Wenn 48 Chefredakteure und Journalisten aus 19 Ländern zusammenkommen und gemeinsam an den Formulierungen einer Charta für Pressefreiheit feilen, braucht das Zeit. Es war aufwendig, aber nach vier Stunden war es vollbracht, sagt Harry Nutt, Kulturkorrespondent der Frankfurter Rundschau und einer der Ersten, die am 25. Mai in Hamburg die Charta unterzeichneten. Man habe sehr konstruktiv miteinander diskutiert, so Nutt. Den Entwurf der Charta hatten zuvor Journalisten deutscher Printmedien erarbeitet, unter anderem von Stern, Spiegel, Zeit und tageszeitung. Mit 21 Teilnehmern waren die deutschen Journalisten auch während des Treffens federführend. Das übrige Westeuropa war mit Journalisten aus Dänemark, Italien, Frankreich und Österreich vergleichsweise spärlich vertreten. Dafür zeigte die große Anzahl von Medienvertretern aus Osteuropa das besondere Interesse an einer gemeinsamen Charta.
Warum diese so notwendig ist, begründet Matthias Naß, stellvertretender Chefredakteur der Zeit: Weil die Pressefreiheit überall in Europa gefährdet ist, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise und nicht im gleichen Maße. In Osteuropa kommt es zu direktem Eingreifen und unmittelbarem Druck, sei es durch den Staat oder durch Unternehmen. In Italien herrscht der Regierungschef über einen Großteil der Medien. In Deutschland schließlich kommt es sehr leicht zu Durchsuchungen von Redaktions- und Privaträumen.
Für deutsche Medien seien deshalb die Artikel 4 (Schutz journalistischer Quellen, keine Durchsuchungen, Schutz des Redaktionsgeheimnisses) und Artikel 6 (keine Vermischung von redaktionellen und werblichen Inhalten) zentral, meint Naß.
Große Gefahr. Hans-Martin Tillack, Reporter für den Stern und ebenfalls Erstunterzeichner, sieht das ähnlich und zwar aus eigener Erfahrung: Pressefreiheit ist nie selbstverständlich. Ich bin sehr sensibilisiert für das Thema Quellenschutz, nachdem mein Büro in Brüssel 2004 von der Polizei durchsucht wurde. Aktuell sehe ich auch die Einflussnahme von Anzeigenkunden als große Gefahr, sie wird stärker aufgrund der Krise, das ist auch bei uns spürbar.
Die Frage, welchen Einfluss die Charta überhaupt haben kann, beantworten die befragten deutschen Journalisten realistisch: Niemand ist so naiv zu glauben, ihm widerfährt Gerechtigkeit, wenn er einen Artikel der Charta zitiert. Aber mit der Charta ist eine handhabbare Grundlage geschaffen, meint Harry Nutt.
Die moralische Unterstützung gerade für Kollegen aus Nicht-EU-Staaten, in denen Journalisten verfolgt und ermordet werden, scheint ein wichtiger Punkt: Die Charta kann ihnen das Gefühl von Solidarität vermitteln. Sie sollen wissen, dass sich andere zu Wort melden, wenn sie selbst zum Schweigen gebracht werden. Umgekehrt verpflichtet die Charta uns, Stellung zu nehmen, Fälle von Zensur und Unterdrückung öffentlich zu machen. Immerhin sind in Deutschland sämtliche großen Blätter an dieser Aktion beteiligt. Es ist Diktaturen nicht gleichgültig, was im Ausland über sie geschrieben wird, so Matthias Naß.
Reaktionen aus Osteuropa. Auffallend viele Journalisten aus Nicht-EU-Ländern haben in Hamburg an der Charta mitgearbeitet und sie unterzeichnet, zum Beispiel aus Weißrussland, Russland, Serbien und der Türkei. Die osteuropäischen Kollegen waren es auch, deren Anregungen zu längeren Diskussionen führten. Sie wollten sich in den Formulierungen insbesondere auf die Gerichte berufen, da der Wunsch nach dem Schutz vor der Justiz groß ist: Ein weißrussischer Journalist hat ein ganz anderes Misstrauen gegenüber der Justiz als wir in Deutschland, da merkt man dann die kulturellen Differenzen sehr stark, so Nutt.
Dass Journalisten aus den osteuropäischen Ländern besondere Unterstützung brauchen, ist keine Neuigkeit. Sie werden behindert, bedroht und – wie Ende Januar 2009 mit Anastasija Baburowa in Moskau geschehen – auf offener Straße ermordet. Die Verbrechen bleiben zumeist unaufgeklärt, wie etwa die Ermordung der bekannten russischen Journalistin Anna Politkowskaja, die für die Novaya Gazeta immer wieder über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichtet hatte.
Weniger Aufsehen erregend, dafür aber umso alltäglicher, ist die Einflussnahme des Staates auf die Arbeit der Medienmacher. Tamara Naguslaewa, Chefredakteurin der sibirischen Zeitung Inform Polis, nennt nur ein Beispiel: Die Gesetze, wie über Wahlen zu berichten ist, machen es uns schwer. Wir dürfen nur Wahlwerbung drucken. Im redaktionellen Teil dürfen wir nur objektiv informieren. Wir können nicht kommentieren oder unsere Meinung äußern. (s. a. mediummagazin 4/2008)
Echo auf EU-Ebene. Die Charta ist inzwischen der EU-Kommission übergeben worden, wo sie auf große Zustimmung gestoßen ist. Viviane Reding, EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien, hat die Charta am 9. Juni von Bascha Mika (taz) und Hans-Ulrich Jörges entgegengenommen. Jörges, Mitglied der Chefredaktion des Stern und Initiator der Charta, hofft nun, dass möglichst viele Journalistinnen und Journalisten auf der Homepage unterzeichen und der Charta so mehr Gewicht verleihen.
Bascha Mika, die im Vorbereitungsteam den Entwurf der Charta miterarbeitet hat, will vor allem, dass die Grundsätze keine bloße Absichtserklärung bleiben: Sie sollen einen bindenden Charakter erhalten. Unser Ziel ist es, dass künftige EU-Beitrittsländer die Charta anerkennen müssen. Es sei höchste Zeit für dieses Dokument gewesen: Es ist doch erstaunlich, wie lange die EU schon ohne eine solche Verpflichtung zur Pressefreiheit besteht. Sie ist ein Hoffnungsschimmer für alle verfolgten Journalisten.
Link Tipp
Infos und Liste:
www.pressfreedom.eu
Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 60 bis 60 Autor/en: Catrin Watermann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.