„Wir stehen am Scheideweg“
Huch, da scheint ja die Hütte zu brennen! In der Tat: Wenn man am Scheideweg steht, dann ist Dramatik pur geboten. Da gibt es kein Rumlavieren mehr, keine Ausreden, kein Hinauszögern – am Scheideweg müssen den Worten Taten folgen. Als Chef stellt man sich am besten vor die versammelte Belegschaft, als Trainer vor die Mannschaft, als Politiker vors Parlament, und hält eine ordentliche Brandrede. Denn: Wer jetzt nicht aufsteht, bleibt ewig liegen. Auch in Interviews kann man mit einer solchen Power-Phrase bei Journalisten ordentlich Eindruck schinden. Klartext kommt an, das wird gerne gedruckt und gesendet. Es versteht sich natürlich von selbst, dass die Situation entsprechend heikel sein muss, um solch eine verbale Keule aus der Tasche zu holen. Da muss das Unternehmen mindestens vor der Insolvenz stehen oder die Fußballmannschaft vorm Abstieg. Als Manager bleibt einem da ohnehin nur der Ausstieg oder die Flucht nach vorn. Am Scheideweg muss man sich freilich auch im Klaren darüber sein, in welche Richtung man sich überhaupt bewegen will. Nach vorne, das ist klar, aber mit welcher Strategie? Ein Letztes dann noch: Die Phrase bitte nur bei möglichst konkreten Fällen verwenden! Dass die Menschheit am Scheideweg steht und es sowieso seit Jahren schon fünf vor zwölf ist, das wissen wir.
„Worten müssen Taten folgen“
Das ist die ganz hohe Kunst: In einer Rede, einem Interview oder persönlichem Gespräch fordern, dass nun mal Schluss sein muss mit der Laberei. Da zuckt jeder zusammen und sagt sich: Verdammt richtig! Denn merke: Es wird viel zu viel geredet und zu wenig getan. Zumindest wollen uns genau das diejenigen Menschen weismachen, die sich solch ausgefuchster Phrasen bedienen. Wer nicht gerade auf dem Bau arbeitet oder am Fließband sein Geld verdient, den beschleicht nicht selten das Gefühl, dass man vor allem viel Wortmüll produziert – in Meetings, bei Kongressen, in Kundengesprächen oder beim Italiener um die Ecke. Wie sagte jüngst Renate Künast: „Es ist schön, warme Worte oder in schönen Bildern zu sprechen, aber dann müssen dem Ganzen auch Taten folgen.“ Darauf wäre einzuwenden, dass dies nun ausgerechnet eine Politikerin sagen sollte. Aber Künasts Appell – es ging übrigens um Naturschutz – erinnert die Kollegen und nun auch uns nur daran, warum wir eigentlich jeden Tag an den Schreibtisch schlurfen: Um etwas zu tun. Meine Damen und Herren, also an die Arbeit.
„Vor der eigenen Haustür kehren“
Eine sehr heikle Phrase, die, je nachdem, in welcher Tonlage ausgesprochen, entweder angriffslustig-selbstbewusst oder gekränkt-beleidigt daherkommt. Wenn man beispielsweise in einem Interview stellvertretend für eine Gruppe, der man angehört, dazu auffordert, vor der eigenen Haustür zu kehren, dann ist das einigermaßen selbstbewusst. Dann übernimmt man die Speerspitze dieser Gruppe, die sich nun am Riemen reißen muss. Nicht immer nur mit dem Finger auf andere zeigen, so die Botschaft, auch mal selbstkritisch sein! Mehr Verantwortung übernehmen! Die Gefahr dabei ist freilich, dass die Kollegen das ganz anders sehen und einen selbst für einen aufgeblasenen Wichtigtuer halten, der sich nur auf ihre Kosten profilieren will. Denn Selbstkritik, wir hatten es vorhin bereits angedeutet, kommt gut an da draußen. Und dann gibt es noch die beleidigte Variante dieser Phrase, die tunlichst vermieden werden sollte. „Kehr doch vor deiner eigenen Haustür“ hat den Charme eines Kindergartenstreits um ein gemopstes Gummibärchen. Nur weil man kritisiert worden ist, muss man nicht gleich blindlings draufloskeifen, das ist immer eine schlechte Lösung.
„Wir streben nach einer fairen Lösung“
„Fairness“ ist ein missbrauchtes Wort. Und eine „faire Lösung“ sieht in der Regel einen Verlierer vor – denjenigen, der in den Genuss der fairen Lösung kommt. Das klingt nicht nur zynisch, das ist es auch – ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Gebrauch dieser Phrase zum Beispiel bei Entlassungen von Mitarbeitern, bei der Entschädigung von Benachteiligten und Ähnlichem eine absolute Notwendigkeit ist. Denn Fairness muss man demonstrieren, auch wenn es grad mal unfair zugeht. Wichtig ist allerdings die Betonung, dass man nach einer fairen Lösung „strebt“. Ob man sie auch erreicht, ist eine andere Frage. Denn dass Fairness letztlich im Auge des Betrachters liegt, versteht sich von selbst.
Erschienen in Ausgabe 7/2008 in der Rubrik „Tipps für Journalisten“ auf Seite 82 bis 86. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.