Fit for future

Schreckensmeldungen aus den USA, Leserschwund, Anzeigenrückgang, begleitet von prophetischen Stimmen, die genau wissen wollen, wann die gedruckten Zeitungen ihren letzten Leser auf den Weg zum Friedhof begleiten werden – die öffentliche Diskussion über die Zukunft der Zeitungen verbreitet einen Hauch von Apokalypse. Das Selbstvertrauen in die Printprodukte schwindet. Genau diese Stimmung aber können die Chefredakteure der Tageszeitungen überhaupt nicht gebrauchen, die ihre Redaktionen in einen harten Kampf um Leser führen. Sie wollen die gedruckten Ausgaben modernisieren und angesichts der Krise in der Medienbranche zukunftsfähig machen. „Wir müssen versuchen, in der Zeitung von morgen die Fragen der Leser zu den Nachrichten von heute zu beantworten: Orientierung bieten, Gesprächsthema sein, Nutzwert stiften“, sagt der Chefredakteur der „Südwest Presse“ (Ulm), Hans-Jörg Wiedenhaus.

Doch welche Rolle spielt die gedruckte Zeitung künftig noch im Verbund der Medien? 67 Prozent der Chefredakteure bekennen sich zur gesellschaftspolitischen Rolle der Zeitungen und glauben, dass sie als „Sauerstoff der Demokratie“ eine Zukunft haben werden. Eine Art Lebensversicherung. Allerdings werde – so ihr Votum – ihre Position als aktuelles Leitmedium in der Gesellschaft schwächer. Nur noch 47 Prozent der Befragten beanspruchen diese Funktion für ihre Blätter.

Kleine und mittelgroße Zeitungen schätzen ihre Zukunft generell weit positiver ein als große und vor allem überregionale Zeitungen. Sie haben erkannt, dass ihre strategischen Vorteile inhaltlich in der lokalen Tiefenschärfe der Themen, in der Nähe zu den Menschen und emotional in der Verbundenheit und Kenntnis des Standortes liegen. Uwe Haring, Chefredakteur der „Oldenburgischen Volkszeitung“ (Vechta), sagt: „Die Zukunft kleinerer Zeitungen liegt im Lokalen. Je globaler die Welt, desto wichtiger die Heimat. Nähe, Kompetenz, Emotion, Meinung – auf diese Stärken muss die Heimatzeitung im Lokalteil setzen.“ Der Trend zu intensiverer, aber frischer Lokalberichterstattung könnte ein Rettungsweg vor allem für kleinere Zeitungen werden. „Wir brauchen Kultstatus: konsequent frech und polarisierend. Möglichst viele regionale Exklusivberichte. Dazu die Zeitung aus einem Guss, auch im Internet und bei werblichen Sonderthemen“, fordert Gerhard Wagner, Chefredakteur der „Dithmarschen Landeszeitung“ (Heide).

Lesernähe = Nähe zu den Menschen. Die Ziele des Fitnessprogramms für die Zeitungen sind klar: Sie müssen das Lebensgefühl der Menschen ansprechen, ihre täglichen Fragen im Alltag beantworten und sie jeden Tag wieder aufs Neue mit unerwartetem Lesestoff überraschen. Ein hoher Anspruch angesichts des täglichen Produktionszyklus. Kein Wunder, dass drei Viertel der Chefredakteure – vor allem bei der Wirtschaftsberichterstattung – für die Einbeziehung externer Experten und eine ressortübergreifende Bearbeitung der Themen plädieren (vgl. Abb. 1). 66 Prozent der befragten Chefredakteure drängen zudem auf exklusive Inhalte und 51 Prozent wollen, dass künftig mehr Magazingeschichten geschrieben werden. Auch bei der Erklärung der Welt greifen sie den Trend zur Visualisierung bei ihren Lesern verstärkt auf und widmen den Bildern und Grafiken größere Aufmerksamkeit.

Auf dem Weg zum modernen Analysemedium. Große regionale und überregionale Zeitungen gehen tendenziell andere Wege als die kleineren Blätter und verfolgen einen konsequenten Modernisierungskurs. „Moderne“ Tageszeitungskonzepte finden bei einer großen Mehrheit der Chefredakteure Zustimmung und sind gekennzeichnet durch eine ressortübergreifende Bearbeitung von Themen („newsroom“), die Einbindung externer Experten, das gezielte Hinarbeiten auf exklusive Nachrichten sowie die Erklärung komplexer Sachverhalte durch Grafiken und Bilder. Dieses Konzept will das veränderte Wirtschafts- und Medienumfeld aktiv aufgreifen und wendet sich an einen Leser im Alltag, dessen knappe Aufmerksamkeit durch auffallende Inhalte und ungewöhnliche Aufmachungen eingefangen werden soll.

Die Tageszeitung versteht sich in diesem Konzept als ein Analysemedium und weniger als ein Nachrichtenvermittler. Mit Magazingeschichten wollen die Tageszeitungen bei vergleichbarer Nachrichtenlage im Vergleich zur Konkurrenz unverwechselbare, publizistische Interpretationen anbieten.

„Klassischer“ Weg als Sackgasse? Die meisten kleineren Zeitungen hingegen hängen eher noch an einem „klassischen“ Konzept der Tageszeitungen und betonen die aktuelle Nachrichtenvermittlung (vgl. Abb. 2). Ressortgrenzen spielen noch eine größere Rolle und führen dazu, dass Themen ressortspezifisch beleuchtet werden. Die aktuelle Nachrichtenlage abzubilden ist angesichts der knappen Personalausstattung für kleinere Zeitungen wichtiger als die Jagd nach allgemeiner Exklusivität. Sie legen auch noch größeren Wert darauf, schwierige Sachverhalte vor allem durch Text zu erklären und stehen dem Siegeszug des Magazinjournalismus eher skeptisch gegenüber. Sie setzen auf die klassischen Formen des Zeitungsjournalismus und vertrauen auf die Nähe zum Leser. Allerdings laufen sie Gefahr, dass ihre gedruckten Ausgaben in den Augen der Leser „unmodern“ werden.

Profilierung durch kritischen Wirtschaftsjournalismus. Der Medienberichterstattung zur aktuellen Wirtschaftskrise geben die Chefredakteure alles in allem mehrheitlich gute Noten. 70 Prozent sagen, die Berichterstattung habe die öffentliche Diskussion bereichert und auch eigene Themen gebracht. Schon geringer fällt allerdings ihre Zustimmung zu der publizistischen Leistung aus, die sie von den Redaktionen erwarten: Hintergründe und Ursachen der Krisen angemessen zu analysieren. Sie haben erkannt, dass die Wirtschaftsberichterstattung für ihre Zeitungen ein kritischer Erfolgsfaktor geworden ist. Wenn sie in diesem Feld punkten, sprechen sie die Emotionen ihrer Leser an und können deren Vertrauen zurückgewinnen.

Zu kurz kamen – so die befragten Chefredakteure – bislang in der Wirtschaftsberichterstattung vor allem die Analyse der systembedingten Ursachen der Krise, das Agieren der Landesbanken, die Verantwortung der Politik bei der Kontrolle und Regulierung der Finanzinstitute, die Rolle der USA und mit Blick auf die Zukunft die Fragen: Was muss sich am und im System ändern? Wer trägt die Folgen der Krise? Taugen die Maßnahmen, die die Politik nun gegen die Krise verkündet?

„Der Wirtschaftsjournalismus muss Verständlichkeit lernen – und die setzt das Verstehen auch komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge durch die zuständigen Journalisten voraus“, sagt Christoph Grote, Chefredakteur der „Stuttgarter Nachrichten“. „Liebedienerische Unternehmensberichterstattung schadet auch im Lokalen und Regionalen der Glaubwürdigkeit. Auf die Dauer hat nur die kritische, wirtschaftsjournalistische Begleitung von Firmen wirklich Substanz.“

Hausaufgaben sind noch zu machen und kritische Wirtschaftsthemen künftig verstärkt auf die Agenda der Redaktionen zu setzen. Michael Garthe, Chefredakteur „Die Rhein-Pfalz“ (Ludwigshafen) sagt: „Wir müssen künftig noch stärker den Zusammenhang zwischen regionaler, nationaler, europäischer und globaler Wirtschafts- und Finanzpolitik herausarbeiten. Und wir müssen uns stärker mit den Wertvorstellungen und dem Menschenbild auseinandersetzen, die der Wirtschafts- und Finanzpolitik zugrunde liegen oder liegen sollten.“

Zwar weist jeder zweite der Chefredakteure darauf hin, dass die Medien in der Krise aktiv handelten und recherchierten, aber dennoch kritisieren sie, dass sich die Berichterstattung zu wenig nach den Bedürfnissen des Publikums richte und – im Übrigen – zu spät über die Krise informiert habe. Bis heute fehlen – so die Chefredakteure – fundierte Analysen über die Folgen der Krise für junge Generationen, die Verantwortung auch „normaler
“ Bürger und deren Fehlentscheidungen, die Perspektive der Steuerzahler, der Arbeitnehmer, der Regionen und vor allem der Menschen, die bangen, dass sie die Krise trifft. Oder – ein Spezialthema, das kaum behandelt werde, sei die Rolle der Insolvenzverwalter und deren wirkliche Möglichkeiten.

Selbstkritisch sagt Dieter Sobotka, Chefredakteur der „Siegener Zeitung“ (Siegen): „Viel zu schnell waren sich die meisten Journalisten einig, dass die ‚Gier‘ in Banken und Konzernen die Krise hervorgerufen hat. Die politischen Ursachen und Verantwortlichkeiten – in den USA und hierzulande – gerieten nur in Ausnahmefällen ins Blickfeld. Einfache Antworten hatten und haben in der Krise Konjunktur. Diese Antworten weiterzugeben, ist leicht. Sie in Frage zu stellen, auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, bleibt aber die eigentliche Aufgabe der Medien.“

In den Redaktionen bleibt sicher noch vieles aufzuarbeiten. Die Chefredakteure wollen – allen Untergangsphilosophen zum Trotz – ihre Blätter zukunftsfest machen – zwischen lokaler Tiefenschärfe, selbstbewusster Analyse der Themen des Tages und dem mutigen Aufgreifen von Themen, die dem Lebensgefühl ihrer Leser entsprechen.

Linktipp:

Die ausführlichen Ergebnisse der Umfrage unter Chefredakteuren unter: https://media.uni-hohenheim.de/studie_chefredakteure.html)

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim (Stuttgart) wollte im Sommer 2009 von den Chefredakteuren der Tageszeitungen wissen, mit welchen Strategien sie den Kampf um die Leser gewinnen wollen. 81 (= 61 Prozent) der angefragten Vollredaktionen haben geantwortet. Vergleichbare Umfragen wurden 2002 und 2006 durchgeführt und belegen, wie sich die Einschätzungen der Redaktionschefs entwickelten.

Kurz gesagt: Die Chefredakteure sehen 2009 neben konjunkturellen Einflüssen vor allem zwei Entwicklungen, die über die Zukunft ihrer Blätter entscheiden – die strukturellen Probleme mit dem Lesermarkt, die sie schon seit vielen Jahren kennen (z. B. geringe Reichweite bei jungen Lesern) und die aggressiven (Gratis-) Angebote des Internet, die innerhalb weniger Jahre den schleichenden Erosionsprozess der Zeitungen auf den Lesermärkten derart beschleunigt haben, dass andere Konkurrenten, z. B. Radio oder Magazine, in der Wahrnehmung der Redaktionsmanager verblassen (vgl. Abb. 3). Selbst Anzeigenblätter, Gratiszeitungen oder Fernsehen – lange Zeit die Angstgegner der Zeitungen – spielen in den Augen der Chefredakteure aktuell kaum mehr eine Rolle. In erster Linie macht das junge Medium Internet dem alten Massenmedium Tageszeitung das Leben schwer, wie heute 66 Prozent der Chefredakteure meinen – gegenüber 49 Prozent vor drei Jahren und 2002 nicht einmal 10 Prozent.

Allerdings werden die Online-Angebote mehrheitlich nur als Ergänzung der Printausgabe angesehen. Thomas Hauser, Chefredakteur der „Badischen Zeitung“ (Freiburg) sagt: „Nach den bisherigen Erfahrungen nimmt unser Online-Angebot der Zeitung keine Leser weg, sondern Print und Online beeinflussen und bereichern sich gegenseitig. Leider bindet es aber auch viel Arbeitszeit der Printredakteure und kostet Geld.“ Knapp 60 Prozent der Chefredakteure sehen daher auch keine Gefahr, dass die Internet-Angebote wichtiger werden als die gedruckten Ausgaben. Dennoch halten sie wenig von der Strategie, die Online-Angebote stiefmütterlich zu behandeln, um so die gedruckten Blätter vor Kannibalisierungseffekten zu schützen. 54 Prozent der Chefredakteure geben dieser Strategie eine klare Absage und wollen die publizistischen Möglichkeiten des Netzes offensiv nutzen. „Das Online-Angebot vergrößert unsere publizistischen Möglichkeiten und erhöht unsere Reichweite deutlich. Es bindet unsere Leser (auch an Print) und erreicht sogar ein Publikum, das wir mit dem gedruckten Produkt nicht ansprechen“, sagt Joachim Türk, Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ (Koblenz). Claudia Mast

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 22 bis 25 Autor/en: Claudia Mast. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.