Diagnose

Haben Sie mal ein anzeigen- affines redaktionelles Umfeld? Kein Problem!

Ein kleines Rollenspiel: Sie geben eine angesehene Tageszeitung heraus oder ein renommiertes Magazin. Ich bin Mediaplaner und kümmere mich um die Werbeplatzierungen großer, bekannter Marken: Modelabels, Schmuckfirmen, Autohersteller. Sie rufen mich also an, um eine Anzeige zu bekommen – und ich? Ich lache erst einmal eine Weile in den Hörer. Anschließend erkläre ich Ihnen, dass ich Anzeigen ziemlich langweilig finde und meinen Kunden zunehmend davon abrate. Dass ich weiterhin dafür sorge, dass sie Ihre Werbebudgets anders verplanen, näher dran am redaktionellen Umfeld. Ich frage Sie, ob es nicht eine kreative Lösung gebe. Keine Anzeige, eher eine Art Zusammenarbeit.

Sie sagen, dass Ihr Medium strikt darauf achte, Redaktion und Inhalt zu trennen. Dass Sie Leser haben, die für so eine Verquickung ein ganz feines Gespür haben und das ja genau die Qualität Ihres Blattes ausmache. Dass es schon Abokündigungen gegeben habe, weil sie mal ein Auto zu positiv besprochen haben.

Lachen und Gähnen. Und jetzt muss ich schon wieder lachen. Beziehungsweise: Erst habe ich die ganze Zeit gegähnt. Ich frage Sie, ob Sie neulich das „Zeit-Magazin“ gesehen haben, also dieses „Zeit-Leben“ in Magazinformat. Das neulich ein Cover hatte, auf dem es um Schmuck ging. Erst sah man Audrey Hepburn ohne Diamanten-Collier, eine Seite weiter, quasi auf einem zweiten Cover, sah man sie dann mit. Im Heft war eine kurze Geschichte über die Sehnsucht der Menschen nach Diamanten, dann kamen fast sechs Seiten Fotos mit Schmuck von Bulgari oder Tiffany. Ich frage Sie, ob diese Titelgeschichte nun Werbung oder redaktioneller Inhalt war. Sie antworten, dass Sie es nicht wissen.

Und wo wir schon bei Schmuck sind: Haben Sie neulich im Politikteil der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) die Seiten über den Juwelenhändler Wellendorff gesehen? „Sonderveröffentlichung“ stand darüber, was immer das heißen mag. Oder die ebenfalls Sonderveröffentlichung genannten Seiten, auf denen stand, wie toll der Konzern Daimler ist. Langsam reagieren Sie genervt. Oder die seitenlangen Elogen in der „Welt am Sonntag“ über die Berliner „City West“, auf denen jede Menge Kleinanzeigen von dort ansässigen Unternehmern war, die sich gefreut haben dürften, dass ihr Quartier in einer dem redaktionellen Layout zum Verwechseln ähnlichen Aufmachung hochgejazzt wurde. „Extra“ stand groß darüber. Das sage ich, bringe wesentlich mehr als eine blöde Anzeigenseite – weil der Leser gar nicht recht merkt, worum es sich handelt: Reklame oder Journalismus.

Jetzt muss ich schon wieder lachen. Sie sagen nun gar nichts mehr. Also rede ich weiter. Und frage Sie, ob Sie schon mal das Magazin „Piazza“ der „FAZ“ gesehen haben und ob Sie nicht auch glauben, dass diese affirmativen Artikel über Boote, Luxusautos und Hotels weit unter dem Niveau der „FAZ“-Abonnenten seien. Ich frage Sie, was Sie denn glauben, warum es dieses Magazin überhaupt gibt. Und weil Sie weiter schweigen, sage ich es Ihnen: Weil die „FAZ“ so wenigstens mal ein paar Anzeigen aus der Luxusgüterindustrie bekommt, auf die sie so scharf ist. So wie es die „Süddeutsche Zeitung“ mit ihren Beilagen macht: „Golf spielen“ oder „Wohlfühlen“. Kommen Sie mir noch einmal mit Trennung von Redaktion und Werbung.

Und weil ich als Mediaplaner wenig Mitleid mit larmoyanten Journalisten habe, die nicht merken, was die Stunde geschlagen hat, biete ich Ihnen an, noch ein paar Beispiele zuzuschicken, damit Sie endgültig verstehen, wovon ich rede. In dieses Paket stecke ich die himmelblaue Titelseite der „Welt“, die von AOL gesponsert war. Ich schicke Ihnen ein recht frisches Exemplar der Schweizer „Weltwoche“, auf deren Cover neulich eine Überschrift prangte, die Werbung für den Jeep Cherokee war, aber so aussah, als gehe es um Inhaltliches. Ich geben Ihnen noch einen „Tagesspiegel“ obendrauf, der seine komplette Titelseite an H&M verkauft hat und an dem Tag eben Karl Lagerfeld und nicht den Tod von Arafat auf der Frontpage hatte. So, und jetzt habe ich wirklich keine Zeit mehr. Entschuldigen Sie die Störung, sagen Sie, und dass Sie sich Gedanken über kreative Konzepte in einem anzeigenaffinen Umfeld machen werden. Schön. Auf Ihre Ideen bin ich schon sehr gespannt.

Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Journaille“ auf Seite 12 bis 13. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.