Netzwerk der Helfer

Journalisten sind mit die größten Individualisten, sagt die Journalistin Christiane Schlötzer, was man unwidersprochen gelten lassen kann. Und weil Individualisten in einer Gruppe schwer zu organisieren sind, so Schlötzer weiter, staune sie sehr, dass sich ihr Verein „Journalisten helfen Journalisten“ (JhJ) nunmehr seit 15 Jahren hält: 1993, als der Balkan brannte und viele Kollegen dort in Not gerieten oder gestorben waren wie Egon Scotland, Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), wurde „Journalisten helfen Journalisten“ gegründet. Scotlands Ehefrau Christiane Schlötzer, heute stellvertretende Außenpolitik-Leiterin der „SZ“, wollte mit befreundeten Journalisten helfen, schnell, direkt, humanitär, Kollegen wie Dzevad Karahasan. Der bosnische Journalist und Schriftsteller hatte das Unglück, in Sarajevo zu leben. Granaten und Scharfschützen, Hunger und Kälte, Wassermangel und Erschöpfung setzten ihm zu. JhJ unterstützte den Flüchtenden, „mehr moralisch als materiell“, wie sich JhJ-Mitglied Carl Wilhelm Macke erinnert.

Fünfzehn Jahre später verlegt Suhrkamp Karahasans Bücher. Es geht ihm wieder gut. Tiefe Freundschaft zu den Journalistenhelfern ist entstanden, die Karahasan zum feierlichen Vereinsjubiläum in München durchdringen ließ. Das Wesen des Journalismus, sagte der Mann aus Sarajevo, sei immer noch das Schreiben über Menschen. Denn was im wirklichen Leben einer Gesellschaft vor sich gehe, lasse sich viel besser und präziser anhand eines konkreten Menschenschicksals begreifen und berichten (Die Rede ist dokumentiert unter www.mediummagazin.de, Rubrik download).

250 Journalisten, allesamt Menschenschicksale, hat JhJ bisher ganz individuell unterstützt. Eine neue Schreibmaschine hier, die Veröffentlichung eines Artikels dort, sogar die Beinamputation eines irakischen Kollegen wurde bezahlt. Nicht unüblich war es früher, dass Korrespondenten Bares im Brustbeutel in die Krisenregion mitbrachten. Heute nimmt das Geld meist per Überweisung seinen Weg. Heute hat JhJ ja nicht mehr nur den Balkan, sondern die ganze Welt, von Afghanistan über Kolumbien bis Simbabwe, im Visier.

Aktuell sieht JhJ zu, dass Mutabar Tajibayeva geholfen wird. Die usbekische Menschenrechtsaktivistin wurde vor wenigen Wochen schwerkrank aus dem Gefängnis entlassen. Mit deutscher Unterstützung soll sie genesen. Im Fall des Anfang Juni vermutlich von rivalisierenden Clans ermordeten Vizepräsidenten der somalischen Journalistengewerkschaft, Nasteh Dahir Farah, sorgt JhJ dafür, dass seine Witwe die Beerdigung bezahlen kann.

Dass sich fernab der eigenen Lebenswirklichkeit ein paar Deutsche für einen sorgen, beeindruckte haitianische Kollegen besonders. Von der Brücke der Solidarität zwischen Haiti und Deutschland überrascht, schickten sie Dankespost nach München. Doch nicht immer erfährt JhJ so freundliche Resonanz. Wie es dem Kollegen aus Sarajevo ergeht, dem eine 50.000 Euro teure Nieren-Operation ermöglicht wurde, ist in München nicht bekannt. An der Bereitschaft und dem Gefühl der inneren Verpflichtung, etwas tun zu müssen, ändert das nichts. Im Verein wünscht man sich, auch jüngere Kollegen würden dieses journalistische Ethos pflegen. Der JhJ-Mitgliederstamm, stabil seit der Gründung, ist in die Jahre gekommen. Was nicht unbedingt von Nachteil ist.

Globales Netzwerk. Unzählige persönliche wie spendenbereite Kontakte sind gewachsen. Im weltweiten Netzwerk ist JhJ verknüpft unter anderem mit dem New Yorker „Committee to Protect Journalists“ und den „Reporters Sans Frontieres“ in Paris. Der vornehmliche Kommunikationsweg sind eMails, deren Inhalt im sogenannten Münchner „Basislager“ überprüft und abgesichert wird. „Im Internet kann sich ja jeder als dramatischer Fall präsentieren“, sagt Macke.

Als Kassier hat Macke den finanziellen Überblick. Mit bislang 300.000 verteilten Spendeneuros mag sich der JhJ-Einsatz bescheiden ausnehmen. „Man kann das Meer mit der Bratpfanne eben nicht ausschöpfen“, weiß Macke. „Aber man hat zumindest etwas Meer in der Pfanne.“

Linktipp:

Die Website von „Journalisten helfen Journalisten“:

www.journalistenhelfen.org

Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Rubriken“ auf Seite 59 bis 59 Autor/en: Senta Krasser. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.