Lukas Kircher ist Mitgründer und Co-Chef der Berliner Medienagentur KircherBurkhardt, spezialisiert auf Medien-Design, Corporate Publishing, Infografik und Marketing-Kommunikation. Er ist zudem Vorstand für Digitale Medien beim Forum Corporate Publishing, Mitglied des ADC Deutschland sowie der Jury der Lead Awards.
Sie haben das iPad eine gut gemachte Schachtel für Inhalte genannt. Was kann Nutzer verlocken, diese Schachtel zu öffnen und sich mit den Inhalten zu beschäftigen?
Da müssen Sie erst einmal einen Schritt zurückgehen. Es gibt keine iPad-spezifische Umsetzung von Inhalten, sondern eher die grundlegende Frage, mit welchen Inhalten Medien den Menschen das tägliche Leben erleichtern, sie fesseln, sie inspirieren oder unterhalten etc. Wenn ich mir darüber im Klaren bin, kann ich anfangen Inhalte zu erzeugen und Apps zu konzipieren, die diese Probleme lösen oder diese Art von Inspiration geben.
Finden Sie die Spiegel-App gut?
Oh ja, durchaus. Gerade, weil sie eigentlich nicht gut ist. Sie übersetzt einfach nur den Spiegel, so wie er ist, auf das iPad. Da ich inzwischen ein echter iPad-Nutzer geworden bin, ersetzt das für mich den gedruckten Spiegel. Das wird für andere Anbieter aber ganz anders sein. Eine Regionalzeitung könnte sich überlegen, wie sie auf dem iPad das sehr regionale Thema Wetter gestalten will. Oder sie könnte Couponing anbieten, Vorteilsangebote für Leser in der Region. Das ist natürlich eher ein Vertriebs- und Marketingthema. Wieder andere Verlage überlegen, in das Buchgeschäft einzusteigen. Das macht durchaus Sinn, weil die Grenze zwischen einem Buch und einer Zeitschrift oder Zeitung auf einem iPad durchlässiger ist als im klassischen Druckgeschäft. Ein mobiles E-Learning-Portal kann sinnvoll sein, ein virtueller Museumsführer oder ein Kulturprogrammplaner für das Wochenende. Das hängt ganz stark ab von der Nutzungssituation und von der Frage: Was kann mein Leser von seiner vertrauten Zeitung zusätzlich erwarten? Wie kann man ihm im täglichen Leben helfen?
Welche Möglichkeiten bietet das iPad für das journalistische Storytellings?
Das ist ein brutaler Sprung für die Zeitungsverlage, weil wir hier ein extrem visuelles, fast haptisches Erlebnis für Inhalte bereitstellen können, wenn wir anfangen über Text und Bild hinauszudenken. Die Magazinverlage liegen schon durch ihre Taktung näher am visuellen Erzählen, aber da müssen die Zeitungsverlage langfristig auch hin: Wir brauchen die Einbindung von Video, von animierten Infografiken, von verschiedenen Arten von Bilddarstellungen. Der Journalist wird dadurch zum optischen Dramaturgen, der versucht, mit seinem inhaltlichen Know-how eine Geschichte anders zu erzählen. Da entstehen viele neue Formen des Storytellings, die wir heute zwar in Print haben, aber nicht mit dieser Opulenz wie auf dem neuen Device.
Sollten Medienmacher Anleihen nehmen bei Computerspielen, die nicht-lineare Erzählstränge mit multimedialen Elementen so fesselnd kombinieren, dass die Nutzer die Anwendung stundenlang nicht verlassen?
Ja, zum Beispiel beim nicht-linearen Storytelling. Ich habe dabei die Möglichkeit, mich in andere Bestandteile einer Story zu vertiefen als ursprünglich vom Autor vorgesehen. Das ist ein typisches Stilmittel des Computerspiels und mit Sicherheit auch ein Stilmitttel des hybriden Storytellings auf dem iPad.
Was bedeutet das?
Wir können mit verschiedenen Medienformaten arbeiten und verschiedene Storylines entwickeln. Eine andere Überlegung wäre, Schüler wieder einzubinden. Wir können zum Beispiel nach Geschichten einen Multiple-Choice-Test einbauen, wo abgefragt wird, was sie davon verstanden haben. Die Antworten kann man dann noch mal konzentriert in einem Ranking der besten Schülerleistungen abbilden.
Welche Anwendungen von Medienhäusern weisen im Umgang mit dem iPad in die richtige Richtung?
Ich finde sehr sauber, was das Wall Street Journal macht: Es hat von Anfang an geschafft, klarzumachen, dass seine Inhalte Geld kosten. Es ist auch aus Sicht des Marketing und der Positionierung gut gemacht. Man hat sofort das Gefühl, im Wall Street Journal zu sein. Den Spiegel wiederum muss man gelesen haben. Der macht es richtig und sagt von Anfang an, es gibt keinen Appetizer, das Ding kostet so viel wie das Heft.
Wie finden Sie die Wired-App und den Iconist?
Den Iconist finde ich hübsch gemacht, ich frage mich nur, ob etwas, was vorher eine Werbebeilage war, plötzlich eine publizistische Marke wird. Das wird sich herausstellen. Wired ist toll gemacht. Ist natürlich totale Printdenke, aber es macht Spass, das Ding zu lesen und der Erfolg ist ein guter Gradmesser dafür, welche Dinge funktionieren und welche nicht. Wenn die Wired-App in ihrer Erstauflage die Kioskauflage überflügelt, dann haben die Jungs zumindest einiges richtig gemacht. Wir sind ja noch in der Pionierphase. Jeder probiert etwas. Die einen werfen für 5.000 Euro bloß umgebaute RSS-Reader aus dem Internet auf den App-Markt und schauen, was damit passiert, und Wired ist technologisch weit vorne. Man muss einfach experimentieren: Nicht mal die Frage, ob das iPad künftig eher im Querformat oder im Hochformat benutzt wird, konnten wir bisher beantworten. Es gibt niemanden, der einen roten Faden zeigen kann: So sieht eine saubere iPad-Strategie aus. Es gibt ihn einfach noch nicht.
Medium:Online
Die Langfassung des Interviews (u. a. mit Details zu Paid-Content-Strategien) steht unter www.mediummagazin.de, Magazin+, für Abonnenten exklusiv bis 30.7., Passwort: SP7
Erschienen in Ausgabe 07+08/2010 in der Rubrik „Special“ auf Seite 38 bis 38 Autor/en: Interview: Ulrike Langer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.