Zweierlei Maß

Besser hätte es für die chinesische Regierung eigentlich gar nicht laufen können. In der Kontroverse um die angeblich zu chinafreundliche Berichterstattung des chinesischen Dienstes der Deutschen Welle können sich die Pekinger zurücklehnen und die Hände reiben. In Zukunft haben sie weniger Grund denn je auf Kritik aus Deutschland, an der mangelnden Pressefreiheit im Reich der Mitte einzugehen. Und dabei ist es egal, wie der Streit um die Deutsche Welle ausgeht. Denn die Kontroverse in Deutschland bestätigt aus Sicht Chinas einmal mehr den langgehegten Verdacht, dass westliche Medien voreingenommen sind, wenn es um die Volksrepublik geht. Im chinesischen Internet darf dazu schon seit der Tibetkrise im März jeder seinem Frust freien Lauf lassen – etwa auf der Website www.anti-cnn.com. Angesichts des Streits um die Deutsche Welle ist in China erneut von „Heuchelei" die Rede, vom „Rassismus des Westens" und von unterschiedlichen Maßstäben bei der Pressefreiheit.

Im Kern geht es bei dem Streit darum, ob die chinesische Redaktion der Deutschen Welle der Pekinger Führung ungebührlich nahe steht und deren Propaganda verbreitet. Aufgefallen war vor allem die stellvertretende Leiterin der China-Redaktion, Zhang Danhong, die mittlerweile von ihren Führungsaufgaben entbunden wurde. Den Kritikern der Deutsche Welle halten andere entgegen, man dürfe China nicht dämonisieren. Geäußert haben sich auf der einen oder anderen Seite mittlerweile sowohl Dissidenten als auch China-Wissenschaftler, deutsche Publizisten wie auch chinesische Autoren.

Dabei haben vermutlich beide Seiten irgendwie recht. Die Freiräume, die beispielsweise das Internet gewährt, wären vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Die Spielräume, die sich Journalisten in China erkämpft haben, sind größer geworden. Und trotzdem gibt es natürlich auch die andere Seite: die inhaftierten Dissidenten und Internetschreiber, die blockierten Webseiten, die Vorgaben aus dem Propagandaministerium und die Tabus, die viele chinesische Journalisten so verinnerlicht haben, dass es keiner offiziellen Anweisung mehr bedarf. Nur wer diese Zustände jetzt kritisiert, wird sich in China vermutlich Verweise auf die Deutsche Welle einhandeln.

Internet: www.anti-cnn.com

Erschienen in Ausgabe 12/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 57 bis 57 Autor/en: Ruth Kirchner, Peking. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.