergänzung zum TV. Google kündigte zudem im Mai ein eigenes Betriebssystem für Fernseher und Set-Top-Boxen an, dass Twitter und Facebook auf den Fernsehbildschirm bringen und TVs noch enger mit Mobiltelefonen und anderen Endgeräten verzahnen soll. Erste Google-TV-Geräte sollen noch in diesem Herbst in den USA den Handel erreichen.
Zwitscherndes Polit-Barometer.
Ghuneim glaubt jedoch, dass Twitter & Co. Medienmachern mehr als nur Promotion für Live-Events bieten können. Interessant könnten auch die darüber ausgetauschten Kommentare der Zuschauer selbst sein stellen sie doch eine nie da gewesene Möglichkeit dar, dem Publikum auf den Puls zu fühlen. Seine Firma hat dazu ein System namens Trendrr entwickelt, mit dem sich beispielsweise in Echtzeit ermitteln lässt, ob die Mehrheit der Kommentare zu einem Politiker positiver oder negativer Natur sind.
Auch für Werbekunden seien diese Trends interessant. Fernsehsender haben seit jeher mit dem Phänomen des Wegschaltens während der Werbepause zu kämpfen. Digitale Videorekorder ermöglichen zudem, Werbespots komplett zu überspringen. Heute wird jedoch in der Werbepause nicht mehr gezappt, sondern getwittert. Twitter erfährt in Werbepausen besonders viel Beteiligung, berichtet Ghuneim. Werber könnten dies ausnutzen, indem sie mit zielgerichteten Spots Teil der Unterhaltung werden. Gleichzeitig könnte ihnen die Auswertung der Twitter-Nachrichten dabei helfen, zu ermitteln, wofür sich das Publikum einer bestimmten Show eigentlich wirklich interessiert.
Letztlich seien gute Einschaltquoten nur ein Teil des Puzzles. Fernsehmacher müssten Wege finden, den Wert ihres Senders auch jenseits des TV-Bildschirms zu nutzen. Das Netz biete ihnen dazu nie gekannte Chancen. Fernsehen war schon immer eine soziale Angelegenheit, so Ghuneim. Doch heute ist aus der fünfköpfigen Familie eine Familie von 500 Millionen Menschen geworden.
Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 26 bis 26 Autor/en: Janko Röttgers. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.