der Posten eines dpa-Chefredakteurs von Journalisten wenig begehrt ist?
Wilm Herlyn wird am 21. Januar 63 und steht seit 18 Jahren an der Spitze der Deutschen Presse- agentur (dpa). Die Suche nach seinem Nachfolger läuft. Wie muss ein dpa-Chefredakteur gestrickt sein, was muss er können? Joachim Krantz, einer der bekanntesten Hamburger Headhunter, ist in die Suche nicht involviert, kann also frank und frei reden. Er sagt, ein Job für einen der Großen der Branche sei das nicht. Eher kommen Organisationstalente der zweiten oder dritten Reihe in-frage – so wie Herlyn vor seiner Zeit bei der dpa ja auch stellvertretender Chefredakteur der „Rheinischen Post" war. Das liegt nicht nur am Gehalt, das dem eines Chefredakteurs einer mittelgro- ßen Regionalzeitung entspricht. Weniger als das Journalistische sei bei einem dpa-Chefredakteur eine starke Persönlichkeit mit Managementqualitäten gefordert. Mindestens so wichtig bei so einem schwer beweglichen Tanker wie der dpa seien Eloquenz und Konsensfähigkeit. Da ist etwa die Regelung, dass der Chefredakteur und der Vorsitzende der Geschäftsführung, seit 2006 also Malte von Trotha, in allen Fragen zu ständigem Konsens verpflichtet sind. Diplomatie ist auch im Umgang mit den Gesellschaftern, also den Verlagen, gefragt. Zumal ein dpa-Chefredakteur mehr denn je gezwungen ist, den Nutzen der Agentur nachzuweisen. Jedes Jahr gehen ihr wegen sinkender Auflagen rund 300.000 Exemplare verloren. Das senkt die Ertragslage, gleichzeitig steigt der Bedarf an aufwendigen Themen-, zielgruppenspezifischen und multimedial verwertbaren Angeboten. Zu den sinkenden Erlösen im Kerngeschäft kommt hinzu, dass immer wieder Verlage prüfen, ohne die Dienste der Agentur auszukommen. Zuletzt waren es die Titel der WAZ-Gruppe, die überlegten, sich die Vertragsverlängerung mit der dpa zu sparen.
Verlage, die Redaktionen zusammenlegen, selbst nicht an das Prinzip Zentralredaktion glauben?
Gegenfrage: Wie sonst konnte die WAZ-Gruppe mit dem Argument, Kosten sparen zu müssen, eine Zentralredaktion einführen und gleichzeitig davon reden, auf die Dienste der dpa verzichten zu wollen? Schließlich ist dpa, streng genommen, die Mutter aller Zentralredaktionen. Als solche bezeichnet sie der Münchner Unternehmensberater Hans-Jörg Schmidt. Unerklärlich ist ihm deswegen, wenn ein Verlag finanzielle Gründe für den Verzicht auf dpa anführt. Die Nachrichtenagentur sei nichts weniger als die beste Kostensenkungsmaßnahme, die die Verlage früh eingeführt haben, so Schmidt. Auf dpa zu verzichten, sei tatsächlich kein Weg, Kosten zu sparen, sagt Michael Garthe, Chefredakteur der „Rheinpfalz". Wie sonst hätte er ausgerechnet im Boom-Jahr 2000 den dpa-Basisdienst kündigen sollen? Drei Viertel der 1,2 Millionen Mark, die dpa gekostet habe, seien in die Redaktion reinvestiert worden, sagt Garthe. Was die dpa besorgte, musste nun schließlich die Redaktion erarbeiten. Bis heute kommt die „Rheinpfalz" ohne dpa aus, was sich nur bei Nachrichten aus Kultur und Vermischtem negativ bemerkbar mache, sagt Garthe. Ansonsten fühlt sich die „Rheinpfalz" von AFP, Reuters oder ddp gut bedient. Positiv niedergeschlagen habe sich, dass sich die Redaktion ohne das Agenturkorsett mehr Gedanken mache, welche Themen wie zu setzen seien. Das sei allerdings nur bei gut ausgestatteten Mantelredaktionen möglich.
Doch die werden ausgedünnt, zugleich werden ihnen mehr Aufgaben aufgebürdet. Daraus ergeben sich mehrere Schlussfolgerungen: Je mehr die Verlage in den Redaktionen an Personal sparen, desto höher ist die Abhängigkeit von dpa. Je weniger Redakteure Zeit zum Recherchieren haben, desto wichtiger ist es, wenigstens die Basisinformationen geliefert zu bekommen. Je weniger Zeit zum Schreiben ist, desto größer ist die Notwendigkeit, vorgefertigtes Agenturmaterial ins Blatt zu heben. Wer jedoch dpa nicht nur hohe Kosten vorwirft, sondern kritisiert, sie betreibe langweilig geschriebenen Fabrikjournalismus, muss die Gründe kennen, warum das so ist. Schließlich müssen dpa-Redakteure nicht nur einen, sondern eine Vielzahl von Titeln beliefern, ihre Texte müssen für alle kompatibel sein, dürfen weder in Stil noch Inhalt anecken. Das Ergebnis ist ein womöglich handwerklich korrekter, aber eben seelenloser Journalismus. So ist das eben in Zentralredaktionen, auch in denen, die Verlage derzeit in den eigenen Häusern einführen. Umso unglaubwürdiger klingen Beteuerungen, in Zentralredaktionen würden Identität und Charakter der einzelnen Marken nicht verloren gehen.
Und da wir schon bei Sparmaßnahmen sind:
sich Verlage in ihren Redaktionen Duckmäuser heranzüchten?
Der Eindruck drängt sich auf. In den Chefredaktionen sind freundliche, kaufmännisch denkende, zu Kompromissen bereite Menschen gefragt. Gerne solche, die über hehre journalistische Prinzipien reden, was sie in der täglichen Arbeit wenig spüren lassen. Die Zeit der Haudegen, die sich vom Verlag nicht reinreden lassen, ist ebenso vorbei wie die der Weltverbesserer und Abenteurer im Journalismus. Vieles davon mag ja auch übertrieben und überbezahlt gewesen sein.
Heute jedoch regiert die Angst. Gedrängt von Verlagsmanagern, lassen zu viele Chefredakteure zu viel mit sich machen, und das überträgt sich auf die Redakteure. Erniedrigt zu Inhalte-Lieferanten, ducken sie sich weg, froh über den warmen Platz in der vom Sparen geplagten Redaktion, voller Furcht, der Nächste zu sein, den es trifft. Was für eine Generation von Journalisten wird da herangezüchtet? Jedenfalls keine, die selbstbewusst auftritt, fordert und widerspricht. Vielmehr duckmäuserische, billige und willige Redakteure, die sich fügen, die aus vorauseilendem Gehorsam unterlassen, was Ärger bringen könnte und tun, wovon sie glauben, man erwarte es von ihnen. Nur ein paar Beispiele aus dem Alltag: Da wäre jener fest angestellte Journalist, der seine Spesenquittung über eine Zugfahrt von 40 Euro nicht erstattet bekommt, weil der Vorgesetzte im Nachhinein findet, die Reise habe sich nicht gelohnt. So schnell fährt der nicht wieder kurzfristig zu einem Termin. Oder jener Kollege, dessen Interviewpartner abends mehr Lust zum Reden hatte als tagsüber, weshalb er die Rechnung für die Hotelübernachtung vorsichtshalber gar nicht erst im Verlag eingereicht hat. Das Interview war äußerst gelungen, dank privater Finanzierung durch den Redakteur. Und welcher Stimmung ist jener neu eingestellte Redakteur ausgesetzt, wenn klar ist, dass seinetwegen zwei Kollegen ihren befristeten Vertrag verloren haben? So macht man aus Journalisten eingeschüchterte, griesgrämige Redakteure, die nicht Nein sagen oder Warum fragen. Die am Schreibtisch hocken, anstatt rauszugehen. Die, wenn überhaupt, am Telefon recherchieren und dort leise, nicht bestimmt sprechen, denn im Großraum, wo mehr Redakteure auf weniger Platz dem Verlag viel Geld sparen, wird nicht laut telefoniert. Recherche stört, Informanten lassen sich bei so vielen Zuhörern ohnehin nicht schützen. Klar, auch in Großraumbüros gibt es Rückzugsräume – die, so heißt es, kaum genutzt werden. Mal im Ernst: Welcher Journalist kann seinen Gesprächspartnern vorschreiben, bitte nur zwischen 13 und 13.30 Uhr anzurufen, wenn man gerade im Rückzugsraum sitzt? Wie sollen klein gehaltene Journalisten aufrechten Hauptes Macht und Mächtigen entgegentreten? Wie sollen sie ihrer Pflicht nachkommen und Dinge in Frage stellen, wenn sie in einer Verlagskultur sozialisiert worden sind, in der das Ertragen widriger Umstände erste Redakteurspflicht ist? Und wie, wenn da gebeutelte Angsthasen vor allem und allen zurückschrecken, wird sich der Journalismus entwickeln? Sicherlich nicht hin zu einem unbequemen, hinterfragenden, unerschrockenen, enthüllenden. Womit sich die ewige Frage stellt, was da zuerst war: die sinkenden Auflagen und Anzeigen, weil in den Blättern zu wenig Wertvolles steht, oder klein gehaltene Redaktionen, weil Auflagen und Anzeigen sinken?
Erschienen in Ausgabe 01+02/2009 in der Ru
brik „Medien“ auf Seite 14 bis 15 Autor/en: Ulrike Simon. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.