Kaum ein Medienphänomen verdeutlicht die Schwerfälligkeit von Zeitungsverlagen und deren Schwäche im Umgang mit neuen Medienformaten wie das iPhone, das in nur zwei Jahren eine beispiellose Erfolgsgeschichte hingelegt hat: mehr als 30 Millionen verkaufte iPhones, mehr als 100.000 entwickelte iPhone-Applikationen (Apps) mit mehr als zwei Milliarden Downloads. Laut Apple beschäftigt sich der durchschnittliche iPhone-Nutzer täglich rund 90 Minuten mit diesen Applikationen, eine US-Marktforschung führt den Bereich News an erster Stelle. Und was machen die Zeitungen? Erst warten sie lange ab und dann treffen sie Entscheidungen, die sie später bereuen.
Beispiel: USA-Today, die größte Zeitung in den USA mit 1,7 Millionen Auflage. Ende Dezember 2008 veröffentlichte die Zeitung eine eigene Gratis-Applikation und wunderte sich über den immensen Erfolg. Mehr als eine Million Downloads nach einigen Monaten ließen den Herausgeber der Zeitung schon bereuen, dass er die attraktive App umsonst verschleudert hat. Uns war nicht klar, was wir da hatten, sagte David Hunke. Ich glaube, das ist ein Wert, für den Leser zahlen würden. Angesichts der Zahlungsbereitschaft von iPhone-Besitzern hat USA-Today ohne Not auf Hundertausende von Dollars verzichtet. Zum Vergleich: In den ersten fünf Wochen hat ein Anbieter einer Navigations-App mehr als zehn Millionen Euro eingenommen.
Kein Wunder. Während mittlerweile viele US-Zeitungen auf dem iPhone präsent sind, bieten deutschsprachige Printmedien ein jämmerliches Bild mit sehr wenigen Ausnahmen. Im Juli 2007, zur gleichen Zeit wie die New York Times, hat die Gratis-Zeitung 20Minuten in der Schweiz die erste deutschsprachige Nachrichten-Applikation für das iPhone auf den Markt gebracht. Monatelang war diese App auf Platz 1 der deutschen News-Applikationen, während die deutschen Printmedien den Trend verschliefen. So war es kein Wunder, dass Hunderttausende ab Februar dieses Jahres die Stern-App und ab April die Focus-App heruntergeladen haben. Und die deutschen Zeitungen? Bis auf eine Ausnahme schliefen sie weiter. Nur der Axel-Springer-Verlag veröffentlichte im Januar die Applikation Mein Klub, ein Nachrichten- und Service-Portal für die Bundesliga, das aus der Redaktion der Bild-Zeitung gespeist wird und das seit August als Premium-Version für 2,39 Euro verkauft wird. Als erste deutsche Zeitung bietet das Handelsblatt seit Oktober eine qualitativ hochwertige und nutzerfreundliche Applikation man fragt sich nur: Warum gratis? Brauchen die kein Geld?
Obwohl der Springer-Verlag 79 Cent für die Applikation der Berliner Boulevardzeitung B.Z. verlangt, schaffte sie es dennoch auf Rang 1 der meistgekauften News-Applikationen in Deutschland. Dicht gefolgt übrigens von newsLokal, einer Aggregations-App des Medieninformatikers Christian Menschel, die lokale Nachrichten bei 783 Zeitungen einsammelt. Und seit September bietet die Leipziger Volkszeitung LVZ-Mobil an eine grauenvolle Anwendung, die entsprechend negative Kritiken der Nutzer bekommt.
Das Zögern und Zaudern von Zeitungsverlagen bei der Entwicklung von iPhone-Applikationen und von mobilen Portalen offenbart die dramatische Schwäche der Branche, sich den veränderten Mediennutzungsgewohnheiten anzupassen, Innovationen zu erkennen und zu adaptieren. Jahrzehntelang haben sich die Zeitungen auf ihrem extrem profitablen Geschäftsmodell ausruhen können, sich auf Layout-Kosmetik und inhaltliche Reformen beschränkt. Offenen Auges haben Zeitungsmanager zugesehen, wie das Internet dem Printmedium den Bären-Anteil an Rubrikenanzeigen weggenommen hat; offenen Auges verschläft die Branche nun die neuen digitalen Chancen auf mobilen Geräten wie iPhone & Co.
Im Gegensatz zu anderen Branchen verfügen Zeitungen über unzureichende Marktforschung und praktisch gar nicht über Abteilungen für Produktentwicklung, die angesichts der Revolution durch digitale Medien dringend notwendig sind.
Gespräche über Innovationen in Zeitungshäusern werden oftmals von Bedenkenträgern und Zweiflern dominiert und wegen vermeintlicher Probleme traditionell destruktiv geführt. IT-Abteilungen spielen dabei übrigens eine besonders unrühmliche Rolle, obwohl gerade sie so wichtig für technische Innovationen sind. Wenn digitale Unternehmen wie Google so operieren würden, wären sie schon lange vom Markt verschwunden.
Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 32 bis 33 Autor/en: Joachim Blum. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.