Kritik in Märchenform

Feste feiern, das können sie in Sibirien, auch ohne großen Anlass. Aber wenn eine kleine, unabhängige Zeitung in Russland den 15. Geburtstag begeht, ist das mehr als ein Grund, anzustoßen. „Inform Polis“ heißt das Geburtstagskind und ist in Ulan Ude, Hauptstadt der Republik Burjatien, geboren. Ulan Ude ist eine Stadt mit rund 400.000 Einwohnern und ein Verkehrsknotenpunkt an der Schnittstelle von transibirischer und transmongolischer Eisenbahn. Sie liegt etwa 5600 Kilometer weit weg von Moskau. Slawa Dagaew, Herausgeber von „Inform Polis“, erinnert sich noch gut an die wilden Zeiten Anfang der 90er in Russland: „Eine Zeitung als wirtschaftliches Unternehmen, der Gedanke war noch ganz unbekannt und er war auch nicht genehm. Die einzige, staatliche Druckerei wollte unsere Zeitung nur zu unerhörten Preisen drucken, die den Ruin bedeutet hätten.“

Slawa und seine Frau Coelma, beide studierte Journalisten, entschlossen sich, die Wochenzeitung in der nächsten größeren Stadt westlich, in Irkutsk, drucken zu lassen. Das bedeutete, die Zeitung in Lastwagen über 500 Kilometer schlechte Straßen nach Ulan Ude zu befördern. Der Unternehmergeist hat sich ausgezahlt, heute wird die Zeitung in der eigenen Druckerei produziert, die das Verlegerpaar mit Hilfe von Krediten ausländischer Medienfonds finanziert hat. Internationale Netzwerke sind für die unabhängige Presse in Russland überlebenswichtig, davon sind beide Verleger überzeugt.

Prämiert. Im vergangenen Jahr gab es noch einen weiteren Grund zum Feiern in der Redaktion: „Inform Polis“ hat den Gerd-Bucerius-Preis für unabhängige Presse in Osteuropa erhalten. Den sechs fest Angestellten und vier Pauschalisten bedeutet die Auszeichnung aus dem fernen Deutschland sehr viel: „Wir sind wegen unserer kritischen Berichterstattung über die geplante Pipeline entlang des Baikal ausgezeichnet worden“, erklärt Chefredakteurin Tamara Naguslaewa, „und der Preis ist großer Ansporn für uns Journalisten, so weiterzumachen.“ Und die kritischen Berichte in „Inform Polis“ haben tatsächlich viel bewegt: Als die öffentlichen Proteste beidseitig des Baikal immer lauter geworden waren, entschied der Kreml 2006, die geplante Ölleitung weit entfernt von dem weltweit einzigartigen See zu legen. Ein großer Erfolg für die Menschen in der Region, die nicht alle Entscheidungen von oben duldsam hinnehmen wollen.

Hürden. Schwieriger ist es hingegen, kritisch über Politik zu berichten. Ein Anruf der örtlichen Überwachungsorgane in der Redaktion, dass es so nicht geht, ist dann nicht ungewöhnlich. Ein Mitarbeiter von „Inform Polis“ beispielsweise hatte nach Meinung der Machthabenden „nicht objektiv“ genug über die Auflösung autonomer burjatischer Bezirke berichtet. Daraufhin legte ihm der russische Geheimdienst FSB eine „Arbeitspause“ nahe. Ein halbes Jahr lang konnte der Kollege daraufhin, auch auf Anraten der Chefredaktion, die um seine Sicherheit besorgt war, nicht publizistisch in Erscheinung treten, jetzt schreibt er wieder für die Zeitung.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich das burjatische Selbstbewusstsein für die eigene Kultur und Sprache neu entwickelt und das heißt für einige junge Burjaten, Widerstand gegen ein System zu leisten, das Präsident Putin als „souveräne Demokratie“ bezeichnet. So praktiziert die Zeitung mit einer wöchentlichen Auflage von 30.000 Exemplaren zum einen eingreifenden Journalismus und arrangiert sich zum anderen immer wieder mit der Macht. Den Großteil der 20.000 Euro Preisgeld möchte Chefredakteurin Tamara Naguslaewa übrigens in Software investieren, denn nicht lizenzierte Programme sind für die Behörden immer wieder ein Vorwand, unliebsame Redaktionen zu durchsuchen und zu schließen.

Sowohl bei den Duma-Wahlen im vergangenen Dezember als auch bei den Präsidentschaftswahlen Anfang März sein eine freie Berichterstattung nicht möglich gewesen, sagt Naguslaewa: „Die Gesetze, wie über Wahlen zu berichten ist, machten es uns schwer. Wir druften nur Wahlwerbung drucken, im redaktionellen Teil sollten wir, objektiv‘ informieren. Wir konnten nicht kommentieren oder unsere Meinung äußern.“

Den einzigen Weg, solche „Anordnungen“ künftig zu umgehen, sieht die Chefredakteurin derzeit darin, über Politik strikt objektiv zu schreiben oder einen kleinen Kunstgriff anzuwenden: Eine Redakteurin von „Inform Polis“ hat kürzlich an einem Seminar in Moskau teilgenommen, das eine amerikanische Stiftung für Journalisten unabhängiger Medien in Russland organisierte. Hier bekam sie den Rat, heikles Material wie eine Märchenerzählung zu verfassen. Für Chefredakteurin Tamara Naguslaewa ist diese Darstellungsform nicht abwegig: „Wenn wir Fakten haben und wir können dennoch nicht offen berichten, dann werden wir vielleicht bald Märchen erzählen.“

Linktipp:

Homepage der Zeit-Stiftung / Gerd-Bucerius-Förderpreis „Freie Presse Osteuropa“: http://www.zeit-stiftung.de/home/index.php?id=126

Homepage von „Inform Polis“ (in russischer Sprache) : http://www.infpol.ru

Erschienen in Ausgabe 4/2008 in der Rubrik „Medien“ auf Seite 54 bis 55 Autor/en: Catrin Watermann. © Alle Rechte vorbehalten. Der Inhalt dieser Seiten ist urheberrechtlich geschützt. Für Fragen zur Nutzung der Inhalte wenden Sie sich bitte direkt an die Redaktion.