Ein karger Konferenzraum, stilles Wasser und nüchterne Gesichter – den Beginn einer Revolution stellt man sich anders vor. Und doch war es nichts anderes, was am 11. März in der Düsseldorfer Staatskanzlei verkündet wurde: Zum ersten Mal bestückt ein öffentlich-rechtlicher Sender den Internet-Auftritt einer Zeitung mit Online-Videos. Wer demnächst auf das WAZ-Portal „DerWesten.de“ klickt, schaltet bei den Bewegtbildern quasi auch den WDR mit ein.
„Eine solche Kooperation stiftet einen neuen, einen zusätzlichen Nutzen für die Menschen in Nordrhein-Westfalen“, lobte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Vorstoß der beiden medialen Schwergewichte. Kein Wunder, dass Rüttgers sich freute, die Kooperation war seine eigene Idee. Auf dem „NRW-Medienforum“ hatte er im vergangenen Jahr die Gespräche zwischen den größten medialen Playern in seinem Land angestoßen. Und siehe da: WDR-Intendantin Monika Piel und WAZ-Boss Bodo Hombach fanden bald Gefallen daran, eine ganz neue Form des West-Fernsehens zu etablieren. Einig war man sich schnell, langwierig war nur der Prozess, die medienrechtlichen Klippen zu umschiffen.
Der Deal: Der WDR bietet der Online-Redaktion des Portals „DerWesten“ (in dem vor wenigen Monaten alle Online-Ausgaben der WAZ-Zeitungen in NRW vereinigt worden sind) täglich zunächst bis zu neun ausgesuchte TV-Beiträge an, die für die unterschiedlichen Ausgaben der „Lokalzeit“ und die „Aktuelle Stunde“ produziert worden sind. Die Beiträge stehen dem „Westen“ eine Stunde nach Ausstrahlung und mit der Online-Veröffentlichung in der Mediathek des WDR zur Verfügung.
Das Lizenzmodell sieht vor, dass die WAZ die Videos über die WDR-Mediagroup bezieht, einer hundertprozentigen Tochter des WDR, und zwar zu „marktüblichen Preisen“, sagt Piel. Genaue Zahlen wollte die Intendantin zwar nicht nennen, ließ aber durchblicken, dass die Preise in etwa doppelt so hoch liegen wie bei einem kommerziellen Anbieter auf dem Markt. Die Zusatzeinnahmen aus den Verlags-Kooperationen muss der WDR übrigens gegenüber der Kommission zur Überprüfung und Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) offenlegen. Bedeutet: Bei der nächsten Verhandlungsrunde zur Bemessung der Höhe der Rundfunkgebühren werden dem WDR die Mehreinnahmen aus dem Lizenzgeschäft vom Finanzbedarf wieder abgezogen. Dem Gebührenzahler sollen so keine Nachteile entstehen. Auf „DerWesten“ müssen die eingekauften WDR-Videos unverändert und samt WDR-Logo eingebunden werden. Werbung ist dabei tabu, das Browserfenster, in dem die öffentlich-rechtlichen Bewegtbilder ablaufen, muss ohne blinkende Banner auskommen.
Trotz all der rechtlichen Klippen – die zufriedenen Gesichter der Beteiligten beim Startschuss in der Düsseldorfer Staatskanzlei sprachen Bände: Der WDR erhofft sich laut Intendantin Piel über „DerWesten“ neue Zuschauer zu erreichen. Das WAZ-Portal wiederum kann sich nun mit Videos einer Qualität schmücken, die man selbst so nicht produzieren könnte. So erhofft sich Bodo Hombach, dass es durch die Kooperation zu einer erheblichen Qualitätssteigerung seines Online-Portals kommt. Schließlich ist sein Ziel, dass „DerWesten“ das „klickreichste Webangebot in NRW“ wird. Die WDR-Videos sollen dabei helfen.
Die Kehrseite. Kaum verkündet, wird auch schon Kritik an der west-westdeutschen Annäherung in Sachen Onlinevideos laut. Was von den Partnern der medialen Elefantenhochzeit als Beitrag zur Meinungsvielfalt gepriesen wird, sehen die Kritiker skeptisch: „Dass es der Medienvielfalt dient, wenn der WDR seine Beiträge an die WAZ und künftig vielleicht auch an andere NRW-Medienhäuser verkauft, erscheint uns ein mehr als fragwürdiges Argument“, sagt Helmut Dahlmann, Chef des DJV-Landesverbandes NRW gerne.
Und auch der Dortmunder Medienwissenschaftler Horst Röper sieht in der Zusammenarbeit eine „eher negative als positive Entwicklung.“ Er weist darauf hin, dass so für andere kommerzielle Anbieter auf dem Markt Nachteile entstünden. „Hier wird eine junge Branche hart getroffen“, befürchtet Röper. Dass der „TV-Quasimonopolist einer Region mit dem Print-Quasimonopolisten ins Bett steigt“, so Don Alphonso, einer der fachkundigen Chefkritiker in der deutschen Bloggerszene, ist nicht nur aus ordnungspolitischer Sicht bemerkenswert. Denn bisher waren öffentlich-rechtliche Anstalten und Verleger in herzlicher Abneigung miteinander verbunden. Die altbekannten Grabenkämpfe sind mit dem rasanten Bedeutungszuwachs des Internets neu entbrannt.
Den Verlegern und privat-kommerziellen Rundfunkanbietern passt es nicht, dass ARD und ZDF Gebührengelder in ihre bereits erfolgreichen Web-Auftritte pumpen. Laut derzeit geltendem Gesetz dürfen die Öffentlich-Rechtlichen gerade einmal 0,75 Prozent des Gebührenaufkommens für Online verwenden, das entspricht allerdings stolzen 52 Millionen Euro jährlich (40 Millionen ARD, 12 Millionen ZDF) und ist damit weit mehr als das, was die erfolgreichsten Onlineangebote deutscher Verleger investieren können. Die Kritiker sehen die Grenzen zur reinen Programmbegleitung schon längst überschritten. Beharrlich werfen deshalb Verleger und die privaten Sender (s.a. Seite 27) den Öffentlich-Rechtlichen wegen ihrer Onlineaktivitäten Wettbewerbsverzerrungen vor.
Die Win-Win-Gespräche. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten wiederum ärgert es, dass die Verleger im Netz ins Geschäft mit Bewegtbildern einsteigen können – was ihnen selbst im privatrechtlichen Fernsehen aus Gründen der Meinungsvielfalt per Landesmediengesetzgebung schwer gemacht wird. Wie kommt es also, dass Clemens Bauer, Chef des Verlegerverbandes in NRW, in Sachen WAZ und WDR plötzlich Möglichkeiten einer Win-Win-Situation sieht? „Die Kooperation bei Bewegtbildangeboten für die Onlineausgaben der Zeitungen kann für beide Seiten vorteilhaft sein“, lobte Bauer den Vorstoß von WAZ und WDR – und gibt damit eine Linie vor, die vom Westen demnächst ganz Deutschland erobern könnte (s. auch Interview Seite 25, Umfrage Seite 28 ff.). Denn das Eis zwischen Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen taut auch anderswo: „Ich verhandele für die ´Lausitzer Rundschau` gerade mit dem rbb“, sagt Andreas Oppermann, Chefredakteur von „20 Cent“ (Holtzbrinck). Die „Süddeutsche Zeitung“ steht dem Vernehmen nach mit dem ZDF in Kontakt, „Focus online“ mit dem Bayerischen Rundfunk und auch beim SWR soll es erste Gespräche geben.
Die Lizenzfrage. Der Zukauf von Bewegtbildern durch die Verleger bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz ist aber nur ein Weg, die eigenen Onlineangebote mit Videos anzureichern. Die bereits bei zahlreichen Verlagen praktizierte Alternative, Videoinhalte selbst zu produzieren, liegt zwar auf der Hand, stößt aber medienrechtlich möglicherweise an Grenzen. Die Landesmedienanstalt NRW etwa sieht hier Regelungsbedarf: Web-TV sei dann Rundfunk, wenn 500 zeitgleiche Zugriffe möglich seien, erklärt ihr Direktor Norbert Schneider. Die Konsequenz: Auch für im Web verbreitete privatwirtschaftliche Bewegtbildangebote wären dann Lizenzen notwendig.
Die Verleger sehen das naturgemäß anders. Clemens Bauer zur Position seines Verbandes: „Wir Zeitungsverleger glauben, dass die elektronische Presse auch dann Presse ist, wenn sie zur Stützung und zur Ausweitung ihres Angebotes Bewegtbilder einsetzt. Deswegen wird daraus noch kein nach einem Schema ablaufendes Programm“ – und wäre folglich auch nicht regulierungsbedürftig.
Hinter der Kooperation zwischen WDR und WAZ-Mediengruppe steht also weitaus mehr als der Zugang zu bezahlbaren, glaubwürdigen und hochwertigen Video-Inhalten auf Verleger-Seite und der Ausweitung der Onlineaktivitäten auf Sender-Seite. Vielmehr scheinen die neuen Kooperationen der erste Schritt zu einem neuen Burgfrieden im deutschen Mediensystem zu sein und der Anfang einer medienpolitischen und medienrechtlichen Neuorientierung.
Das mögliche Szenario: Die Verleger geben ihre Blockade auf, was die Online-Offensive der Öffentlich-Rechtlichen angeht, die Sender wiederum lassen die Medienh