Ghostwriting als Sprungbrett

Als Fred Sellin 2003 mit Vitali und Wladimir Klitschko an ihrer Autobiografie („Unter Brüdern“) arbeitete, stieß er auf eine spannende Geschichte: Die beiden Boxer erzählten dem Ghostwriter unabhängig voneinander, wie sie als Kind vom Dach ihres Hauses aus eine russische Rakete beim Start gesehen hätten. Sie beschrieben ihm blumig, wie die Rakete ausgesehen hatte, den mächtigen Feuerschweif und den höllischen Krach. Sellin war begeistert. Doch als er zu Hause auf der Landkarte nachsah, wie weit das Haus der Klitschkos von der Raketenbasis entfernt war, kam er auf 800 Kilometer. Beim nächsten Gespräch gestanden die beiden, dass sie die Rakete nur als kleinen Punkt am Himmel gesehen hatten. „Dieses Buch war ein Lehrbuch für mich“, sagt Sellin heute. Gerade Journalisten machten sich oft ein falsches Bild vom Ghostwriting. Denn es sei keinesfalls damit getan, in schöner Form aufzuschreiben, was einem erzählt werde. Vielmehr mache akribische Vor- und Nachrecherche einen beträchtlichen Teil der Arbeit aus.

Bis er sein Talent als Buchautor entdeckte, arbeitete Sellin als Journalist für Tages- und Wochenzeitungen, unter anderem für den „Kölner Stadtanzeiger“. Während eines Interviews mit einer Frau, die ein Kind in Argentinien adoptiert hatte und es später beinahe wieder weggenommen bekam, hatte er erstmals die Idee, als Ghostwriter tätig zu werden. Nachdem der Fall juristisch geklärt war und die Familie das Kind behalten durfte, schrieb Sellin unter dem Namen der Mutter ein Buch über ihre Erlebnisse (Rita Vollmer: „Mein Kind aus der Fremde“). Er publizierte zudem zwei Bücher unter eigenem Namen. So kam es, dass der Verlag an ihn dachte, als ein Ghostwriter für die Klitschkos gesucht wurde.

Der Deal beim Ghostwriting ist simpel: Ein Autor, dessen Name oder Kompetenz einen Verkaufserfolg verspricht, der aber selbst nicht die Zeit oder das Talent hat, ein Buch zu schreiben, sucht sich einen „guten Geist“, der die Schreibarbeit übernimmt. Der Ghostwriter wird dafür entsprechend entlohnt, dass er die Lorbeeren nicht selbst einheimsen kann.

Der Münchner Literaturagent Thomas Montasser warnt jedoch davor, die Honorare für Ghostwriter zu überschätzen: „Die Zeit der riesigen Vorschüsse ist vorbei.“ Auch die Buchbranche sei sparsam geworden. Er rät daher zu einer Gewinnbeteiligung für den Ghost, damit beide Partner ein wirtschaftliches Interesse daran hätten, das Buch so gut wie möglich zu machen. Dabei sollte „der Ghostwriter mindestens ein Drittel und höchstens 50 Prozent der Einnahmen bekommen“, sagt Montasser, der als Agent so bekannte Autoren wie Petra Gerster, Gaby Hauptmann, Klaus Maria Brandauer oder Claus Kleber vertritt.

Wenn es nicht um einen absehbaren Bestseller, sondern etwa um ein Wirtschaftssachbuch geht, fährt der Ghostwriter aber meist besser mit einer Pauschale. Carola Kupfer, Journalistin, Ghostwriterin und Autorin („Das Pippilotta-Prinzip“), beziffert die üblichen Beträge auf 10.000 Euro aufwärts, je nach Recherche-Aufwand und Umfang. Abhängig ist das Honorar auch vom Auftraggeber: Wird der Ghostwriter direkt vom Verlag engagiert, richtet sich die Bezahlung in der Regel nach dem erwarteten Verkaufserfolg. Wendet sich aber etwa ein Prominenter direkt an den Ghostwriter seines Vertrauens, ist ihm dessen Arbeit unter Umständen deutlich mehr Wert. Dann können sich die Honorare bis zu 50.000 Euro oder mehr hochschrauben.

Großer Bedarf. Neben dem Verfassen von Büchern finden Ghostwriter auch als Redenschreiber einen Markt. Carola Kupfer empfiehlt diesen Weg ausdrücklich als Einstieg für Journalisten, die noch keine Erfahrungen im Ghostwriting haben. „Reden sind eine wunderbare Stilübung und der Bedarf ist ziemlich groß“, so die Autorin. Mit den Reden könne man sich später auch bei Verlagen präsentieren, denn journalistische Artikel allein reichten als Arbeitsprobe für ein Ghostwriting nicht aus: „Was die Verlage interessiert, ist ja nicht der Schreibstil, denn der muss sich ohnehin an das jeweilige Projekt anpassen. Wichtig ist, dass man sich komplett in die Persönlichkeit und Denkstruktur eines anderen Menschen hineinversetzen kann.“

Aber auch als Redenschreiber Fuß zu fassen, ist nicht einfach. „Es gibt nur wenige, die davon leben können“, weiß Claudius Kroker, Pressesprecher des Verbands der Redenschreiber (VRdS). Und der Markt sei bereits recht überfüllt: Der Verband hat allein 450 Mitglieder, etwa die Hälfte davon habe einen journalistischen Hintergrund, schätzt Kroker. Da ist es umso wichtiger zu wissen, wie man Akquise betreibt – der Verband bereitet zu dem Thema gerade ein Seminar vor (ein Termin steht noch nicht fest.). Kroker setzt dabei vor allem auf das Internet – und wundert sich, dass längst nicht alle Redenschreiber eine brauchbare Website haben. „Das ist ein Weg, der vielfach unterschätzt wird. Potenzielle Kunden recherchieren viel übers Internet, gern auch über Online-Netzwerke.“ Kaltakquise bei Unternehmen hält der Redenschreiber dagegen für wenig Erfolg versprechend: „Ich würde eher sagen, man muss sich finden lassen – aber eben auch etwas dafür tun, dass man gefunden wird.“

Kontakte. Will ein Journalist lieber gleich Bücher „ghosten“, kann es allerdings durchaus Sinn machen, Verlage und Agenten direkt anzusprechen. „Das kommt relativ häufig vor“, weiß Literaturagent Montasser aus Erfahrung. Die meisten seiner Kollegen seien neuen Kontakten gegenüber aufgeschlossen: „Agenturen müssen den Verlagen heute ein Rundum-Sorglos-Paket anbieten und dazu braucht es immer mal wieder Ghostwriter.“ Er selbst gibt etwa ein Dutzend Projekte im Jahr an gute Geister und greift dabei neben seinen Stammschreibern auch auf neue Autoren zurück. Wer sich bei ihm andienen will, sollte am besten gleich mit einer interessanten Idee aufwarten können. Dabei kommt es Montasser vor allem auf das Anschreiben an: „Ich möchte als Agent wissen, wie jemand denkt und funktioniert. Dann fällt es mir leichter, den richtigen Job für ihn zu finden.“

Auch Carola Kupfer würde als Neueinsteigerin aktiv auf Verlage zugehen. „Gerade auf Buchmessen kann man sich gezielt Häuser suchen, die von ihrem Programm her zum eigenen Profil passen.“ Zuvor sollte man aber einen prüfenden Blick in die Bücher des Verlages werfen: Gibt es im Nachwort oder Impressum Hinweise auf Ghostwriter? Meist bedanken sich die Autoren bei ihren Geistern „für die wertvolle Unterstützung“, „dramaturgische Beratung“ oder „redaktionelle Mitarbeit“. Finden sich solche Formulierungen bei den Dankesworten, ist davon auszugehen, dass man bei diesem Verlag als Ghostwriter an der richtigen Adresse ist.

Nicht jeder Journalist eignet sich jedoch zum Ghostwriter (siehe Checkliste unter www.mediummagazin.de). Für diese Tätigkeit sollte man spezielle Fertigkeiten mitbringen: „Man muss aus einer Person möglichst viele Informationen herauskitzeln können, indem man die richtigen Fragen stellt und im Zweifel 250 Mal nachhakt“, erklärt Autor Fred Sellin. Auch dazu fällt ihm ein Beispiel aus seiner Arbeit mit den Klitschkos ein: „Am Anfang habe ich gemerkt, dass die beiden mir die gleichen Antworten gaben, die sie noch aus anderen Interviews auswendig herunter beten konnten. Ich musste ihnen klar machen, dass wir viel tiefer gehen müssen und nicht an der Oberfläche bleiben wie in einem kurzen Zeitungsinterview.“ Um zum Ziel zu gelangen, sollte der Ghostwriter daher „eine große Neugier auf die Menschen haben, über die er schreibt.“ Zudem sei ein Buch rein vom Umfang her eine Herausforderung: „So ein Ghostwriting geht über Monate, da braucht man Sitzfleisch und Ausdauer. Das übersehen viele, wenn sie Biografien lesen, die vermeintlich simpel geschrieben sind – aber gerade das kann schwierig sein.“

Auch wer Reden schreiben will, wird allein mit seinem journalistisch
en Handwerkszeug nicht weit kommen. „Redenschreiben ist etwas ganz anderes als ein Artikel in einer Lokalzeitung. Eine gute Rede hat eine Dramaturgie, sie muss die Aufmerksamkeit der Zuhörer gewinnen und in Bildern sprechen.“ Daher rät Kroker Journalisten, die in diesem Feld aktiv werden wollen, sich vorher mit Reden zu beschäftigen und gegebenenfalls ein Seminar zu besuchen.

Trennungsgebot. Fred Sellin hat letztlich von seiner Arbeit als Ghostwriter auch journalistisch profitieren können: Es gab immer wieder Anfragen von Magazinen und Zeitungen, wenn es um die Klitschkos ging. Möglich war das nur dadurch, dass Sellins Name mit auf dem Buchumschlag stand. Montasser zufolge ist die Nennung des Ghostwriters inzwischen weitaus üblicher als früher, als diese Art des Schreibens noch eine Grauzone war. Auch der Agent kennt Beispiele von Journalisten, die ihrer Karriere durch ein Ghostwriting-Projekt einen kräftigen Schub geben konnten. „Ich würde Ghostwriting nicht als Berufsziel wählen“, sagt Montasser, „sondern eher als Chance sehen, auf Dauer mehr zu erreichen.“ Nicht zu unterschätzen seien vor allem die Kontakte, die man während der Arbeit an einem Buch knüpft.

Redenschreiber Kroker gibt allerdings zu bedenken, dass sich das journalistische Arbeitsfeld nicht mit dem des Ghostwritings überschneiden sollte. „Problematisch wird es, wenn ein sachlicher, inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen der Rede und der Berichterstattung besteht.“ Ein Lokaljournalist, der über eine Partei berichte, könne nicht gleichzeitig die Rede für einen Abgeordneten schreiben. Auch Ulrike Märcks-Franzen, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) in Verdi, mahnt: „Beim Ghostwriting sollten Grenzen beachtet werden. Die Tätigkeit darf die Arbeit des Journalisten nicht beeinflussen.“

Tipp:

Die Checkliste zum Ghostwriting sowie weiterführende Tipps finden Sie unter www.mediummagazin.de, Magazin +

Die Website des Verbandes der Reden-schreiber bietet u. a. Honorarempfehlungen und Seminarangebote: www.vrds.de

Erschienen in Ausgabe 07+08/2009 in der Rubrik „Beruf“ auf Seite 68 bis 69 Autor/en: Ulrike Schäfer. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.