Eine schlechte Ausbildung ist die größte Gefahr für den etablierten Journalismus. Dieser Meinung ist mehr als die Hälfte von gut 3000 Redakteuren und freien Journalisten, die zum Jahresanfang an der Online-Befragung „Medien-Trendmonitor“ der dpa-Tochter „News Aktuell“ teilgenommen haben. 59,2 Prozent der Befragten sorgen sich demnach um den etablierten Journalismus, wenn der Nachwuchs sein Handwerk nicht mehr ordentlich lernt. Und 58,4 Prozent der Kollegen fürchten eine Abkehr der jüngeren Generation vom Qualitätsjournalismus.
Diese Sorgen der etablierten Journalisten lösen eine Reihe von Nachfragen aus. Zum Beispiel, wie alt die Befragten waren, wie lange ihre eigene Ausbildung zurückliegt, ob sie Kontakt zum journalistischen Nachwuchs haben. Vor allem aber tritt eine Frage auf den Plan: Ist die journalistische Ausbildung heutzutage alarmierend schlecht? Schließlich muss es ja Gründe dafür geben, dass genau dieser Punkt vor allen anderen als „größte Gefahr für den etablierten Journalismus“ genannt wurde (auf der Liste standen unter anderem auch „sinkende Auflagen“ und „Unflexibilität der Journalisten selbst“ zur Auswahl).
Spurensuche. Auf der Suche nach Antworten ist eine Masterarbeit behilflich, die 2006 an der Universität Augsburg geschrieben wurde. Die Nachwuchsjournalistin Julia Eggs beschäftigt sich darin mit dem Thema „Das Volontariat im Journalismus. Eine empirische Untersuchung zur betrieblichen Ausbildungssituation des journalistischen Nachwuchses“. Die 29-Jährige hat 173 Volontäre und Jungredakteure aus ganz Deutschland befragt, Interviews mit Ausbildungsexperten ergänzen ihre Arbeit. Eines ihrer Ergebnisse: Die Ausbildungs- und Professionalisierungsdebatte der 1970er-Jahre hat Früchte getragen. Es gibt eine zunehmende Akademisierung des Nachwuchses. Ohne ein Hochschulstudium (geschweige denn Abitur) ergattert heute kaum einer mehr ein Volontariat. Nur drei der Befragten gaben die Mittlere Reife als Schulabschluss an. In den 70er- Jahren, so Eggs, hätten dagegen lediglich 39 Prozent der Volontäre ein Abitur vorweisen können.
Ähnlich verhält es sich beim Hochschulstudium. 90 Prozent der Volontäre haben heute studiert und das Studium auch abgeschlossen. Zum Vergleich: 1988 konnten 74 Prozent der Nachwuchsjournalisten auf ein Studium zurückblicken, abgeschlossen hatten es nur 58 Prozent. Die Zahlen legen die Vermutung nahe: In Bildung und akademischen Kerntugenden wie Recherche und Quellengenauigkeit steht der journalistische Nachwuchs heute besser da als vor 20 Jahren. Zudem verfügt der Journalistennachwuchs bereits vor Ausbildungsbeginn über weitreichende praktische Erfahrungen: Durchschnittlich vier Jahre hat als freier Mitarbeiter gearbeitet, wer mit einem Volontariat beginnt. Zum Lebenslauf gehören außerdem Praktika im Bereich Journalismus oder PR: Im Schnitt waren es 3,4 Hospitanzen pro Person.
Bleibt die Überlegung, ob die Zeitungen ihren akademischen Nachwuchs verheizen oder schlichtweg schlecht ausbilden? Um das zu klären, hilft ein Blick in den Tarifvertrag des Redaktionsvolontariats an Tageszeitungen, der die Ausbildung seit 1990 regelt – die Zahl der Verlagshäuser, die diesen Tarif unterschrieben hat, schwindet allerdings.
Zu den Grundfesten der Ausbildung zählen: eine systematische Einführung in Betrieb und Produktionsabläufe von mindestens einer Woche. Der Volontär arbeitet danach in mindestens drei unterschiedlichen Ressorts, in der Regel zunächst im Lokalen und der Politik. Mindestens zwei Monate sollte er jede Station kennenlernen. Zum Volontariat gehört außerdem eine mindestens vierwöchige externe Schulung, möglichst im ersten Ausbildungsjahr. Der Volontär hat Anspruch auf einen Ausbildungsredakteur, maximal darf bei je drei Redakteuren ein Volontär ausgebildet werden. Die Ausbildungszeit dauert maximal zwei Jahre.
Ausbildungsqualität. Der Augsburger Befragung unter den heutigen Volontären zufolge sind diesen Bedingungen mal besser, mal schlechter erfüllt (das bestätigt auch die mediummagazin-Umfrage, S. 62 ff.). Knapp die Hälfte gab an, einen Ausbildungsredakteur zur Seite zu haben – gut 50 Prozent durchlaufen ihr Volontariat aber ohne einen Betreuer. Das Lokale dominiert die Ausbildung erwartungsgemäß – durchschnittlich 14 Monate verbringen die Befragten mit Berichten über Tierzuchtvereine, Bürgerbefragungen und Kommunalwahlen. Die Zahl der externen Ausbildungskurse hat seit den 1980er-Jahren zugenommen: Rund 89 Prozent der Volontäre werden heute überbetrieblich geschult – in den 1970er-Jahren bekamen nur rund 59 Prozent der Volontäre die Chance zu einer solchen Fortbildung. Wenig üblich scheint dagegen eine ordentliche Einführung zu sein: Mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent) bezeichneten ihr Volontariat als „Sprung ins kalte Wasser“ mit wenig oder gar keiner Anleitung.
Offensichtlich sind Volontäre heute besser ausgebildet als noch vor 30 Jahren. Schlechter sind allenfalls ihre Zukunftsaussichten. Denn, wie Julia Eggs belegt, ist die Jobgarantie für Jungredakteure drastisch gesunken: „Wurden in den 70er-Jahren noch 80 Prozent der Volontäre übernommen, ist es heute gerade mal ein Drittel.“
Das Volontariat ist heute keine Garantie mehr für eine Festanstellung. Die Zahl der freien Journalisten steigt. Mehr als 38.000 freie Publizisten haben sich 2007 bei der Künstlersozialkasse angemeldet – 15.000 mehr als zehn Jahre zuvor. Zehntausende Freie ohne redaktionelle Rückendeckung. Gut möglich, das genau das die eigentliche Gefahr für den etablierten Journalismus darstellt.
Linktipp:
Das Volontariat im Journalismus. Eine empirische Untersuchung zur betrieblichen Ausbildungssituation des journalistischen Nachwuchses. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: www.medien-monitor.com/Ergebnisse.690.0.html
Der Medien-Trendmonitor ist eine regelmäßige Online-Befragung, entwickelt von der dpa-Tochter News Aktuell und von Faktenkontor. Die Umfrage findet zwei Mal jährlich statt. Vom Januar bis Februar 2008 nahmen 3039 Redakteure und Freie teil. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick: www.presseportal.de/meldung/1188206
Der Tarifvertrag für Redaktionsvolontariate an Tageszeitungen steht zum Download bereit unter: www.djv.de
Erschienen in Ausgabe 6/2008 in der Rubrik „Special“ auf Seite 60 bis 61 Autor/en: Andrea Mertes. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.