Das Hosentaschen-Medium

Anfang November feierte Apple einen bemerkenswerten Meilenstein: iPhone-Nutzer können seitdem mehr als 100.000 Applikationen vom App Store des Computerherstellers herunterladen, um die Funktionalität ihres Mobiltelefons zu erweitern. Die mobilen Anwendungen, die auch mit dem iPod Touch-Player genutzt werden können, kommen auch bei Nutzern gut an. Bereits im September durchbrach Apple die Schallmauer von zwei Milliarden Downloads.

Apple bietet neben zahllosen kostenlosen iPhone-Applikationen auch kostenpflichtige Downloads in seinem App-Store an. Der Konzern hält sich dazu bedeckt, wie viele Nutzer tatsächlich für Apps in die Tasche greifen. Aus dem Bereich der Entertainment-Industrie sind jedoch Erfolgsgeschichten für beide Herangehensweisen bekannt. So verkauft die auf iPhone-Applikationen spezialisierte Software-Firma Sonicmule laut Apple pro Tag 10.000 Kopien ihrer Gesangs-Anwendung „I Am T-Paine“ für rund drei US-Dollar pro Download.

Millionen mit Apps. Der US-amerikanische Online-Radio-Anbieter Pandora hat sich stattdessen dafür entschieden, seine iPhone-Applikation kostenlos anzubieten. Im Spätsommer verzeichnete Pandora bereits acht Millionen Downloads seiner Mobiltelefon-Software. Pandora personalisiertes Musik-Radio finanziert sich über Werbespots. Dieses Jahr erwartet man Umsätze von 40 Millionen US-Dollar, und iPhone-Nutzer haben daran einen wachsenden Anteil: Mittlerweile greifen rund ein Drittel aller Pandora-Nutzer mit Mobiltelefonen wie dem iPhone auf das Angebot zu.

Kein Wunder also, dass immer mehr Medienkonzerne das iPhone als Plattform für sich entdecken. Zeitungen verbreiten über eigene iPhone-Applikationen ihre Schlagzeilen, Radiosender bieten darüber ihr Programm zum Abruf und Magazine versuchen sich an digitalen Ausgaben ihrer Hochglanztitel. Mittlerweile hat selbst die Nachrichtenagentur AP iPhone-Apps für sich entdeckt. Gemeinsam mit der Software-Firma Verve Wireless bietet die Agentur seit Anfang November US-Zeitungen das kostenlose Erstellen einer auf das jeweilige Blatt zugeschnittenen iPhone-Anwendung an. Verve sichert sich im Gegenzug Anteile an den durch die Anwendungen erzielten Werbeeinnahmen.

Verve ist nicht die einzige Firma, die auf einen Werbe-Geldregen durch iPhone-Apps und andere mobile Anwendungen spekuliert. Google gab im November 750 Millionen US-Dollar für die US-Werbefirma AdMob aus, die sich auf iPhone-App-basierte Anzeigen spezialisiert hat. Geld verdienen will die Branche schließlich auch mit Abonnements und Micropayments. Apple bietet Entwicklern seit Oktober die Möglichkeit, innerhalb von kostenlosen Applikationen selbst Inhalte und Zusatzdienste zu verkaufen. Ein Magazin könnte damit seinen Lesern beispielsweise über seine iPhone-Applikation kostenlos Zugriff auf einige Artikel geben, aber für andere Texte zur Kasse bitten.

Keine Insellösungen. Doch eine iPhone-Anwendung allein garantiert noch keinen Erfolg im App Store. Die Applikation muss Nutzern einen Mehrwert bieten, damit sie auch installiert wird, glaubt Barbara Holbrook vom Blog Appcraver.com. „Eine Anwendung mit Inhalten eines einzelnen Magazins oder einer Zeitung bietet Leser nicht wirklich etwas Neues“, glaubt Holbrook. „Dafür würde auch eine gut strukturierte mobile Website genügen.“ Interessant sei dagegen, wenn eine Zeitung verschiedene Quellen aus der Region zusammenfasse oder Links zu anderen Medien sammle.

Auch beim Design einer iPhone-Anwendung können Medienmacher jede Menge falsch machen. „Das Wichtigste ist, dass nicht einfach die Website übernommen und neu angestrichen wird“, glaubt Holbrook. Stattdessen gelte es, auf die spezifischen Anforderungen des iPhones einzugehen. Ein Beispiel: iPhone-Nutzer haben nicht immer und überall Zugang zum Internet. „Eine gute Medien-Applikation lädt Inhalte herunter, die dann Offline gelesen werden können“, so Holbrook.

Zustimmung bekommt Holbrook dazu vom Public Radio Exchange-Direktor Jake Shapiro. „Man muss neu über den Formfaktor seiner Inhalte nachdenken“, so Shapiro. Shapiros Organisation ist Entwickler des Public Radio Players, einer Anwendung, die Nutzern Zugriff auf das Live-Programm von mehr als 300 US-amerikanischen unkommerziellen Radiosendern gibt. Während des Design-Prozesses der Anwendung achtete man unter anderem darauf, wie Nutzer das Telefon im Alltagsgebrauch in der Hand hielten, berichtet Shapiro. Im Audio-Bereich hatte Shapiro zum Glück eine ganze Reihe von Vorbildern. Seine Print-Kollegen haben es da nicht ganz so einfach, glaubt er. „Für Tageszeitungen gibt es da noch eine Menge Innovationsbedarf“, so Shapiro.

Radio ohne Zeitdiktat. Das Resultat derartiger Arbeit kann sich jedoch lohnen. Die aktuelle Version des Public Radio Players wurde bereits mehr als zwei Millionen Mal heruntergeladen. Derzeit verzeichne man etwa 3.000 Downloads pro Tag, so Shapiro. Die Anwendung ermöglicht Nutzern den direkten Zugriff auf einzelne Wirtschaftssendungen, Talk Shows und Reportagen des unkommerziellen US-Radionetzwerks NPR ganz ohne das Diktat eines Radio-Programms. Gleichzeitig können sie damit problemlos in die Live-Übertragungen bekannter Sender aus Los Angeles, Chicago oder Philadelphia reinhören. Das kommt an: Der durchschnittliche Nutzer der Anwendung hört damit pro Tag rund 78 Minuten Radio.

Ein derartiger Erfolg ist nicht jedem geheuer. So schrieb Rafat Ali vom Branchen-Blog Paid Content kürzlich, dass sich Radiostationen mit derartigen Anwendungen selbst Konkurrenz machten. „Radio-Hören per Radio wird damit überflüssig“, so Ali, der mittlerweile im Auto nur noch per iPhone Radio hört. Im Falle des Public Radio Players könnte eine derartige Entwicklung um so dramatischer sein, da zahllose lokale Stationen Sendungen von NPR lizenzieren, die Hörer nun jederzeit ohne Mittelsmann per iPhone genießen können.

Shapiro kann diesem Argument so nicht folgen. Viele Nutzer suchten innerhalb des Public Radio Players zuallererst ihre lokale Station, berichtet er. Gleichzeitig gibt Shapiro zu, dass derartige iPhone-Anwendungen nicht folgenlos für das Medium Radio bleiben werden. „Der Druck auf Stationen ohne eigene Inhalte wächst damit“, so Shapiro . Wer lediglich lizenziert, was auch woanders gesendet wird, findet per iPhone-Anwendung keine neuen Hörer. „Diese Dynamik wird sich nur noch verstärken“, glaubt Shapiro. Mit anderen Worten: Neben einem Geräte-spezifischen Design und einem funktionierenden Geschäftsmodell braucht es zum Erfolg auf dem Mobiltelefon immer auch noch gute Inhalte.

Tipp:

Informationen zum Public Radio Player gibt es unter www.publicradioplayer.org. Rezensionen zu zahllosen iPhone-Applikationen finden sich bei www.appcraver.com.

Erschienen in Ausgabe 12/2009 in der Rubrik „Special“ auf Seite 30 bis 30 Autor/en: Janko Röttgers. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.