?Mit Ihren Thesen „Wie das Internet unsere Kultur zerstört" sind Sie zum vielgefragten Webkritiker geworden. Wie viele öffentliche Debatten dazu haben Sie schon geschlagen?
Andrew Keen: Oh, hunderte, in der ganzen Welt. Interessant ist, dass die Menschen in Deutschland meine Thesen sehr viel positiver sehen als die in den Vereinigten Staaten.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, die Europäer sind tendenziell weniger technikaffin. Und sie schätzen den Experten mehr: Je höher die Wertschätzung gegenüber den herkömmlichen Medien, desto weniger Vorbehalte gegenüber dem Experten.
In Amerika dagegen werden Sie wegen Ihrer Kritik an einer überbordenden Demokatisierung des Internet heftig angefeindet. Sie haben sich sogar selbst als eine Art „Anti-Christ im Silicon Valley" bezeichnet. Ist die Einstellung zum Internet eine Frage des Glaubens?
Offenkundig ja. Für Internet-Anhänger hat es etwas Religiöses. Für sie ist die Technologie ein Universalheilmittel, das sozioökonomische Ungleichheit heilt. Ich halte dieses Medienverständnis aber für falsch. Die „Medien" verheißen keine sozioökonomische Gerechtigkeit. Sie sind der Zugang zu verlässlicher Information. Und das Internet ist ein Mittel für jedermann, etwas zu sagen und so die Engpässe der klassischen „Gatekeeper" in den Medien zu überwinden.
Die Internet-Idealisten setzen Medien jedoch mit jedweder Information gleich und zerstören so das Verständnis für verlässliche, glaubwürdige Informationen. Sie geben jedermann das Gefühl, eine Stimme zu haben, doch tatsächlich ergibt das eine Art Kakophonie, in der niemand dem anderen mehr zuhört. So wird der Wert der herkömmlichen Medien kaputt gemacht.
Internetnutzer gehen sehr viel emotionaler mit Nachrichten und Informationen um als wir Journalisten. Haben wir den emotionalen Faktor von Nachrichten unterschätzt?
Nun, Journalisten sind tatsächlich ziemlich arrogant gewesen im Umgang mit ihrem Publikum. Aber es hilft auch nicht, allzu sensibel für die Wünsche des Publikums zu sein: Es konsumiert nämlich sowieso, was es will. Wir leben, kulturell gesehen, in einer seltsamen Zeit, wo herkömmliches Publikum und herkömmliche Autoren wie nie zuvor aufeinander treffen und beide Seiten wenig voneinander wissen. So geraten Expertise und Talent unter Beschuss durch die Kräfte der Demokratisierung.
… die sich im Internet ja häufig durch heftige Kritik an journalistischen Informationen äußert. Es scheint, als sei die Glaubwürdigkeit der Medien keineswegs so hoch, wie Journalisten sie beurteilen. Was haben die Medien falsch gemacht?
Nun, nehmen wir das BBC-Beispiel um Jonathan Ross und Russell Brand, die in einer Call-in-Show einen geschmacklosen Witz gemacht hatten. Als es daraufhin via Internet eine Flut von über 37.000 Beschwerden gegen die BBC gab, feuerte sie diese zwei Journalisten – wegen eines Witzes. Da zeigt sich das grundlegende Problem, das durch das Internet entsteht: Wenn man in den Medien anfällig wird für die öffentliche Meinung, kann der Mob alles machen, was er will. In einer derart demokratisierten Kultur, in der das Publikum mehr und mehr Macht erlangt, kann es die Inhalte wählen, die es will. Und es wird nur hören, was es hören will – und den Überbringer von unpopulären Nachrichten richten. Das ist eine ziemlich schlechte Ausgangssituation für Medien, die doch Nachrichten liefern, liefern müssen, die die Leute nicht auf Anhieb gerne hören wollen.
Sollten Journalisten Publikumsbeschwerden also unbeachtet lassen?
Nein, Interaktivität ist prinzipiell eine gute Sache. Ohne sie geht es nicht mehr. Aber Medien müssen sich davor hüten, sich von der öffentlichen Meinung leiten zu lassen. Denn dann werden sie durch den Mob drangsaliert. Eine Herrschaft des Pöbels war immer gefährlich. Heute wird sie wieder durch die elektronischen Medien und das Internet ermöglicht.
Was empfehlen Sie also der Medienbranche? Ist beispielsweise öffentliches Fact-Checking der richtige Weg zu mehr Akzeptanz und Glaubwürdigkeit?
Fact-Checking ist sehr gut. Aber die Gefahr dabei ist, dass es in der Öffentlichkeit wie ein generelles Schuldeingeständnis wirkt. Denn wo soll man anfangen, wo aufhören? Wahrscheinlich birgt jeder Artikel irgendwo eine Unvollkommenheit. Und wenn man einmal diese Überdemokratisierung der Medien hat, steht der Journalist ständig unter dem Damoklesschwert. Jeder kann alles behaupten und hinterfragen. Aber niemand sagt, dass Journalisten einen großartigen Job machen.
Aber sollte sich zumindest das Rollenverständnis der Journalisten ändern hin zu einer Art Community Manager?
Der Journalist ist kein Community Manager. Ist er erst einmal das geworden, ist er als Journalist gestorben. Ein Community Manager ist nämlich auf seine Gemeinde fokussiert und darauf bedacht, sie glücklich zu machen. Die Aufgabe des Journalisten dagegen ist, die Wahrheit über die Welt zu sagen – im Irak, in Washington, Berlin, wo auch immer. Er muss hinschauen, was passiert, in Politik, Wirtschaft, Kultur, und den Mut haben, die Wahrheit zu sagen.
Sie kritisieren, wir sprächen zu viel über die Öffentlichkeit und zu wenig über Inhalte. Im Zeitalter der Just-in-Time-Nachrichten: Wie sollen sich da klassische Nachrichtenlieferanten wie Zeitungen positionieren?
Der traditionelle Rhythmus der Nachrichtenbündelung, der Rhythmus der Zeitung, ist langfristig tot. Mir gefällt die Vorstellung, dass Hochqualitäts-Journalisten die Nachrichten fünf, sechs oder vielleicht zehn Mal täglich zu kommentieren in der Lage sind. Aber es muss eine klare Entlohnung dafür geben: Sie müssen dafür bezahlt werden und der Wert dessen, was sie sagen, ist die Aktualität, nicht Interaktivität. Ich habe kein Problem damit, dass die Zeitungen „fließend" werden, digital, und die anfassbare Form verlassen. Es kommt nicht darauf an, ob ich die Nachrichten im Internet bekomme, auf meinem Mobiltelefon oder in physikalischer Form. Ich will nur sicher sein, dass sie verlässlich und glaubwürdig sind.
Halten Sie spendenfinanzierten Journalismus, wie es „Pro Publica" in den USA vormacht, für Qualitätsjournalismus und einen guten Weg?
Nein. Denn ich weiß nicht, wie „Pro Publica" zu Geld kommt. Ähnlich bewerte ich die „Huffington Post". Sie ist die erfolgreichste Online-Zeitung, aber zahlt nichts an die Mitwirkenden: Das sind alles wohlbekannte Prominente aus Hollywood oder Washington. Die Herausforderung ist, Nachrichten von hoher Qualität zu bekommen und die Mitwirkenden dafür entspechend zu entlohnen. Das tut im Augenblick kaum jemand. Am ehesten vielleicht noch die „New York Times" und der „Guardian". Aber selbst die haben es schwer.
In Deutschland diskutieren etliche Zeitungen über ein zweites Standbein in Form von Communities, die durch Citizen-Journalismus entstehen. Ist das ein gangbarer Weg?
Citizen-Journalismus ist ein höchst problematischer Begriff: Ein guter Bürger ist nicht Journalist. Ein guter Bürger will über die Welt Bescheid wissen, um gute Entscheidungen treffen zu können bei Wahlen und seiner Mitwirkung in der Gemeinschaft. Ein guter Journalist muss aber nicht gleichzeitig ein guter Bürger sein. Es ist egal, welche politische Haltung er privat hat, solange er sein Handwerk professionell macht. Bürger und Journalismus in einem Begriff zu vereinen und damit gleichzusetzen ist sehr gefährlich, weil es den Journalismus nicht als Beruf anerkennt und suggeriert, dass jeder zum Journalisten werden kann: Man muss nur auf die Straße gehen und berichten, was passiert. Darum bin ich gegen das Konzept von Bürger-Journalismus. Ich rede ja auch nicht von einem Bürgerkoch oder von einem Bürgerpiloten. Ich würde jedenfalls nicht in ein Flugzeug steigen, das von einem Bürgerpiloten geflogen würde und ich würde auch keine Zeitung lesen, die ein Bürgerjournalist geschrieben hat. Für mich steht das Wesen des professionellen Journalisten obenan. Und wir müssen uns gegen s
olche Konzepte stellen, bevor wir sie einfach für selbstverständlich halten.
Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 30 bis 30 Autor/en: Interview: Annette Milz. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.